1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Flüchtlingsrettung als Inszenierung?

Karl Hoffmann, z. Zt. Crotone10. Dezember 2014

500 Flüchtlinge harren auf einem alten Frachter aus, der vor der Küste Italiens in Seenot geraten ist. Da die staatliche Marineoperation ausgelaufen ist, müssen sie auf private Hilfe warten. Und auch auf die Medien?

https://p.dw.com/p/1E25i
Flüchtlinge an Bord des Schiffs "Sandy" vor der italienischen Küste (Foto: Karl Hoffmann)
An Bord der Sandy sind auch viele Frauen und KinderBild: Karl Hoffmann

Vier Uhr am Morgen. Auf der "Alessandro Secondo" werden die Maschinen angeworfen. Kapitän Salvatore Lupo hat einen Funkspruch erhalten. Die italienische Küstenwacht hatte in der Nacht einen Frachter voller Flüchtlinge vor der kalabrischen Küste entdeckt. Weil er bei dem stürmischen Wetter offensichtlich in Seenot geraten war, ging ein Mann der Küstenwacht an Bord und steuerte ihn vorsichtig Richtung Norden in den Hafen von Crotone. Ein gefährliches Unterfangen, sagt Salvatore Lupo: "Es wäre besser gewesen, das Schiff mit dem Wind im Rücken nach Süden zu steuern - sicherer und viel bequemer für die Flüchtlinge. Seiner Meinung nach hätten die Flüchtlinge dann rund fünf bis zehn Stunden früher an Land gehen können. "Stattdessen kommen sie nun hierher nach Crotone. Das ganze Schiff ist in Gefahr. Man weiß ja nicht in welchem Zustand es sich befindet. Da werden Menschenleben riskiert", warnt der Kapitän.

Salvatore Lupo hat seine eigene Meinung zu dieser Irrfahrt der "Sandy" - so heißt der Frachter mit den Flüchtlingen an Bord. Er glaubt, dass eine glückliche Rettung auf hoher See regelrecht inszeniert wurde. Statt die Flüchtlinge sofort zu bergen, wurde die Ankunft in einen ordentlichen Hafen und auf den nächsten Tag verschoben, sagt Lupo. Die Kommandanten von Marine und Küstenwacht hätten sich stolz als Retter präsentieren wollen.

Letzte Rettung nach zwei Anläufen


Salvatore Lupo ist ein echter Seebär. Seit 40 Jahren fährt er täglich aufs Meer. Heute wäre er gern im Hafen geblieben. Es ist schneidend kalt, ein eisiger Wind bläst aus Norden. Das Flüchtlingsschiff "Sandy" kämpft schwer gegen die Wellen - ohne Schlepper geht es nicht mehr. Aus dem Bordfunk quäkt die Stimme des Marinesoldaten am Steuerruder des Flüchtlingsschiffs. "Kommt schnell mit dem Schlepper. Wir bereiten ein Schlepptau am Bug vor, das macht ihr fest und zieht uns bis zum Hafen“ tönt es aus dem Lautsprecher.

Bergung Sandy Schiff Crotone Italien Schiffsrettung Kalabrien
Salvatore Lupo steuert auf das Flüchtlingsschiff zuBild: Karl Hoffmann

Der Mann von der Küstenwacht scheint ruhig - aber das täuscht. Salvatore Lupo weiß genau, dass die Männer des Grenzschutzes keine erfahrenen Kapitäne sind wie er und in solchen Situationen dringend Hilfe von Experten brauchen. Als er sich nähert, sieht er fassungslos die Menge vermummter und winkender Gestalten auf dem Schiff. Früher trug der Frachter "Sandy" den Namen "Nordlicht" und hatte den Heimathafen Hamburg, wie noch unter der weißen Farbe des neuen Namens zu lesen ist.

Die Flüchtlinge tun Salvatore Lupo leid: "Sie haben bestimmt die ganze Überfahrt an Deck verbracht und sind total durchgefroren." Auch Steuermann Vito Vasile ist entsetzt: "Schau mal, wie viele Kinder da drunter sind - sogar Neugeborene." Kapitän Lupo gibt den Befehl, das Schiffstau an Bord zu holen. Endlich, nach zwei Versuchen klappt der Wurf. Jetzt hat Salvatore Lupo den 40 Jahre alten Frachter sicher am Haken seines 2000-PS-Schleppers. Er ist sichtlich erleichtert. Denn es sei ein Riesenglück, dass das Schiff heil angekommen ist. Lupo deutet auf den aus dem Wasser ragenden Bug: "Das Schiff ist völlig aus dem Gleichgewicht, es fährt ohne den nötigen Ballast und ist deshalb ausgesprochen instabil. Diese Menschen haben wirklich ihr Leben riskiert."

Flüchtlinge an Bord des Schiffs "Sandy" vor der italienischen Küste (Foto: Karl Hoffmann)
Glückliche Gesichter nach der RettungBild: Karl Hoffmann
Der Bug der "Sandy" ragt aus dem Wasser (Foto: Karl Hoffmann)
Der Bug der "Sandy" ragt gefährlich aus dem WasserBild: Karl Hoffmann

Private Hilfe für staatliche Rettung

Plötzlich kommt über Funk der Befehl, mit der Einfahrt in den Hafen noch zu warten. Der Hafenpilot fährt zu dem Flüchtlingsschiff und bringt zwei hohe Militärs in Paradeuniform an Bord. Sarkastisch kommentiert Kapitän Lupo die Kommandeure in Paradeuniform, die als stolze Helden von Bord schreiten, nachdem die Flüchtlinge stundenlang in Eiseskälte haben ausharren müssen.

"Wie auch immer, die Aktion war erfolgreich. Wir haben unsere Pflicht getan und unseren Teil beigetragen", fügt Lupo resigniert hinzu. Auszeichnungen bekommt er nicht. Der Einsatz des privaten Schleppers wird nicht einmal bezahlt. Kein Einzelfall: Private Schiffseigner werden von der italienischen Marine zur Menschenrettung auf hoher See verpflichtet. Das ist eine direkte Folge der Kostenreduzierung bei staatlichen Rettungseinsätzen, die zum Ende der italienischen Marineoperation "Mare Nostrum" geführt hat. Vittorio, der Schiffseigner des Schleppers "Alessandro Secondo" übt Kritik: "Für die Rettungsaktion habe ich locker 600 Euro an Dieseltreibstoff ausgegeben. Dazu kommen noch die Überstunden für die Mannschaft. Wer zahlt mir das?"

Drei Besatzungsmitglieder des Schleppers "Alessandro Secondo" lächeln (Foto: Karl Hoffmann)
Die Besatzung des Schleppers "Alessandro Secondo" ist froh, dass die Rettungsaktion geklappt hatBild: Karl Hoffmann

Im besten Fall kann er die Kosten von der Steuer absetzen. Kapitän Salvatore Lupo dagegen ärgert, dass andere Lob einheimsen - aber noch viel mehr, dass Hunderte von Menschen frierend warten mussten, bis eitle Offiziere eine gute Figur vor laufenden Kameras machen konnten.