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Flüchtlinge: Unterschiedliche Sorgen

Toms Ancītis21. August 2015

Lettland nimmt wesentlich weniger Flüchtlinge auf als Deutschland. Dennoch reagieren die Deutschen in vielerlei Hinsicht pragmatischer. Beobachtungen eines lettischen Journalisten.

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Symbolbild Deutschland Flüchtlinge kommen an
Bild: picture-alliance/dpa/S. Rampfel

Das "Allerweltshaus", ein interkulturelles Begegnungszentrum in Köln, ist vollbesetzt. An den Tischen sitzen Männer und Frauen, trinken Bier und essen afrikanische Speisen. Es ist ein Treffen von Flüchtlingen und ihren ehrenamtlichen Helfern. Dabei ist auch Alfa Uleh, ein junger Mann aus Guinea, der vor zwei Monaten nach Deutschland gekommen ist.

Sieben Monate saß er in Guinea im Gefängnis. "Meine Straftat war ein Bild." Zuhause sei er professioneller Künstler gewesen, erzählt er. Dann habe er ein Bild gemalt, indem er den Staatspräsidenten als Dämonen abgebildet habe. Nach der Freilassung sei er sofort ausgewandert.

Über Europas Probleme mit den stark gestiegenen Flüchtlingszahlen weiß Alfa Uleh wenig. Auch von dem Brüsseler Vorschlag, Flüchtlinge innerhalb Europas durch eine Quotenregelung zu verteilen, um Länder wie Griechenland und Italien zu entlasten, hat er noch nichts gehört. Der Vorschlag ist an Ländern wie Polen, Ungarn, der Slowakei und den baltischen Staaten gescheitert. Stattdessen haben sich einige Länder darauf geeinigt, eine bestimmte Anzahl von Flüchtlingen freiwillig aufzunehmen.

Eines davon ist Lettland. Anstatt der von Brüssel vorgeschlagenen Quote, die 737 Menschen entsprochen hätte, nimmt Lettland nun in den nächsten zwei Jahren 250 Flüchtlinge auf. Die lettischen Politiker feierten diese deutlich niedrigere Zahl als Erfolg.

Mehr Flüchtlinge in Freital als in Lettland

Von der Existenz Lettlands hört Alfa ebenfalls zum ersten Mal. Er muss erst auf die Landkarte schauen, um zu sehen, wo das liegt. Aber er würde nach Lettland gehen: "Wenn ich mein Leben retten muss, dann ist es mir völlig egal, wohin ich fliehe. Ich wäre auch bereit, nach Grönland auszuwandern, obwohl es da so kalt ist", sagt er. "Es geht doch um Leben und Tod!"

Zenagebriel Tekle
Zenagebriel Tekle aus EritreaBild: DW/T. Ancītis

Zenagebriel Tekle aus Eritrea möchte hingegen nicht nach Lettland. Schon seit zwei Jahren wartet er in Deutschland auf Asyl und hat inzwischen auch die Sprache gelernt: "Noch eine Fremdsprache? Oh, dann brauche ich ja wieder eine Ewigkeit, um am Alltag teilzunehmen…lieber nicht nach Lettland."

Unabhängig davon, was Zenagebriel und Alfa denken, wären die beiden Afrikaner in Lettland alles andere als willkommen. Seit Monaten beherrscht das Flüchtlingsthema die Schlagzeilen. In den Kommentaren im Internet dominieren Hass und Fremdenfeindlichkeit. Parolen wie "Nein zu Immigranten!", "Beendet den Genozid an den weißen Nationen!" gehörten noch zu den freundlichsten Rufen, die bei einer Protestaktion vor dem Regierungsgebäude in Riga Anfang August zu hören waren.

Demonstranten in Riga halten ein Plakat mit der Aufschift "Stop Islam" hoch. (Foto: REUTERS/Ints Kalnins)
Klare Symbolik bei Protesten gegen Flüchtlinge in RigaBild: Reuters/I. Kalnins

Mit seiner öffentlichen Rhetorik ähnelt Lettland dem sächsischen Freital, der Stadt, die mit den heftigen Protesten gegen Flüchtlinge zu einem traurigen Symbol für Fremdenhass geworden ist. Aber es besteht ein Unterschied: Im Gegensatz zu Freital gibt es in Lettland kaum Flüchtlinge.

Im einzigen Aufnahmelager in Lettland leben 54 Asylbewerber. Mit den zusätzlichen 250 Flüchtlingen, die nun kommen sollen, läge die Zahl immer noch unter der von Freital.

Freital hat 40.000 Einwohner, Lettland dagegen zwei Millionen. Freital ist eine Kleinstadt, Lettland ist flächenmäßig größer als Dänemark. Insgesamt erwartet Deutschland 800.000 Flüchtlingen in diesem Jahr.

"Lettische Sondersituation"

Sogar die härtesten Flüchtlingsgegner in Lettland leugnen nicht, dass 250 Migranten für das Land verkraftbar sind. Mit den neuen Flüchtlingen öffne man aber das Tor für viele weitere, sagt der Vorsitzende der Nationalen Allianz, Raivis Dzintars. Die Partei ist an der Regierung beteiligt und gilt in Deutschland als rechts-national. Laut Dzintars gehe es nicht um Gleichgültigkeit, sondern um die "lettische Sondersituation".

Damit meint er, dass während der Sowjetzeit Hunderttausende russischsprachige Einwanderer aus anderen Sowjetstaaten zugewandert sind. So ist mehr als ein Drittel der Einwohner Lettlands russischsprachig. Darunter sind auch 262.000 sogenannte Nichtbürger - Menschen, die bis heute weder eine lettische noch eine andere Staatsbürgerschaft besitzen. Lettland kämpft noch immer damit, sie in die Gesellschaft zu integrieren. Noch mehr Immigranten würden "den Selbstmord der Nation bedeuten", so Dzintars.

Rechte Proteste gegen das Flüchtlingslager in Freital (AP Photo/Jens Meyer)
Rechte Protesten gegen Flüchtlinge in der Stadt Freital.Bild: picture-alliance/AP Photo/J. Meyer

Doch in der lettischen öffentlichen Diskussion dreht sich eigentlich alles um die Integration. Was werden die 250 zusätzlichen Flüchtlinge mit dem Land machen? Soll man nur die gut ausgebildeten nehmen? Oder nur Christen und keine Muslime? Und werden die Afrikaner auch Lettisch lernen?

Für Dörte Mälzer, der Flüchtlingsberaterin des "Allerweltshauses" in Köln, sind das Luxusprobleme. Integration sei auch für Deutschland wichtig. Aber zurzeit habe das Land viel mehr damit zu kämpfen, überhaupt eine Unterkunft für die ankommenden Flüchtlinge zu finden. Jetzt gehe es erst mal darum, den kommenden Winter gut zu überstehen.