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"Punktabzug für Rassismus ist keine Lösung"

Matt Ford Text adaptiert von Stefan Nestler
25. April 2019

Englands Nationalstürmer Raheem Sterling fordert bei rassistischen Vorfällen drakonische Strafen gegen die Vereine. Solche Sanktionen kratzten nur an der Oberfläche, kritisieren Vertreter deutscher Fan-Projekte.

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Fussball l Spieler Raheem Sterling
Bild: Getty Images/AFP/A. Isakovic

Raheem Sterling hat von Rassisten im Stadion die Nase gestrichen voll. "Das Rassismusproblem im Fußball ist so schlimm, sitzt so tief und ist weit davon entfernt, gelöst zu werden", schrieb der 24 Jahre alte Stürmer des Premier-League-Klubs Manchester City in einem Gastbeitrag für die Zeitung "The Times". Der Nationalspieler machte einen spektakulären Vorschlag: Bei einem rassistischen Vorfall sollten dem entsprechenden Klub automatisch neun Punkte abgezogen werden. Als zusätzliche Strafe schlug Sterling drei "Geisterspiele" vor leeren Rängen vor. 

"Es klingt vielleicht hart, aber welcher Fan würde riskieren, dass seine Mannschaft wegen rassistischer Äußerungen absteigen oder vielleicht sogar den Titel verspielen würde?" Der dunkelhäutige Sterling, in Jamaika geboren, wurde in seiner Karriere schon häufig rassistisch beleidigt, etwa im März beim EM-Qualifikationsspiel Englands in Montenegro. 

"Kollektivstrafen treffen die Falschen"

In der deutschen Fanszene wird Sterlings Vorschlag eher skeptisch beurteilt. Nach Ansicht von Michael Gabriel, Leiter der Koordinationsstelle Fanprojekte in Frankfurt am Main, kratzen Punktabzüge für rassistische Vorfälle nur an der Oberfläche und stellen keine langfristige Lösung dar. Zudem verschaffe man auf diese Weise Rassisten einen direkten Einfluss auf den sportlichen Wettbewerb und bestrafe gleichzeitig diejenigen, die für die Bekämpfung des Rassismus am wichtigsten seien: die überwiegende Mehrheit der normalen Fans.

Deutschland  SV Werder Bremen - 1. FC Nürnberg Nuernberg | Plakate gegen Rechts
Banner gegen Rechts auf der Fantribüne von Werder BremenBild: imago/Zink

"Du brauchst ein System, in dem du die Menschen auf den Tribünen unterstützt, die im Kampf gegen Diskriminierung und Rassismus aktiv sind. Du darfst sie nicht mit Kollektivstrafen zu Opfern machen", sagt Gabriel im Gespräch mit der DW. "In Deutschland hat sich die Situation in Sachen Rassismus und Rechtsextremismus deutlich verbessert. Aber das heißt natürlich nicht, dass es keine Probleme mehr gibt."

Stadion als Mikrokosmos der Gesellschaft

So sorgten im März Fans des Viertligisten Chemnitzer FC und Anhänger des Drittligisten Energie Cottbus mit ihren Trauer-Choreografien für einen verstorbenen Fan aus der Chemnitzer Neonazi-Szene auch international für Schlagzeilen. Häufig wirken die Stadien wie ein Mikrokosmos der Gesellschaft drumherum. Davon kann auch Bundesligist Borussia Dortmund ein Lied singen. In der Stadt gibt es eine aktive rechtsextreme Szene. Das spiegelt sich auch auf der Tribüne wider.

Der BVB versucht entgegenzuwirken, indem er Anti-Diskriminierungs-Initiativen unterstützt. Der Verein finanziert auch regelmäßig Reisen für junge Dortmunder Fans in ehemalige Konzentrationslager, um ihnen zu zeigen, welche Verantwortung sie dafür tragen, dass sich so etwas, wie dort geschehen, nicht wiederholt. Was würden drakonische Sanktionen für rassistische Ausfälle, wie von Sterling gefordert, etwa im Falle des BVB bewirken?

"Soziales Problem würde nicht gelöst"

Deutschland Thilo Danielsmeyer
Thilo Danielsmeyer vom BVB-FanprojektBild: DW/M. Ford

"Ein Punktabzug ist die härteste Strafe, die man sich für einen Fußballverein vorstellen kann", sagt Thilo Danielsmeyer, Leiter des Dortmunder Fanprojekts. "Borussia Dortmund engagiert sich stark in Anti-Rassismus-Projekten. Aber es gibt eben auch rechte Gruppen. Der Verein kann wenig tun, um zu verhindern, dass sich solche Leute im Stadion rassistisch äußern. Ein Punktabzug würde dann einen jener Klubs bestrafen, die am meisten gegen Rassismus unternehmen." 

Eine derartige Strafe wäre "natürlich abschreckend", räumt Danielsmeyer ein. "Aber nur für 90 Minuten. Es würde das soziale Problem außerhalb des Stadions nicht lösen. Es wäre besser, immer wieder auf die Bedeutung des Themas hinzuweisen und langfristige Projekte gegen Rassismus zu unterstützen." Und Michael Gabriel, Leiter der Koordinationsstelle Fanprojekte, ergänzt: "Wir arbeiten mit echten Menschen in realen Situationen. Ohne echtes soziales Engagement kann es nicht funktionieren."