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Flüchtlingsdrama am Eurotunnel

Samira Shackle / dch31. Juli 2015

Ein wahrer "Flüchtlingsschwall" ergießt sich dieser Tage in den Eurotunnel. Auf Lastwagen und in Zügen haben allein am Dienstag und Mittwoch über 3500 Menschen versucht, Großbritannien zu erreichen.

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Frankreich Flüchtlinge am Eurotunnel Calais REUTERS/Pascal Rossignol
Bild: Reuters/P. Rossignol

Wie gefährlich ihr Unterfangen sein kann, zeigen die Zahlen: Neun Flüchtlinge sind bisher in diesem Monat gestorben. Zwei weitere Flüchtlinge aus dem Sudan liegen schwerverletzt im Krankenhaus, nachdem sie am Montag von einem Hochgeschwindigkeitszug erfasst worden waren.

Der Eurotunnel zwischen Dover und Calais ist 50 Kilometer lang. Es ist die engste Passage zwischen dem europäischen Festland und dem Vereinigten Königreich. Und er hat gerade deswegen einen hohen symbolischen Wert. Jeden Tag sind zudem tausende Geschäftsreisende auf dieser Strecke unterwegs. Das Flüchtlingsdrama spielt sich direkt vor deren Augen ab. "Es ist ein riesiges Problem. Abertausende Leute versuchen, den Tunnel zu durchqueren" sagt Marley Morris, Flüchtlings-Forscher am Institut für Demoskopie in London: "Aber die Zahl der Flüchtlinge, die versuchen nach Großbritannien zu kommen, ist verschwindend gering im Vergleich zr Zahl derjenigen, die versuchen nach Europa zu kommen."

Nichtsdestotrotz ist der Flüchtlingsstrom auch ein großes Problem für die britische Regierung. Sie fährt eine harte Linie beim Thema Einwanderung: Die Innenministerin Theresa May fordert ein verstärktes Sicherheitskonzept und Premierminister David Cameron weitere 7 Millionen Pfund, um die Sicherheitszäune zu verbessern. Vor allem dem "Menschenschwarm aus Nordafrika" gibt er die Hauptschuld an der Situation und verspricht, zur Abschreckung mehr Abschiebungen durchführen zu lassen.

Starke Worte, nichts dahinter

"Immer, wenn die Medien darüber berichten, tut die Innenministerin so, als ob sie konkrete Maßnahmen ergreift: Mehr Zäune, größere Sicherheitszonen. Ich glaube nicht, dass auch nur irgendjemand, sie selbst inbegriffen, denkt, dass dies die Probleme lösen wird," sagt Zoe Gardner, Pressesprecherin beim NGO AsylumAid. "Wir haben die Verzweiflung gesehen, die diese Reisen motivieren. Diese Menschen riskieren ihr Leben. Ein paar Leute haben sogar davon gesprochen, die Armee einzusetzen. Es ist absurd und es driftet in eine gefährliche Richtung - militarisierte Grenzen. Dieses Problem wird sich aber nicht von selbst lösen. Vielmehr braucht es langfristige Lösungen".

Karte Eurotunnel
Der Eurotunnel zwischen Dover und Calais: An der engsten Passage zwischen Großbritannien und dem europäischen Festland.

Calais ist seit Jahren ein Sammelbecken für Migranten und Flüchtlinge. Sie erhoffen sich ein besseres Leben in Großbritannien. Stattdessen müssen sie oft schreckliche Bedingungen ertragen. "Die Anwesenheit von Flüchtlingen ist hier seit 15 Jahren ein konstanter Faktor" sagt Don Flynn, Direktor des Migrant's Rights Network: "Das tatsächliche Problem besteht darin, dass in den letzten 15 Jahren nichts passiert ist. Sowohl die französische, wie auch die britische Regierung haben komplett versagt. Beide Regierungen beschränken sich darauf, große Töne zu spucken und dann in regelmäßigen Abständen in einen Krisenmodus umzuschalten".

Die jetzige Situation am Eurotunnel, die bereits mehrmals für schwerwiegende Verspätungen sorgte, hat allerdings nicht unbedingt nur mit der Flüchtlingskrise zu tun: Französische Fähren-Mitarbeiter streiken wegen schlechter Arbeitsbedingungen. "Das hat zu dem Chaos und dem Rückstau bei den LKWS geführt," sagt Flynn: "Und letztlich konnte nur so die Sache mit den Flüchtlingen so eskalieren".

Frankreich Calais Eurotunnel c) dpa - Bildfunk
Der Eingang zum Eurotunnel in CalaisBild: picture-alliance/dpa/Y. Valat

Teil eines großen Ganzen

Die Menschen, die über Calais ins Vereinigte Königreich gelangen wollen, sind nur ein kleiner Teil der Völkerwanderung durch Europa. Die meisten Beobachter stimmen zu, dass es eine Allianz von Ländern braucht, die zusammenarbeiten, um des Problems Herr zu werden. "Die französischen Behörden müssen die Leute in Calais besser versorgen. Sie sollten nicht im Stich gelassen werden", sagt Philippe Blond, Direktor des Think-Tanks "Respublica". "Ich würde das Camp in Calais auflösen und die Menschen würdig weiterschicken. Ich bin nicht der Meinung, dass ein Land dies für sich selbst lösen kann. Aus politischer Sicht glaube ich nicht, dass Cameron durch diese Krise verletzt werden kann. Er hat schon angekündigt, dass er mehr Geld bereitstellen wird, um diese Krise zu bewältigen und die Wähler erkennen, dass er in dieser internationalen Krise alles in seiner Macht stehende tut".

Das Vereinigte Königreich nimmt weitaus weniger Flüchtlinge auf als andere europäische Staaten, wie Deutschland, Schweden oder Frankreich - sprich, es gibt weniger legale Wege in das Land zu gelangen. "Eines der Hauptziele der Regierung ist es, die Anzahl der Flüchtlinge zu reduzieren. In der Öffentlichkeit gibt es eine große Sorge beim Thema Migration. Wenn man ehrlich ist, muss man zugeben, dass es, verglichen mit der Gesamtzahl, eine sehr kleine Anzahl an Menschen ist, sagt Morris. "Dies ist eine humanitäre Krise. Die Leute sterben auf der Überfahrt. Es ist eine außergewöhnliche Situation. Es gibt sehr viel, was die Regierung tun könnte. Und ich glaube auch, dass sie das auf politischer Ebene durchkriegen würden."

Frankreich Flüchtlinge am Eurotunnel Calais REUTERS/Pascal Rossignol
Seit Jahren ist Calais zum Sammelbecken für Flüchtlinge aus aller Welt geworden. Die meisten der Flüchtlinge kommen über Nordafrika nach Europa.Bild: Reuters/P. Rossignol

Großbritannien weigert sich auch, sich an einem großangelegten Plan der Europäischen Union zu beteiligen um Länder wie Griechenland oder Italien zu entlasten. "Der Rest der EU wird nicht die Pufferzone für das Vereinigte Königreich sein. Wir sitzen alle im selben Boot", sagt Gardner. "Es hat eine Dimension erreicht , in der es viel Angst vor Flüchtlingen gibt. Tatsache ist, dass wir ein Land sind, welches Menschen, die fliehen müssen, beschützen kann. Wir sollten stolz darauf sein, dass wir Menschen Schutz anbieten können."