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"Hajusom" - ein Theaterprojekt mit Flüchtlingen

Andrea Kasiske2. Januar 2016

Minderjährige Flüchtlinge stehen beim Hamburger Theaterprojekt Hajusom auf der Bühne. Sie gehören ganz normal zum Ensemble. Für sie ist es auch eine Chance, sich mit ihrer Geschichte auseinanderzusetzen.

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Zwei Schauspieler halten Masken in der Hand auf einer Bühne, Foto: Lutz Saure
Bild: Lutz Saure

"Ich habe Feuer bei dir gesehen." "Feuer?", der junge Mann im weißen Trainingsanzug schaut irritiert und sucht mit Hilfe eines afghanischen Mitspielers nach dem richtigen Wort. "Kugelschreiber, ja, ich habe versucht die Mine zu sein, die aufspringt !". Großes Gelächter. Die Stimmung beim Improvisations-Training von Hajusom ist sehr entspannt. So kurz vor Weihnachten ist nur die Hälfte des Ensembles anwesend. Vierzehn junge Erwachsene, die meisten Migranten. Sie arbeiten zur Zeit allein, denn die beiden Regisseurinnen Ella Huck und Dorothea Reinicke sind zur Zeit in Mali, um dort ein Projekt mit Jugendlichen vorzubereiten.

Vor sechzehn Jahren haben die beiden Theaterpädagoginnen Hajusom in Hamburg gegründet. "Wir hatten damals schon eine Ahnung, wie relevant das Projekt sein wird", sagt Dorothea Reinicke noch vor ihrer Abreise. Denn schon im Jahr 1999 kamen viele Jugendliche allein aus Afghanistan, Iran, Sierra Leone und Liberia nach Deutschland. Mit einigen dieser "unbegleiteten Flüchtlinge" entstand 2000 das erste Stück "Sieben Leben". Es erzählt von persönlichen Erlebnissen, Traumata während und vor der Flucht, z.B. als Kindersoldat, kombiniert mit Musik, Gesang und Tanz.

Schauspielerin schwenkt eine Fahne auf der Bühne, Foto: Lutz Saure
In dem Stück "Paradise Mastaz" werden europäische Touristen als Marionetten aus Holz dargestelltBild: Lutz Saure

Mit diesem Stück wurden sie nach Berlin eingeladen und tourten durch Deutschland. Ein bürokratischer Hindernislauf damals wie heute. Befristete Aufenthaltserlaubnis, Duldung, laufende Asylverfahren mit Residenzpflicht in Hamburg. Jede Tournee entwickelt sich so zur Tortur. Aber sie haben das geschafft. Inzwischen kann sich das mehrfach preisgekrönte Ensemble vor Anfragen im In- und Ausland kaum noch retten. Ein Erfolg ihrer künstlerischen Leistung, wie die Macherinnen betonen.

Flüchtlinge werden wie richtige Künstler behandelt

“Wir sind kein Flüchtlingsprojekt“, erklärt Dorothea Reinicke mit Nachdruck. Wie sie zu den Flüchtlingen Vertrauen aufbauen? "Wir haben kein pädagogisches Konzept, sondern behandeln sie als junge Künstler“, sagt Reinicke. Die Stücke entstehen gemeinsam, nicht aus vorgefertigten Texten. Die Sichtweisen und Fähigkeiten jedes einzelnen fließen ein. In einem der letzten Stücke wollte ein Junge keine Frauenstrümpfe auf der Bühne anziehen. Dieses Thema wurde dann Teil der Aufführung. Eine offene Arbeitsweise, die die beiden Regisseurinnen aus ihrer eigenen Performancelaufbahn mitgebracht haben.

"Für mich ist Hajusom wie eine Familie, in der ich mich wohlfühle“, sagt Aboubakar Maiga. Er ist 2011 allein aus Mali nach Hamburg gekommen. Über seine Betreuerin hat er von Hajusom erfahren. Dass es noch ein Ensemblemitglied aus Mali gab, hat ihm den Kontakt erleichtert. "Ich hatte Angst, dass ich mich nicht verständigen kann", erzählt er. Doch Aboubakar hatte Glück und durfte bei der Aufführung "Paradise Mastaz" mitmachen. Mit dem Erfolgsstück über Migration, mit schrägen Puppen und Livemusik, war Hajusom jüngst in München und in Berlin zu sehen. "Anfangs gab es sehr viele Sachen, die ich nicht kannte. Ich fand es schön, dass ich von den anderen in der Gruppe und ihren Kulturen etwas lernen konnte.“ Maiga Aboubakar erzählt unbefangen von seiner Herkunft. Andere schweigen lieber.

Deutschland HAJUSOM Theatergruppe in Hamburg
Improvisation bei den Proben von HajusomBild: DW/A. Kasiske

"Wir sind nicht einzuordnen, wir sind transnational", sagt Zandile Darko, eine der älteren Ensemblemitglieder wird deutlich. Nicht nur sie stört sich an den ständigen Fragen nach Nationalität und Herkunft. "Wir sind eine Performancegruppe aus Hamburg und wollen als Künstler wahrgenommen werden!“ Kein Flüchtlingsbonus, keine Exotik, sondern es zählt, was auf der Bühne zu sehen ist. Eine starke und berechtigte Forderung. Seit dem Generationswechsel 2011, wo einige der Mitglieder der ersten Stunde das Theater verlassen haben und die Nachwuchsgruppe "Neue Sterne" entstand, ist die Truppe gemischt. Flüchtlinge, Deutsche mit "Migrationshintergrund", Deutsche. Keiner möchte sich auseinander dividieren lassen.

Kochen für alle Kulturen

"Wir haben keine Leitkultur, wir nehmen das Beste von allem und wollen, dass die Kanten zwischen den einzelnen Kulturen weniger scharf sind", meint Katalina Götz, die Co-Regisseurin. Probleme würden mit allen diskutiert.

Diese Offenheit spüren auch die Besucher und Neuankömmlinge, ob montags beim HipHop oder in der theatereigenen Kochgruppe. Arman Marzak, früher Ensemblemitglied, betreibt jetzt ein Catering und kocht regelmäßig mit ein paar Jungs. Gemeinsam essen, da entsteht ein Gefühl von Zuhause. Ab Januar wird sich Hajusom mit einem kleinen Stück in Schulen und Flüchtlingseinrichtungen präsentieren. "Welcome-Showers“ nennt Dorothea Reinicke das. "Wir wollen die jungen Leute mit positiven Gefühlen duschen“, sagt sie lachend. Nicht die schlechteste Strategie, um den Theaternachwuchs zu empfangen.