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Weihnachtsstress

Andrea Grunau23. Dezember 2013

Weihnachten ist das wichtigste Familienfest, so sehen es die meisten Deutschen. Alles soll stimmen: Geschenke, Essen und natürlich die Stimmung unterm Weihnachtsbaum. Das kann gerade Familien richtig Stress machen.

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Symbolbild zu Stress an Weihnachten - ein Paar gestikuliert hinter dem Tannenbaum (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

"Was machen wir Weihnachten?" - alle Jahre wieder entscheiden Familien, wo, wie und mit wem sie das traditionelle Familienfest feiern. Fährt man zu den Großeltern oder kommen sie ins Haus? "Wir sind bei den Schwiegereltern, eigentlich der letzte Ort, wo ich sein möchte", stöhnt mancher. Kocht man zuhause oder geht es ins Restaurant? Trifft man auch noch Onkel und Tanten?

Im Weihnachtslied wird die "Stille Nacht, Heilige Nacht" besungen, aber manchmal gibt es auch Frust und Streit unterm Weihnachtsbaum. Einigen Gesichtern kann man in den Gottesdiensten an Heiligabend, dem 24. Dezember, den Stress ansehen, das hat der Koblenzer Pfarrer Pater Ignatius Nadol vom Deutschen Orden beobachtet: "Wenn Familien in die Kirche rein gehetzt kommen, wenn man sieht, dass der Haussegen schief hängt". Viel mehr Menschen als sonst strömen Weihnachten in die Kirchen, suchen hier Besinnlichkeit und Weihnachtsstimmung.

Schon lange vor dem Fest beginnt der Stress

Gestresst fühlen sich viele schon im Advent: In Kindergärten und Schulen, in Vereinen und am Arbeitsplatz gibt es vorgezogene Weihnachtsfeiern. Dazu kommt oft Zeitdruck im Beruf, denn viele Aufgaben sollen bis Weihnachten oder bis zum Jahresende erledigt sein. Schulkinder schreiben fast täglich Klassenarbeiten und Tests. Zwischendurch ist das Fest vorzubereiten, es wird gebastelt, gebacken und eingekauft.

Studien zum Stress ums Weihnachtsfest gibt es kaum, sagt Dr. Christine Altenstein vom Institut für Medizinische Psychologie der Universität Greifswald. Die Psychologin beschäftigt sich mit Auslösern, Folgen und Strategien gegen Stress. Typische Symptome sind Schlafstörungen, Magenbeschwerden, Kopfschmerzen, Müdigkeit, Vergesslichkeit und Gereiztheit. Bekannt sei, sagt Altenstein, dass nach Weihnachten vermehrt depressive Störungen aufträten. Es komme immer darauf an, welche Ansprüche der Einzelne an sich stelle und wie er sie bewältige. Darum gebe es auch kein Patentrezept, um Stress zu vermeiden.

Geschenke und hohe Erwartungen machen den meisten Stress

Den größten Weihnachtsstress empfinden die meisten bei der Jagd nach den richtigen Geschenken, das sagten in einer Umfrage 40 Prozent. Wer neben der Großfamilie noch Kollegen, Nachbarn, die Klavierlehrerin und den Fußballtrainer beschenken will, braucht 20 bis 30 Geschenke. In den Innenstädten steht man im Stau, die Parkhäuser sind überfüllt. Dann muss der perfekte Weihnachtsbaum her, die Dekoration und alles fürs Festtagsessen.

Ein Mann geht mit vollen Tüten durch eine Einkaufsstraße (Foto: dpa)
Die richtigen Geschenke zu finden, stresst viele MenschenBild: Fotolia/Alliance

Auch die Erwartungen an ein harmonisches Fest und die gemeinsame Feier mit der Familie findet mehr als jeder vierte belastend. Viel zu wenige sprächen rechtzeitig offen darüber, sagt Christine Altenstein. "Wann machst du denn endlich dein Examen?", "Wollt ihr denn gar keine Kinder haben?" oder "Warum hast du dich von deinem Mann getrennt?", Angst vor Fragen wie diesen stresse viele schon vor Weihnachten. Es könne helfen, fest zu verabreden, solche Themen nicht unter den Baum zu tragen. Das Problem sei eigentlich nicht das Treffen zu Weihnachten, sondern dass viele Familien sich heute übers Jahr viel zu selten sähen.

