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Rosa von Praunheim wird 75

Suzanne Cords
24. November 2017

Schrill, schräg und schonungslos: Von Praunheim ist kein Mann der leisen Töne. Sein Leben und filmisches Werk hat er dem Kampf für die Rechte von Homosexuellen gewidmet. Zum 75. kommt sein neuester Film in die Kinos.

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Rosa von Praunheim wird 75
Bild: picture-alliance/dpa/T. Brakemeier

"Hallo Freaks, Filmfreunde und Perverse! Ich war weltweit einer der Ersten, der nach dem Zweiten Weltkrieg einen politischen Schwulenfilm gemacht hat und sage in Bescheidenheit, dass ich wohl der produktivste Schwulenfilmer dieser Erde bin", schreibt Rosa von Praunheim selbstbewusst auf seiner Homepage.

Fleißig ist er auf jeden Fall: Rund 80 Spiel- und Dokumentarfilme drehte von Praunheim bisher, dazu unzählige Kurzbeiträge fürs Fernsehen und auf Video. Dabei wollte er eigentlich gar kein Filmemacher werden, die Malerei hatte es ihm angetan. Doch er merkte schnell, dass er mit der Filmerei ein viel größeres Publikum erreichen konnte.

Erste künstlerische Ambitionen

Rückblick: Rosa von Praunheim wird am 25. November 1942 während der deutschen Besatzung Lettlands in Riga als Holger Radtke geboren. Kurz danach adoptiert ihn das Ehepaar Mischwitzky und nimmt ihn mit nach Ost-Berlin. Bis 1953 lebt die Familie in der DDR, danach flüchtet sie nach Frankfurt am Main.

Rosa von Praunheim  steht neben einem Selbstporträt
Rosa von Praunheim mit einem Selbstporträt Bild: missingfilms.de

Holger fühlt sich schon früh zur Kunst hingezogen, seine erste Theaterinszenierung am Gymnasium bringt er in lateinischer Sprache auf die Bühne. Später besucht er die Kunstschule Offenbach und die Berliner Hochschule für bildende Künste. Es ist die Zeit, als er sich auch seinen Künstlernamen zulegt. "Ich wählte Rosa, das soll an den Rosa Winkel, den die Schwulen im KZ tragen mussten, erinnern", so seine Erklärung. Und Praunheim war der Frankfurter Stadtteil, wo er seine Teenagerzeit verbrachte hatte. 

Pionier der Homosexuellen-Bewegung

Seinen ersten Kurzfilm dreht er 1967, ein Jahr später erhält er seine erste Auszeichnung für "Rosa Arbeiter auf Goldener Straße". Bundesweit "berühmt und berüchtigt" wird er nach eigenen Worten dann 1971 mit dem Film "Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt". Mit diesem Titel schreit er eine für damalige Verhältnisse unerhörte Botschaft in die Bundesrepublik hinaus. Homosexualität unter erwachsenen Männern ist gerade erst vom Bann der gesetzlichen Strafbarkeit befreit worden; das Wort "schwul" gilt in der Gesellschaft als Schimpfwort. Auch seine eigenen Eltern erfahren erst aus diesem Film, dass ihr Sohn Männer liebt. Es ist ein persönlicher Befreiungsschlag für Holger Mischwitzky - und ein Weck- und Mahnruf für alle homosexuellen Männer. "Ich mochte die Schwulen nicht, die sich total unpolitisch gaben und versteckten, die sich lieber in Partys flüchteten oder in Illustriertenträume statt eine Schwulenbewegung zu unterstützen", so von Praunheim. "Sauer war ich auf all die feigen Schwulen, die wegrannten, wenn Schwulenhasser sie jagten, statt gemeinsam Widerstand zu leisten." 

Filmstill aus :Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt
Mit "Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt" schockte von Praunheim 1971 die Nation Bild: EuroVideo

Mit dem Film wird Rosa von Praunheim quasi über Nacht zur Ikone der Schwulen- und Lesbenbewegung in Deutschland. Sein Schlachtruf heißt "Raus aus den Toiletten, rein in die Straßen!" und macht zahllosen Betroffenen Mut, sich offen zu ihrer Homosexualität zu bekennen. Innerhalb kürzester Zeit gründen sich bundesweit mehr als 50 Schwulengruppen. Von Praunheim wird zum medialen Ereignis - auch in der Kunstwelt. 1972 wird sein Film bei der documenta 5 in Kassel gezeigt.

Filme mit Kultstatus

Seitdem hat von Praunheim eine beispiellose Karriere hingelegt und zahlreiche Preise gewonnen. Seine Filme sind schrill und streitbar, aber oft auch überraschend ruhig und poetisch - und nicht selten erreichen sie Kultstatus. Schon der erste längere Spielfilm "Die Bettwurst" (1971) über seine Tante Luzi ist ein großer Kassenerfolg. Aber er wagt auch früh den Blick über den deutschen Tellerand hinaus. Zu seinen größten Erfolgen gehört bis heute der Streifen "Überleben in New York" (1989), dem später eine Fortsetzung folgt: "New York Memories" (2010).

