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"Wir sind jetzt Straßenjungs“

Kathrin Erdmann1. Juni 2013

Das Schicksal afrikanischer Flüchtlinge belastet derzeit die deutsch-italienischen Beziehungen. Grund dafür sind mehrere hundert junge Männer, die sich seit einigen Monaten in Deutschland aufhalten.

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Schon morgens sitzen die Kriegsflüchtlinge in dem Zelt und sammeln Unterschriften (Foto: Kathrin Erdmann/DW)
Bild: DW

Morgens um acht Uhr sitzen schon die ersten in einem behelfsmäßigen Zelt direkt am Hamburger Hauptbahnhof. An der linken Außenwand hängt ein Banner: "Der Nato-Krieg hat unsere Flucht verursacht. Wir fordern unsere Rechte", ist darauf zu lesen. Im Zelt sitzt Friday. Der 31-jährige Nigerianer ist vor etwas mehr als einem Monat aus Italien nach Hamburg gekommen, nachdem dort die Flüchtlingslager geschlossen wurden. Friday erhielt Reisepapiere für den Schengenraum und 500 Euro in bar: "Das war ein Geschenk der italienischen Regierung. Sie haben gesagt, sie können uns nicht mehr länger finanzieren."

Denn die Gelder aus dem Flüchtlingsfonds der Europäischen Union sind im Februar ausgelaufen, die Unterkünfte in Italien wurden daraufhin geschlossen. Die Männer standen buchstäblich auf der Straße. "Sie haben uns Papiere gegeben und gesagt, wir können in jedes andere EU-Land gehen und dort ein neues Leben beginnen." Die italienische Regierung hat diese Behauptungen inzwischen zurückgewiesen, sie habe den Flüchtlingen nie explizit zur Ausreise geraten, heißt es.

Ein weißes Zelt mit Banner und Schriftzügen. (Foto: Kathrin Erdmann/DW)
So machen die Flüchtlinge aus Afrika Hamburg aufmerksam auf ihre SituationBild: DW

Wohlhabend in Libyen, obdachlos in Deutschland

Friday hat zwei Jahre in Italien gelebt. Warum er nun ausgerechnet in Hamburg gelandet ist, kann er nicht sagen. Insgesamt 300 Afrikaner mit ähnlicher Geschichte sollen sich in der Hansestadt aufhalten, und alle haben Angst, dass sie wieder nach Italien abgeschoben werden: "Wenn wir zurückmüssen, gehen wir zurück in die Hölle. Wir wissen nicht, was mit uns dort passieren wird."

Der 31-Jährige sagt, er habe in Libyen als Automechaniker gearbeitet. Dort habe er ein gutes Leben gehabt, alles was er wollte, sagt auch Affo aus Togo. Doch nachdem der libysche Machthaber Gaddafi gestürzt war, wurden die jungen Männer aus dem Ausland verfolgt. Die Einheimischen sahen in ihnen Unterstützer des Diktators. Es hieß, sie seien Söldner gewesen. Affo weist das vehement zurück.

Die Wochen in Deutschland ohne feste Bleibe haben ihn offensichtlich zermürbt, müde und aggressiv gemacht. "Wir suchen uns jede Nacht eine andere Unterkunft, schlafen mal hier, mal da. Wir leben auf der Straße." Als sich er und andere Afrikaner kurzfristig in einer Grünanlage niedergelassen hatten, werden sie schnell vertrieben. Es ergeht sogar eine schriftliche Drohung: "Wenn sie nicht freiwillig den Park räumen, müssen wir zwangsräumen", steht auf dem Papier eines Hamburger Bezirks.

Keine Arbeitserlaubnis, keine Perspektive

Schon macht das Wort von einer drohenden humanitären Katastrophe die Runde. In der Hamburgischen Bürgerschaft, dem Parlament der Hansestadt, kam es deshalb in diesen Tagen zu einer heftigen Debatte: "Diese Missachtung der Menschenwürde ist eine Schande für die Stadt", empört sich im Gespräch mit der Deutschen Welle Christiane Schneider von der Partei Die Linke. Die Stadt ducke sich weg und lasse die Kriegsflüchtlinge im Stich, heißt es auch von den Grünen.

Innenpolitische Sprecherin der Hamburger Linken, Christiane Schneider: (Foto: Kathrin Erdmann/DW)
Christiane Schneider: "Wir brauchen eine europäische Lösung"Bild: DW

Der angesprochene Sozialsenator Detlef Scheele von der Sozialdemokratischen Partei (SPD) sieht das anders: Die Stadt bemühe sich händeringend um Unterkünfte, Zelte seien auch wegen des Dauerregens nicht das richtige Mittel. "Wir sind in Verhandlungen, und sobald wir etwas gefunden haben, bringen wir die Männer unter", verspricht er. Allerdings nur für maximal anderthalb Monate, "denn die Männer haben keine Arbeitserlaubnis und kein Aufenthaltsrecht in Deutschland", stellt der Senator klar.

Italien oder Afrika

Das Bundesinnenministerium verhandelt seit einigen Wochen mit der italienischen Regierung über eine Rückführung der Männer: Italien will sie zurücknehmen, aber dann müsse auch für eine ordentliche Unterkunft gesorgt sein, unterstreicht Scheele. Aber was, wenn das nicht innerhalb von sechs Wochen möglich ist? Darauf hat er auch keine Antwort, nur so viel weiß er: Das Bundesinnenministerium habe Hilfe zugesagt.

Für Christiane Schneider von den Hamburger Linken geht es im Grunde um etwas ganz anderes: "Es ist ungerecht, wenn Italien 60.000 Flüchtlinge nimmt und Deutschland nur ein paar hundert. Wir brauchen deshalb eine europäische Lösung." Doch die Verhandlungen zwischen Italien und Deutschland gehen bereits in eine ganz andere Richtung. Am liebsten will man die jungen Männer ganz aus der EU in ihre afrikanischen Heimatländer zurückbringen.

Die Kriegsflüchtlinge finden das zynisch. Schließlich hätten sich an den Bombenangriffen auf Libyen, die vor zwei Jahren zum Sturz Gaddafis führten, auch europäische Länder beteiligt. Und damit tragen sie aus Sicht von Friday, Affo und den anderen eine Mitschuld daran, dass sie ihre Lebensgrundlage verloren haben und sich jetzt in dieser Lage befinden.