Fliehen oder kämpfen

Stress an sich sei positiv und setze seit Urzeiten beim Menschen Energien frei, um fliehen oder kämpfen zu können, erklärt die Psychologin. Man brauche aber Erholungspausen. Wenn die fehlten, könne an Weihnachten schon ein kleiner Anlaß zum Drama werden. Eine Flucht vor dem Fest ist für Familien eher schwierig, das zeigt die Aussage einer Mutter mit drei Töchtern: Sie würde gerne mal verreisen, "aber das möchten die Kinder auf keinen Fall". Auch manche Großmütter bestehen auf einem gemeinsamen Heiligabend.

Porträt Dr. Christine Altenstein (Foto: Anja Ullmann, Universität Greifswald)
Psychologin Christine Altenstein feiert Weihnachten mit ihrem Mann, drei Söhnen, Urgroßmutter und GroßelternBild: Anja Ullmann

Die sogenannte "Sandwich-Generation", die es Kindern wie Großeltern recht machen will, empfindet das Weihnachtsfest besonders oft als Stress, das bestätigt eine Studie der Techniker Krankenkasse. Noch schwieriger wird es in zerstrittenen oder in Patchwork-Familien. "Wenigstens ein paar Stunden habe ich die Kinder an Heiligabend", erzählt eine Mutter, "dann holt ihr Vater sie ab". Gerade in Trennungs-Familien mit kleineren Kindern kann Weihnachten Anlass für Streit sein.

Sehnsucht nach heiler Welt und heiler Familie

"Kein anderes Fest wird so mit heiler Welt verbunden wie Weihnachten", sagt Theologe und Psychologe Dr. Martin Hofmeir, das liege wohl auch an Kindheitserinnerungen. Hofmeir leitet die Seelsorge im Gästehaus Kloster Arenberg, das wie viele Klöster Weihnachten voll belegt ist. Beim Weihnachtsfest zuhause fühlten sich vor allem Frauen dafür verantwortlich, dass wenigstens einmal im Jahr die ganze Familie zusammenkomme und heil wieder auseinandergehe.

Dr. Martin Hofmeir (Foto: privat)
Der Theologe und Psychologe Martin Hofmeir rät dazu, die Erwartungen an Weihnachten nicht zu hoch zu schraubenBild: privat

"Weihnachten kann wunderbar sein", sagt Hofmeir, selbst dreifacher Vater, "es kann aber auch schrecklich sein". Besonders schwierig sei das Fest für Familien, die jemanden verloren hätten oder die es schwer miteinander hätten. Sie - wie auch alle, die alleine sind - fänden in Kloster Arenberg eine Alternative, "ohne irgendetwas zu müssen".

Feiern über Skype und Facebook?

Immer mehr Kinder leben weit weg von den Eltern, das beobachtet Pater Ignatius. Weihnachtsreisen von Frankfurt nach Hamburg oder München, vielleicht auch aus London oder Paris, machten natürlich Stress. "Ob man Weihnachten über Skype und Facebook feiern kann?" fragt der Pfarrer, "Man kann alles, wenn man will, aber da geht viel verloren."

Porträt des Koblenzer Pfarrers Pater Ignatius Nadol vom Deutschen Orden (Foto: privat)
Krippenfeier, Familien-Gottesdienst und Christmette - auch Pater Ignatius braucht nach Weihnachten ErholungBild: privat

Er rät zu mehr Gelassenheit, wenn Weihnachten mal nicht so perfekt ausfalle: "Ich denke, auch Maria und Josef hätten sich diese Tage anders vorgestellt, als in einem Stall bei einem Ochsen und einem Esel Marias Kind auf die Welt zu bringen".

Nach Weihnachten ist vor Weihnachten

Spätestens nach Weihnachten ist Erholung angesagt. Stress stärke zwar kurzfristig das Immunsystem, sagt Christine Altenstein. Er dürfe aber nicht zu lange dauern. Viele Menschen würden zwei Wochen nach der Anspannung krank und die Erholung dauere länger als die Stress-Phase. Wer den ganzen Advent unter Strom stand und auch Weihnachten Stress hatte, der dürfte das wochenlang spüren.

Auch nach den Feiertagen ist Kloster Arenberg ausgebucht, weil sich viele vom Weihnachtsstress erholen wollen. Das ist eine gute Zeit, um zu überlegen, was man im nächsten Jahr anders machen will, denn dazu raten alle Experten. Wer rechtzeitig bespricht, wie Weihnachten werden soll und die Aufgaben auf alle verteilt, hat bessere Chancen, das nächste Fest so zu erleben wie in einem anderen Weihnachtslied: "O du fröhliche, o du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit".

Kindern, Eltern und Großeltern unter dem Weihnachtsbaum
Wer rechtzeitig plant und sagt, was er will, kann Weihnachten mit der Familie mehr genießenBild: Fotolia/Tyler Olson