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Fischer am Pranger

Jens Thurau15. Februar 2005

Noch sind manche Fragen offen in der so genannten Visa-Affäre. Im Zentrum steht Bundesaußenminister Joschka Fischer. Und damit wird auch am Image des weitaus beliebtesten deutschen Politikers gekratzt.

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Jens Thurau
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Er trat kurz in den Schnee hinaus, der Bundesaußenminister. Dort warteten die Mikrofone. Ja, er werde die Verantwortung übernehmen für mögliche Fehler bei der Visa-Vergabe, er werde im Untersuchungsausschuss aussagen, ansonsten sei das Ganze der durchsichtige Versuch des politischen Gegners, die Grünen im Wahlkampf treffen zu wollen. Sprach's und verschwand.

Nicht nur Joschka Fischer, auch andere Spitzengrüne legen in diesen Wochen eine erstaunliche Gelassenheit an den Tag. Die Missstände, die etwa an der Botschaft in Kiew dazu führten, dass es Schleuserbanden gelang, Menschen in hoher Zahl illegal nach Deutschland zu bringen, diese Missstände sind nach Ansicht der Grünen nicht von ihnen verursacht.

Richtig ist, dass Visa-Erleichterungen wie die umstrittenen Reiseschutzpässe schon von der Vorgängerregierung eingeführt wurden - richtig ist aber auch, dass während der rot-grünen Regierungsjahre die Anzahl der Visa-Anträge sprunghaft stieg - und fast alle wurden genehmigt. Fischer hat lange dazu geschwiegen, andere Spitzengrüne auch. Jetzt scharen sie sich um ihren prominentesten Vertreter - und schotten sich ab. Das ist eine Kampagne gegen den beliebsteten Politiker des Landes, ist zu hören, gesteuert von Union und FDP - und natürlich von den Medien.

Das ist noch nicht mal ganz falsch. Fischer war lange der Liebling der Presse, manch einer langt jetzt umso heftiger zu, um sein schlechtes Gewissen nach Jahren des "Fischer-Kults" zu beruhigen. Und dass nicht alles unsinnig war, was sich Fischers Auswärtiges Amt so Neues ausdachte für die Visa-Praxis, stimmt auch. Deutschland möchte ein weltoffenes Land sein, der berühmte Erlass aus dem Jahre 2000 sollte Wissenschaftlern und Künstlern, die gern und oft gen Westen reisen, lästige Bittgänge zur Botschaft ersparen.

Aber der Missbrauch wurde eben auch leichter, und Fischer sah den schlimmen Zuständen in und vor der Botschaft lange tatenlos zu. Jetzt hat seine Partei eine kleine Krise am Hals, und der Patriarch übernimmt die Verantwortung. Was genau er damit meint, ist unklar, an Rücktritt denkt er sicher nicht.

Dazu wird es auch nicht kommen, die umstrittene Visa-Praxis hat die Regierung ja bereits im vergangenen Jahr beendet. Aber am Lack des ansonsten blendend dastehenden Außenministers wird gekratzt - und die Grünen nehmen übel. Lange Jahre waren sie Spezialisten darin, der alten Regierung Fehler nachzuweisen und auf Aufklärung zu dringen. Kurz: Sie waren eine gute Oppositionspartei. Dass dabei Manches grob vereinfacht wird, dürfte gerade dem früheren Oppositions-Polterer Joschka Fischer nicht fremd sein. Mit dem Tausch der Rollen kommt er weniger gut klar.

Die Grünen haben den Zeitpunkt verpasst, offensiv mit der Affäre umzugehen. Jetzt ist der Schaden da. Für eine Partei, die bald sechseinhalb Jahre Regierungserfahrung auf dem Buckel hat, haben sie die Tragweite des Problems erstaunlich lange erstaunlich falsch eingeschätzt. Und ihr Führungspersonal zeigt ebenso erstaunlich wenig Einsicht. Vielleicht ging es den Grünen zu lange zu gut. Dann hätte die Affäre für sie sogar noch ein Gutes: Sie wieder auf den Boden zurückzuholen nämlich.