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Familienberatung für Muslime

9. Januar 2011

Ehe- und Geldsorgen, Erziehungsfragen - auch Muslime in Deutschland wollen Familienprobleme mit externer Hilfe lösen. Familienberater, die Türkisch oder Arabisch sprechen und Islam-Kenner sind, haben in Köln viel zu tun.

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Familienberaterin Aylin Yanik-Senay vom Begegnungs- und Fortbildungszentrum muslimischer Frauen in Köln und ihre Klientin Filiz Yilmaz (Foto: DW/Julia Hahn)
Frauengespräch: Beraterin Aylin Yanık-Şenay und Filiz YilmazBild: DW

Ein Termin bei der muslimischen Familientherapeutin im Kölner Stadtteil Ehrenfeld. Vor den großen Fenstern im Beratungszimmer hängen Jalousien. Filiz Yilmaz sitzt auf einem Stuhl und schlägt die Beine über Kreuz. Die 38-Jährige trägt Jeans und blondierte Locken. Sie will von Therapeutin Aylin Yanık-Şenay wissen, was eine gute muslimische Mutter ausmacht. "Ich frage mich, ob ich meine Mutterpflichten erfülle und ob ich gut darin bin. Ich möchte ja auch, dass meine Kinder religiös aufwachsen", sagt Yilmaz.

Vor fünf Jahren hat sie ihren Mann bei einem Autounfall verloren, war plötzlich alleinerziehende Mutter von zwei Kindern. Jetzt hat die zehnjährige Tochter Probleme in der Schule, der Sohn kommt in die Pubertät. Filiz Yilmaz ist verunsichert. Beraterin Aylin Yanık-Şenay vom "Begegnungs- und Fortbildungszentrum muslimischer Frauen" (BFmF) versucht zu helfen. Sie erklärt, dass auch das Gebet und die Nähe zu Allah bei der Erziehung Halt geben können.

Aylin Yanik-Senay sitzt am Schreibtisch und telefoniert (Foto: DW/Julia Hahn)
Voller Terminkalender: Aylin Yanık-Şenay leitet die Familienberatung im BFmFBild: DW

Muslime wollen sich verstanden fühlen

In der Millionenstadt Köln leben rund 65.000 türkische Staatsbürger. Dazu kommen über 7000 Einwanderer aus arabischen Ländern und mehrere hundert Muslime aus den Balkan-Staaten. Viele von ihnen würden gezielt nach Therapeuten suchen, bei denen sie sich in Sachen Kultur und Religion verstanden fühlen, sagt Beraterin Yanık-Şenay. "Ich spüre, dass meine Klienten mich sehr stark annehmen und sich öffnen. Ich denke, mein Äußeres und meine Identität führen dazu, dass ich oft schon in der ersten Sitzung einen Fuß in der Tür habe". Die Familientherapeutin trägt ein dunkelrotes Kopftuch. Hals und Haare sind vollkommen bedeckt. Für Filiz Yilmaz, die in Deutschland aufgewachsen ist und selbst kein Kopftuch trägt, ist genau das entscheidend. Eine nicht-muslimische oder gar deutsche Familienberaterin wäre für sie nicht in Frage gekommen. "Ich bin Moslem und es geht mir auch darum, dass ich islamisch handele, also nicht so deutsch, sondern in Einklang mit der türkischen Kultur. Und da möchte ich lieber mit einer Person reden, die unsere Religion kennt", sagt Yilmaz.

Beratungen auf Türkisch und Arabisch

Es sind hauptsächlich Frauen, die in das muslimische Zentrum im Multi-Kulti-Stadtteil Ehrenfeld kommen. Sie besuchen hier Sprach- und Integrationskurse, nehmen an islamischen Seminaren teil oder lassen sich in Beziehungs- und Familienfragen beraten. Doch auch Männer melden sich inzwischen für sogenannte "Eltern-Kompetenzkurse" an. "Es ist nicht so, dass ich die Frauen hier immer alleine sitzen habe. Gerade wenn es um die Erziehung und den Bildungsweg der Kinder geht, dann kommen die Väter meistens mit", sagt Beraterin Yanık-Şenay.

