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Literatur

Fariba Vafi: "Schriftsteller haben im Iran keinen Einfluss"

Sabine Peschel Davoud Khodabakhsh
16. Februar 2018

Sie ist eine der populärsten Schriftstellerinnen im Iran, und ihre Werke wurden vielfach übersetzt. Warum ihr Erfolg und ihr Schreiben in ihrer Heimat trotzdem keine Wirkung erzielen, erklärt Fariba Vafi im DW-Interview.

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Deutschland Kartographien des Weiblichen - 30 Jahre LiBeraturpreis | Fariba Vafi
Fariba Vafi trat bei ihrer Lesung am 27. Januar 2018 in Frankfurt ohne Kopftuch aufBild: Anke Kluß

DW: Frau Vafi, Sie haben sieben Romane und mehrere Erzählungsbände veröffentlicht und sind als Schriftstellerin im Iran sehr erfolgreich. Zwei Ihrer Bücher erhielten Preise, die meisten wurden auch in andere Sprachen übersetzt. Im letzten Jahr wurden Sie in Deutschland für Ihren Roman "Tarlan" (Sujet Verlag) mit dem LiBeraturpreis 2017 ausgezeichnet. Wie wichtig ist es Ihnen, dass Ihre Bücher auch im Ausland gelesen und verstanden werden?

Fariba Vafi: Wenn Sie über die eigenen Grenzen hinausgehen und neue Leser finden, dann treten Sie in einen besonderen Austausch mit ausländischen Lesern, mit Menschen aus einer anderen Welt. Und das beeinflusst natürlich die eigene Arbeit. Das heißt, Sie sind diejenige, die mit der Denkart von Anderen und deren Begegnungsart Bekanntschaft schließen und dadurch neue Kenntnisse gewinnen. Das ist eine Art von Austausch, der meiner Ansicht nach für jeden Schriftsteller von Bedeutung sein kann.

Hat der LiBeraturpreis als Anerkennung aus dem Ausland für Sie irgendetwas verändert?

Buchcover Tarlan von Fariba Vafi
Für ihren Roman "Tarlan" erhielt Fariba Vafi 2017 den LiBeraturpreis

Selbstverständlich. Zuallererst war der LiBeraturpreis eine erfreuliche Bestätigung für meine Arbeit. Er hat dazu geführt, dass meinem Buch mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird, auch sogar seitens iranischer Leser. Das Buch hat durch den Preis eine höhere Auflage erreichen können und einen neuen Leserkreis gefunden. Für mich ist auch ganz besonders wichtig, dass gerade dieses Buch ins Deutsche übersetzt wurde und die Menschen hier es lesen können.

Obwohl Sie so bekannt und sicherlich als Autorin vielbeschäftigt sind, geben Sie noch Schreib-Workshops für Frauen. Was motiviert Sie dazu? Was bezwecken Sie damit?

Ich erlebe seit Jahren dieses Bedürfnis von Frauen, sich auszudrücken, das Bedürfnis zu schreiben. Eigentlich ist es mir gar nicht so wichtig, dass die Menschen unbedingt eine fiktive Erzählung niederschreiben. Ich glaube aber, wenn man den Menschen helfen kann, zumindest ihr eigenes Leben, ihre eigene Welt zu beschreiben, dann hat man eine wichtige Arbeit geleistet. Nachdem mir das einige Male gelungen war, hat mich das noch mehr motiviert, mir noch mehr Kraft geschenkt – denn ich hatte begriffen, wie wirksam es gerade für Frauen sein kann, wenn sie ihren eigenen Ausdruck finden. Man hat das Gefühl, dass für alles, was sie bis dahin nicht ausdrücken konnten, nun der richtige Zeitpunkt gekommen ist, es niederzuschreiben. Als gäbe es plötzlich einen Drang zum "Ausdruck meiner selbst".

Was für Texte schreiben die Teilnehmerinnen - literarische oder Gebrauchstexte?

Mir ist es wichtig, dass sie von ihrer eigenen Lebenserfahrung ausgehen. Erst im Prozess des Schreibens entwickelt sich das dann zu einer Novelle. Das heißt, wir fangen mit Erinnerungen an, mit Lebenserfahrungen, oder mit einem literarischen Stück. Erst in einem langsamen Prozess gelangen wir zur Fiktionalisierung, zu einer Erzählung oder Novelle. Aus diesem Grund denke ich, dass nicht nur das Schreiben, sondern auch das Lesen von Bedeutung ist. Deshalb studieren und besprechen wir die erfolgreichsten iranischen und internationalen Erzählungen und Romane, so dass wir Lesen und Schreiben parallel praktizieren.

Sie schreiben in "Tarlan" von einem Land im Umbruch nach dem Sturz des Schahs und dem Alltag einer Familie in diesem Land. Die Islamische Republik Iran scheint auch heute im Um- oder vielleicht sogar Aufbruch zu sein. Schreiben Sie auch darüber einen Roman?

Das kann ich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen. Ich kann sogar bei mir selbst keinen Roman bestellen. Was ich wann schreibe, hat eigentlich nicht so viel mit meiner eigenen Entscheidung und meinem eigenen Willen zu tun. Es ist eine Ansammlung von Faktoren, die dazu führen, dass ein Roman überhaupt geschrieben wird. Je sensibler ein Romanschriftsteller in dieser Hinsicht ist, umso wahrscheinlicher ist es, dass er (oder sie) solche Faktoren absorbiert. Das kann dazu führen, dass ein neuer Roman entsteht – oder vielleicht auch nicht geschrieben wird.

