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Filmgeschichte (5): Neuer Deutscher Film

15. Januar 2012

Die 1960er Jahre brachten den großen Umbruch im deutschen Kino. Eine junge Generation von Filmemachern betrat die Bühne - und machte alles anders.

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Filmemacher Rainer Werner Fassbinder in einer Filmszene im Film 'Kamikaze' (Foto: dapd/Filmverlag der Autoren)
Rainer Werner Fassbinder - hier als DarstellerBild: dapd

Die wirtschaftliche und künstlerische Krise des kommerziellen Films ebnete in den 1960er Jahren den Weg für eine junge Generation von Filmemachern: Rainer Werner Fassbinder, Werner Herzog, Alexander Kluge und Wim Wenders prägten mit ihren Arbeiten den Neuen Deutschen Film. Aus Frankreich übernahmen sie die Idee des Autorenfilms der Nouvelle Vague, viele waren von der Studentenbewegung beeinflusst: Von nun ab schrieben Regisseure wie Werner Schroeter, Jean-Marie Straub und Hans-Jürgen Syberberg ihre Drehbücher selbst, und sie versuchten, mit einer neuen Bildersprache, den alten, konventionellen Film abzulösen

Das Private ist Politisch

Die Themen des Neuen Deutschen Autorenfilms stammten vorwiegend aus dem Alltag, man erzählte Geschichten von Durchschnittsmenschen oder beschrieb Partnerschaftsprobleme wie in Ulrich Schamonis "Es" (1966) oder "Mahlzeiten" (1967) von Edgar Reitz. Sexualität wurde offen thematisiert. Schauspieler wurden nicht als glatte Schönheiten, sondern als Gesichter mit Charakter gezeigt. Die neuen deutschen Filmemacher verzichteten auf technische Vollkommenheit und arbeiteten vielfach mit Laiendarstellern. Werner Herzog erhielt für "Lebenszeichen", seinen ersten abendfüllenden Spielfilm, 1968 den Bundesfilmpreis.

Edgar Reitz während der Dreharbeiten zu 'Der Schneider von Ulm' (Foto: KPA)
Wegbereiter des "neuen" Films: Edgar ReitzBild: picture-alliance / KPA

Was so unterschiedliche Regisseure wie Volker Schlöndorff, Rudolf Thome und Peter Fleischmann einte, war kein gemeinsamer Stil, sondern die Rigorosität, mit der sie überkommene Vorstellungen vom Film als Traumfabrik verwarfen: "Die Amerikaner haben selbst unser Unterbewusstsein kolonialisiert", sagt Wim Wenders in seinem Spielfilm "Im Lauf der Zeit" (1976).

Thema Ausländerfeindlichkeit

In seinem Melodram "Angst essen Seele auf" (1973) erzählte Rainer Werner Fassbinder von einer deutsch-marokkanischen Liebesbeziehung, von Ausländerfeindlichkeit und den Mechanismen sozialer Unterdrückung. Filmemacherinnen wie Helke Sander, Helma Sanders-Brahms und Margarethe von Trotta stellten die traditionelle Rolle der Frau in Familie und Gesellschaft in Frage. Im Kino des Neuen Deutschen Films erschien die Bundesrepublik als ein Land des Umbruchs, des Unwillens gegen das alte Wertesystem der Väter, die für Nationalsozialismus und millionenfachen Judenmord verantwortlich gemacht wurden.

NS-Vergangenheit im Kino

Regisseure wie Alexander Kluge, Edgar Reitz und vor allem Rainer Werner Fassbinder stellten die Frage nach der NS-Vergangenheit und ihrer Nachwirkungen in der Bundesrepublik,  Fassbinder etwa in seinen Melodramen "Die Ehe der Maria Braun" (1978) und "Lili Marleen" (1980). Heute gilt Fassbinder als wichtigster Vertreter des Neuen Deutschen Kinos. Sei es, weil er produktiver war als jeder anderen (in 17 Jahren inszenierte er über 50 Filme, Fernsehreihen und Theaterstücke), sei es, weil Fassbinder zu den eigenwilligsten Vertretern des neuen deutschen Films gehörte und mit seinen Arbeiten Deutschland aus dem filmischen Dornröschenschlaf geweckt hatte.

Szene aus 'Die Blechtrommel' (Foto: ullstein - Tele-Winkler)
Oscar für das junge deutsche Kino: "Die Blechtrommel" von Volker SchlöndorffBild: ullstein - Tele-Winkler

Volker Schlöndorffs Markenzeichen dagegen waren Literaturverfilmungen: "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" (1975, nach der Erzählung von Literaturnobelpreisträger Heinrich Böll) über den Sensationsjournalismus der Bild-Zeitung und "Die Blechtrommel" (1979, nach dem gleichnamigen Roman des Literaturnobelpreisträgers Günter Grass) waren Kassenhits. Ihr Handwerk - so wie Schlöndorff - lernten die neuen deutschen Filmemacher im Ausland, oder sie sammelten ihre Erfahrungen mit dem Medium autodidaktisch, in dem sie ohne nennenswertes technisches Vorwissen Kurzfilme zu drehen begannen.

Anarchie im Kino

Wie Herbert Achternbusch, der mit seinen Filmen bewusst gesellschaftliche Tabus brach. Achternbusch griff die katholische Kirche an und attackierte die seiner Ansicht nach verlogene Gesellschaft mit absichtlich provokant-geschmacklosen Szenen. Der Held seines Films "Der Komantsche" (1979) war ein Komantsche, weil er im Koma lag. Aber die Fähigkeit zu träumen hatte er immer noch. Im Film holt dann ein Arzt per Antenne und Videoschirm die Träume aus seinem Kopf heraus, um sie ans Fernsehen zu verkaufen. Die Antenne an der Schädeldecke des Patienten glich der Feder eines Indianers. Der Träumer wurde zum Symbol eines Künstlers, der einem  untergegangenen Stamm zugehörig war.

Auf den Festivals erfolgreich

Keine andere nationale Kinematographie war so erfolgreich wie die deutsche, wenn man die Festivalpreise zu Grunde legt, die der neue deutsche Film Ende der 1960er Jahre bis in die frühen 1980er Jahre hinein erhielt. Und die Bundesrepublik unterstützte diese Entwicklung durch ein Filmförderungsgesetz, das am 1. Januar 1968 in Kraft trat – und bis heute nachwirkt.

Autor: Michael Marek
Redaktion: Jochen Kürten