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Politik

Flüchtlinge in der Schuldenfalle

Manasi Gopalakrishnan ml
2. Juli 2017

Schlechte Deutschkenntnisse und ein unklares Verständnis davon, was ein Vertrag alles bedeutet, machen Flüchtlinge zu einer leichten Beute. Für Firmen, die das ausnutzen. Verbraucherschützer wollen den Migranten helfen.

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Thüringen Flüchtlingsunterkunft Flüchtlinge Smartphones
Bild: picture-alliance/dpa/S. Kahnert

Ahmad* kam 2014 nach Deutschland. Der 28-jährige Syrer war einer der ersten - kurz danach flüchteten zehntausende Landsleute vor dem Krieg in der Heimat nach Europa. Ahmad hat es geschafft, Deutsch zu lernen. Seine Fähigkeiten, die er für sein Kommunikationsstudium in Homs schon entwickelt hatte, halfen ihm schließlich, einen Job in der Bonner Stadtverwaltung zu finden. 

Wie viele andere Asylsuchende war auch Ahmad überwältigt von den schier endlosen Möglichkeiten in Deutschland, Telefonverträge abzuschließen oder anderen Angeboten von Telemarketing-Firmen zu erliegen. Glücklicherweise ist der junge Syrer nicht in die Falle getappt.

Den gesamten Betrag bezahlt

"Ich habe den gesamten Betrag für mein Smartphone bezahlt, als ich es gekauft habe", sagt er. "Ich mag ohnehin keine Telefonverträge." Ahmad berichtet von einem Freund, den er in einen Elektronikladen im Ort begleitet hat. "Er brauchte einen Übersetzer. Dann stellte sich heraus, dass er unabsichtlich einen Vertrag mit einem Telekommunikationsunternehmen unterzeichnet hat für 400 Euro! Er musste das Geld berappen, damit er sein Telefon überhaupt benutzen konnte."

Die Schuldenfalle

Das ist kein Einzelfall unter den Neuankömmlingen in Deutschland, wie Petra Maier von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf erklärt. Sie weiß: Die meisten Telefon-Verträge hierzulande können nur mit einer dreimonatigen Kündigungsfrist beendet werden. "Solche Gepflogenheiten, die uns in Deutschland sehr vertraut sein mögen, sind in den Ländern, aus denen die Flüchtlinge stammen, ganz anders. Das führt natürlich zu finanziellen Schwierigkeiten", sagt Petra Maier. 

Petra Maier, Leiterin Stab Bildung und Forschung
Petra Maier, Leiterin des Stabs Bildung und Forschung der Verbraucherzentrale NRWBild: Verbraucherzentrale NRW

Dazu zählt auch die Situation, wenn Flüchtlinge nicht in der Lage sind, ihre Rechnungen rechtzeitig zu bezahlen. Wenn das mehrfach passiert, bekommen die Betroffenen schnell ein schlechtes Rating bei der Kreditauskunft der SCHUFA. Die mögliche Folge: Einen Mietvertrag kann sich der Ausländer aus dem Kopf schlagen. Denn die (fehlende) SCHUFA-Auskunft signalisiert dem Vermieter: Hier ist möglicherweise jemand nicht in der Lage, die Miete zu bezahlen.

Die Lockangebote mit einem Euro

Petra Maier beschreibt auch, wie fatal sich Mobilfunk-Verträge auswirken können. "Viele Smartphone-Angebote locken mit günstigeren Preisen für die Geräte. Das Telefon kostet einen Euro bei einer Vertragslaufzeit von 24 Monaten. Natürlich müssen Sie dann die ganze Zeit bezahlen und können nicht kurzfristig aus dem Geschäft aussteigen. Manche schließen dann gleich mehrere Telefon-Verträge ab, ohne das wirklich zu beachten. Denn in vielen anderen Ländern sind Prepaid-Dienste die Norm."

Ein anderes Beispiel: Anbieter schicken oft monatliche Rechnungen, aber der Kunde bekommt erst später eine Aufstellung mit der Zahl der Einheiten, die er tatsächlich verbraucht hat. Auch das könne am Ende zu zusätzlichen Zahlungen führen, auf die die Kunden nicht vorbereitet seien, erklärt die Verbraucherschützerin. Die verblüfften Kunden sagten dann, in ihrer Heimat sei das völlig anders. 

Die Verwirrung entsteht oft, weil Kunden die Verträge nicht verstehen. Aber Petra Maier befürchtet auch, dass etliche Firmen die Unkenntnis der Verbraucher zu ihren Gunsten ausnutzen. Daher hat sie es sich zur Aufgabe gemacht, aufzuklären, bevor die Kunden in die Falle geraten.

Schulungen und aufmerksames Verhalten

Auch Tarek*, ein 24-jähriger Photographie- und Design-Student, hat es bislang geschafft, die Hürden zu umgehen. Als er vor drei Monaten einen Anruf erhielt, bekam er allerdings einen Schock. "Diese Frau rief mich an und forderte mich auf, eine Stromrechnung zu begleichen. Dabei hatte ich in meinem Namen überhaupt keinen Vertrag mit einem Elektrizitätsversorger abgeschlossen. Ich lebe doch in einer Wohngemeinschaft", erklärt Tarek. 

Talk: Wie kann Integration gelingen?

Verbraucherschützerin Maier bietet spezielle Schulungen und Hilfestellungen an über die möglichen Fallstricke gerade bei Verträgen für Mobilfunk, Strom oder Fitness-Studios. "Wir gehen in die Integrationskurse und sprechen da diese Themen gezielt an. Dabei geht es auch darum, was Strom in Deutschland eigentlich kostet und welcher Anbieter für mich günstig ist. Oder wie die Heizung funktioniert. Die Standards sind einfach unterschiedlich. Und das Wetter. Daher weisen wir auch darauf hin, dass es keine gute Idee ist, die Wohnung zu lüften, während die ganze Zeit die Heizung läuft. Ganz klar, dass dann die Kosten explodieren."

Richtig dankbar

Die Kurse der Verbraucherschützerin werden gut angenommen. Viele wollten verstehen, wie die Geschäfte in Deutschland laufen. "Wir erleben oft einen großen Aha-Moment, wenn die Teilnehmer sagen: Warum soll ich denn für ein Smartphone 24 Monate zahlen, wenn ich es am Ende überhaupt nicht benutze?"

Nach der Beratung verstehen die meisten Flüchtlinge, dass die Dinge in Deutschland etwas anders geregelt sind. "Wir bekommen viel positives Feedback. Die Leute sind richtig dankbar", sagt Maier. 

* Die Namen der Flüchtlinge sind zu ihrem Schutz geändert.