Ihre Bücher beschreiben den Alltag von Menschen. In einer Gesellschaft wie dem Iran lässt sich dieser Alltag nicht von der Politik trennen. Wie politisch ist Ihre Literatur? 

Buchcover Kellervogel von Fariba Vafi
Vafis Roman "Kellervogel" erschien auf Deutsch 2012 im Rotbuch-Verlag

Grundsätzlich, glaube ich, ist der Akt des Schreibens in gewisser Weise immer ein politischer. Sobald Sie mit dem Schreiben beginnen, sind Sie dabei, einen Raum für sich zu öffnen – einen Raum, der Ihnen vorher wahrscheinlich nicht zur Verfügung gestellt, Ihnen genommen oder vorenthalten wurde. Ich persönlich bin kein politischer Mensch, und mein Arbeitsfeld steht nicht in direktem Zusammenhang mit der Politik. Aber wir leben in einer Gesellschaft, in der sogar eine einfache Handlung eine politische Bedeutung haben kann.

Schreiben Sie vorrangig für Frauen?

Ich wähle meine Leser nicht; es sind die Leser, die mich wählen. Ich schreibe nicht nur für Frauen, aber der überwiegende Teil meiner Leser sind Frauen.

Sie leben mit ihrer Familie in Teheran. In internationalen wie auch in den iranischen Medien wurde im Januar viel von wilden Demonstrationen berichtet. Bekommen Sie davon etwas mit?

Ja, natürlich.

Wo liegen Ihrer Meinung nach die Ursachen dieser Unruhen? Sind sie genau das, was Sie in Ihren Romanen beschreiben?

Es kann vieles sein, ein Bündel von Faktoren. Wenn ähnliche Umstände auch im Roman thematisiert werden, dann nicht offensichtlich und in direkter Form. Das ist nicht Aufgabe des Romans. Ein Roman ist kein Presseorgan wie eine Zeitung, die die Probleme sehr direkt anspricht. In Romanen spricht man vielmehr indirekt das Leben und das Leiden der Menschen an, als über das aktuelle Geschehen zu berichten.

Iran | Proteste im Iran
Der Iran wurde im Dezember 2017 und Anfang Januar von landesweiten Protesten gegen die Regierung erschüttertBild: ARD

Das Internet wirkt bekanntlich wie ein Fenster zur Außenwelt. Was denken Sie über die zunehmend strikte Kontrolle des Internets und insbesondere der sozialen Netzwerke?

Strikte Kontrolle war nie die richtige Antwort und hat stets zu negativen Ergebnissen geführt, und zwar in jeder Hinsicht. Die Informationskanäle zum Beispiel der Wissenschaft oder der Literatur zu schließen, hat aus meiner Sicht die Probleme stets nur verschärft.

Müssen Sie die Zensur immer mitbedenken und mit der Schere im Kopf schreiben?

Selbstverständlich. Es gibt einerseits eine Reihe von Tabus, die in unserer Gesellschaft gelten und über die wir nicht reden dürfen. Andererseits gibt es Tabus, die von uns selbst ausgehen. Man kann sagen, dass jedes veröffentlichte Werk in gewisser Hinsicht unvollendet ist, weil es unsere eigene verinnerlichte Zensur durchlaufen hat. Die ist natürlich ein Indiz für die äußere Zensur, eine ihrer Folgen. Meine persönliche Erfahrung ist, dass ich meine eigenen Werke sogar kurz vor ihrer Veröffentlichung selbst zensiere.

Wie einflussreich können unter solchen Umständen die im Land lebenden Autoren als Intellektuelle im Iran sein?

Ihr Einfluss ist sehr, sehr gering…, da sie nichts sagen können. Wenn die Auflage eines Buches selten 300 Exemplare übersteigt – welchen Einfluss können Autoren dann überhaupt noch nehmen, in einem Land mit einer Bevölkerung von 80 Millionen?

Sie sind bestimmt nicht die einzige Autorin, die den geringen Stellenwert der Literatur beklagt?

Ich glaube, in Bezug auf den Iran überhaupt noch von einer Einflussnahme von Autoren oder Autorinnen oder von Büchern zu sprechen, entbehrt angesichts so geringer Auflagen und der verschwindend geringen Leserschaft jeden Sinns.

Das Gespräch führten Davoud Khodabakhsh und Sabine Peschel

Fariba Vafi kam 1963 in Tabriz in der iranischen Provinz Ost-Aserbaidschan zur Welt und lebt heute in Teheran. Mit 24 Jahren veröffentlichte sie ihren ersten Kurzgeschichtenband "In der Tiefe der Bühne". Sie heiratete und bekam zwei Kinder. 1999 folgte der nächste Sammelband, 2002 ihr erster Roman "Kellervogel", der u.a. mit zwei der wichtigsten iranischen Literaturpreise ausgezeichnet wurde. Seit 2004 veröffentlichte sie Romane und Erzählungen, die in viele Sprachen übersetzt wurden. Für ihren 2015 in der Übersetzung von Jutta Himmelreich im Sujet Verlag erschienenen Roman "Tarlan" erhielt sie 2017 den LiBeraturpreis.