Finanziert wird der muslimische Selbsthilfeverein vor allem durch öffentliche Fördermittel. Einer der größten Geldgeber ist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Einzelne Projekte werden auch vom Land Nordrhein-Westfalen, der Stadt Köln oder verschiedenen Stiftungen bezahlt. Sieben der insgesamt 80 Mitarbeiter sind Familienberater. Sie bieten Gespräche auf Deutsch und Englisch, aber auch auf Türkisch oder Arabisch an. Viele ihrer Klienten würden kaum Deutsch sprechen, könnten also gar nicht in eine deutsche Beratungsstelle gehen, sagt Yanık-Şenay. "Außerdem ist es ein ganz anderes Gefühl, Emotionen in der eigenen Muttersprache auszudrücken, gerade wenn es um sehr sensible Themen geht", so die muslimische Beraterin.

Nicht genügend mehrsprachige Berater

Marita Simons von der Familienberatung der Caritas in Köln (Foto: DW/Julia Hahn)
Arbeitet oft mit Dolmetscher: Caritas-Familienberaterin Marita SimonsBild: DW

In Köln bieten verschiedene öffentliche Einrichtungen inzwischen kostenlose Beratungen speziell für Migranten an. Doch diese Beratungsstellen seien völlig überlaufen, sagt Marita Simons, Familientherapeutin bei der katholischen Hilfsorganisation Caritas. Seit 2000 hat sie in Köln auch drei türkischsprachige Kollegen. Die arbeiten allerdings nur stundenweise. "Wir bräuchten dringend noch einen arabischsprachigen Berater und wir bräuchten noch mehr türkischsprachige Kollegen, weil die Nachfrage wesentlich höher ist als das, was wir bedienen können", sagt Caritas-Beraterin Simons.

Auch Nermin Yumurtaçi führt Wartelisten. Die Frau mit den kinnlangen braunen Haaren ist eine von nur zwei türkischsprachigen Sozialarbeiterinnen bei der Stadt Köln. "Es reicht vorne und hinten nicht. Die erste Generation türkischer Einwanderer können wir überhaupt nicht betreuen, weil wir nur für Kinder, Jugendliche und deren Eltern zuständig sind", sagt sie.

Weltliche Sorgen wie Armut und Spielsucht

Das Thema Islam spiele in ihren Beratungen jedoch kaum eine Rolle, sagt Yumurtaçi. Schließlich seien nicht alle türkischstämmigen Migranten auch gläubige Muslime. "Viele der Familien haben die gleichen Probleme, die auch bei Müllers und Schulzes auftauchen könnten. Das sind Ehekrisen, Erziehungsfragen oder Generationskonflikte", so die Beraterin.

Nermin Yumurtaci, Sozialarbeiterin bei der Stadt Köln (Foto: DW/Julia Hahn)
Vermittelt zwischen Familienmitgliedern: Sozialarbeiterin Nermin YumurtaçiBild: DW

Oft sind die Ursachen der Familienprobleme durch und durch weltliche Sorgen: Armut und Arbeitslosigkeit zum Beispiel. Viele türkische Frauen würden sich beklagen, dass ihre Männer die Abende lieber im Spielkasino verbringen als zu Hause. "In der türkischen Community ist Spielsucht ein großes Thema. Da gehen Existenzen drauf, weil die Männer ihr ganzes Gehalt an einem Abend verspielen", sagt Yumurtaçi. Wenn dann weder göttlicher noch weltlicher Rat hilft, bleibt oft nur die Trennung. Die Scheidungsraten türkischstämmiger Paare seien in den vergangenen Jahren gestiegen, sagt die Sozialarbeiterin.

Autorin: Julia Hahn
Redaktion: Klaudia Prevezanos/Pia Gram