Der Kampf gegen Aids

1985 erscheint "Ein Virus kennt keine Moral". Von Praunheim ist der erste, der das Thema Aids im Film aufgreift, allerdings dreht er nach eigenen Worten keinen "Mitleidsstreifen", sondern eine schwarze Komödie. Er habe gleichzeitig aufklären und unterhalten wollen, so der Regisseur und das tut offenkundig Not. Selbst nach Erscheinen des Films, berichtet er, "kritisierten viele Menschen Safer Sex, weil sie meinten, dass das Virus eine Erfindung des CIA und Deutschland nicht bedroht sei. Man sollte lediglich darauf verzichten, mit Amerikanern ungeschützten Sex zu haben."

Rosa von Praunheim geht in einem rosa Gewand über eine Wiese
Rosa von Praunheim inszenierte sich in seinen Filmen immer wieder selbst. Hier in "Der fröhliche Selbstmörder". Bild: rosavonpraunheim.de

Von Praunheim organisiert die erste große Aids-Benefizveranstaltung im Berliner Tempodrom und gewinnt dafür namhafte Künstler wie Herbert Grönemeyer, André Heller und Wolf Biermann. Und das Thema lässt ihn nicht los: In der Aids-Trilogie "Schweigen=Tod", "Positiv" und "Feuer unterm Arsch" prangert er die Diskriminierung von Aids-Kranken an und geht sogar so weit, zwei TV-Lieblinge der Nation, Talkmaster und Fernsehkoch Alfred Biolek, und den Komiker Hape Kerkeling, im Fernsehen vor etwa vier Millionen Zuschauern gegen deren Willen als schwul zu outen. Es ist einer der größten Skandale der deutschen TV-Geschichte. "Es war ein Verzweiflungsschrei auf dem Höhepunkt der Aidskrise", erklärt Rosa von Praunheim später. Ihm sei es darum gegangen, schwule Sympathieträger, die versteckt lebten, zur Solidarität mit der Homosexuellengemeinschaft zu bewegen, weil es in ihr die meisten HIV-Infizierten und Aids-Toten zu beklagen gab.

Starke Frauen und Biografisches

Lotti Huber
In "Unsere Leichen leben noch" stand die Kabarettistin und Sängerin Lotti Huber 1981 für von Praunheim vor der KameraBild: picture-alliance/dpa

Neben Schwulenthemen spielen immer wieder starke und vor allem ältere Frauen eine Hauptrolle in seinem filmischen Schaffen. In "Meine Mütter" (2007) begibt sich von Praunheim in der lettischen Hauptstadt Riga auf Spurensuche nach der eigenen Vergangenheit, denn erst kurz zuvor offenbart ihm die Mutter, dass er adoptiert wurde. Mit fast 60 findet er heraus, dass er im Gefängnis zur Welt kam und seine leibliche Mutter in der Psychiatrie ermordet wurde. Später reist der Künstler noch einmal in die Vergangenheit: In "Praunheim Memoires" begleitet der Zuschauer den Filmemacher bei dessen ganz persönlichem Streifzug durch die Straßen seiner Jugend.

"Es gibt noch viel zu tun"  

Zum 70. Geburtstag drehen bekannte Regisseure wie Tom Tykwer und Robert Thalheim den Dokumentarfilm "Rosakinder", der von ihrer Beziehung zu ihrem "Filmvater" und Mentor erzählt. Jetzt, pünktlich zum 75., bringt der nimmermüde Filmemacher selbst wieder einen Film in die Kinos: "Überleben in Neukölln".

In den 40 Jahren, in denen Rosa von Praunheim Filme über Homosexuelle machte, hat sich viel verändert. Seit dem 1. Oktober 2017 dürfen auch schwule und lesbische Paare heiraten. Ist das nicht ein wunderbares Geburtstagsgeschenk zum 75? "Nein, überhaupt nicht", findet von Praunheim: "Wir wollten ja etwas anderes. Dass jetzt alles so auf Anpassung läuft und 'Wir machen's den Heteros nach', das war nicht so geplant."

Und noch etwas liegt ihm auf dem Herzen: "Viele Länder dieser Erde kriminalisieren Schwule noch immer. In Osteuropa, in Afrika und Asien sieht es schrecklich für Homosexuelle aus. Die Kirchen bekämpfen Schwule und Lesben vehement. Also, es gibt noch viel zu tun für uns und für mich in der kurzen Lebenszeit, die mir noch bleibt."

Rosa von Praunheim  und sein Freund Oliver Sechting küssen sich
Privat ist Rosa von Praunheim seit zehn Jahren glücklich mit Oliver Sechting liiertBild: picture-alliance/Eventpress HHH
Suzanne Cords Weltenbummlerin mit einem Herz für die Kultur