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Flüchtlinge: Wie viele kommen wirklich?

Mathias Bölinger5. Oktober 2015

Glaubt man der "Bild", dann rechnet die Regierung mit doppelt so vielen Flüchtlingen wie bisher zugegeben. Die Regierung wiederum weiß davon nichts, sagt sie. Ein Update zur Flüchtlingsdebatte.

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Bild: picture-alliance/dpa/P. Pleul

Glaubt man dem stellvertretenden Regierungssprecher Georg Streiter, dann ist dieses Papier noch etwas geheimer, als ein Geheimpapier üblicherweise ist. "Ich kenne niemanden in der Bundesregierung, der dieses Papier kennt", sagte Streiter am Montag in Berlin. Die Rede ist von einem angeblich vertraulichen Dokument der Bundesregierung, das die Zahl der Flüchtlinge, die in Deutschland erwartet wird, deutlich nach oben korrigiert.

"Irgendein Papier"

Die Bild-Zeitung hatte berichtet, in dem besagten Papier des Innenministeriums mit dem Stempel "Verschlusssache – vertraulich" rechne man mit 1,5 Millionen Flüchtlingen in diesem Jahr. Offiziell hatte die Bundesregierung bisher von 800.000 Flüchtlingen gesprochen. Außerdem zitierte die Zeitung einen Beamten des Innenministeriums, der sagte, die Bundesregierung habe "komplett den Überblick verloren". Streiter widersprach dieser Darstellung. Er würde den Bericht über das Papier "nicht zu hoch hängen", erklärte er lapidar in der Bundespressekonferenz. "Das wird irgendein Papier sein, auf das irgendjemand einen Stempel gemacht hat".

Streiters etwas eigenwillige Erklärung fällt in eine Zeit, in der sich immer mehr Verunsicherung in die Flüchtlingsdebatte mischt. Im Lauf der Woche will das Innenministerium die Asylzahlen für September veröffentlichen. Schon jetzt steht fest, dass es seit vielen Jahren keinen so starken Andrang in so kurzer Zeit gegeben hat. Allerdings rechnet die Bundesregierung mit einem Rückgang in den nächsten Monaten. "Wir gehen davon aus, dass die Wintermonate dazu führen, dass sich der Migrationsdruck verringert", sagte ein Sprecher des Innenministeriums.

Der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir kritisierte die von der Bild-Zeitung ausgelöste Debatte. Ein Überbietungswettbewerb um immer höhere Flüchtlingszahlen nütze niemandem, sagte er.

Maly: Höhere Zahlen "verkraftbar"

Gleichzeitig warf der Nürnberger Bürgermeister Ulrich Maly (SPD) der Politik vor, die Menschen zu verunsichern. Maly, der gleichzeitig Vizepräsident des Deutschen Städtetags ist, sagte, er halte höhere Flüchtlingszahlen für "verkraftbar". Es gehe aber "sicher nicht, dass man noch zehn Jahre Menschen in dieser Größenordnung aufnimmt." Aus der CSU waren in den vergangenen Tagen Forderungen nach dem Bau von Grenzzäunen gekommen. Bundespräsident Joachim Gauck hatte bei den Feierlichkeiten zum Jahrestag der deutschen Einheit am Samstag (03.10.2015) davor gewarnt, die Aufnahmefähigkeit Deutschlands zu überschätzen. "Unser Herz ist weit, aber unsere Möglichkeiten sind endlich", hatte Gauck gesagt. Gleichzeitig wurden auch am Wochenende wieder Anschläge auf geplante Flüchtlingsunterkünfte verübt.

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Bau einer Notunterkunft für Flüchtlinge in BerlinBild: picture-alliance/dpa/B. Pedersen

Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe schätzt, dass etwa die Hälfte der Zuwanderer in den nächsten Jahren keine eigene Wohnung finden werde. Die Zuwanderer müssten sich auf längere Zeiten in Aufnahmeeinrichtungen einstellen, sagte Thomas Specht, der Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft in Berlin. Dadurch werde sich nicht nur der Druck auf den Wohnungsmarkt, sondern auch auf Notunterkünfte weiter erhöhen. "Ob es Verteilungskämpfe gibt, hängt davon ab, wie die Bundesregierung reagiert", warnte er. Die Arbeitsgemeinschaft fordert den Bau von einer halben Million Wohnungen im Jahr.