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Schülerhilfe für Flüchtlinge

Wolfgang Dick22. August 2015

800.000 Flüchtlinge werden in Deutschland erwartet. Unter ihnen sind viele Kinder, für die hier sofort die Schulpflicht gilt. Lehrer versuchen zu helfen. So wie an der Willy-Brandt Gesamtschule in Mülheim an der Ruhr.

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Deutschland Schülerhilfe Willy Brandt-Gesamtschule EINSCHRÄNKUNG
Bild: DW/W. Dick

Katharina Elsner (im Titelbild) ist stolz auf die Kinder ihrer internationalen Vorbereitungsklasse. Die 32-jährige Lehrerin betreut in dem gesondert eingerichteten Kurs Schüler aus 20 Nationen zwischen zehn und siebzehn Jahren mit völlig unterschiedlichen Kenntnissen und Lernfähigkeiten. Auf dem Stundenplan steht erst einmal Deutsch lernen. Weitere Fächer werden parallel gegeben - unter Rücksichtnahme der erst langsam wachsenden Sprachkenntnisse.

"Die Schüler sind super. Die helfen sich auch untereinander. Die Älteren den Jüngeren und die Starken den Schwächeren", schwärmt Elsner, die ihre Arbeit nicht als Belastung, sondern als besondere berufliche Herausforderung sieht. Die Pädagogin kann zwar kein Arabisch oder Serbisch, aber sie weiß sich immer zu helfen: "Das ist auch schon mal Unterricht mit Händen und Füßen. Man fängt mit Bildern an und einzelnen Wörtern. Ich hab viel gezeigt und Pantomime gemacht. Das Schöne dabei ist: Die Schüler wollen lernen und sind fleißig". So kann der Großteil der Flüchtlingskinder bereits nach einem Jahr gut Deutsch und ist dann in der Lage, dem Unterricht auch in den anderen Fächern gut zu folgen. Sobald sie sprachlich klarkommen, können sie in den Regelunterricht der übrigen Klassen wechseln.

Dilda (l) und Razul (r) lernen in der Internationalen Förderklasse an der Willy Brandt-Gesamtschule Foto: Wolfgang Dick
Die syrischen Flüchtlingskinder Dilda und Razul lernen gemeinsam und finden die Schule klasseBild: DW/W. Dick

Rücksichtnahme und gegenseitiger Respekt

Wenn in diesen Tagen immer wieder von Ausschreitungen unter Flüchtlingen verschiedener Ethnien in ihren Unterkünften in den Medien berichtet wird, so gibt das friedliche Miteinander der internationalen Förderklasse ein ganz anderes, hoffnungsvolles Bild ab. "Erst hab ich Angst gehabt. Oh, Gott, wie soll ich hier Freunde finden", erzählt der vierzehnjährige Razul. Aber dann lernte er die gleichaltrige Dilda kennen, die aus Syrien kam. "Hier sind alle gleich. Auch Frauen haben hier alle Chancen", sagt Razul, der in seiner Heimat eher kennen gelernt hat, dass Frauen zuhause bleiben und kochen. Dilda freut sich über die Situation in Deutschland. "Ich will mal Ärztin werden und anderen Menschen helfen" sagt sie und baut dabei auf die Hilfe ihrer Lehrerin. "Die ist nett".

"Man ist hier eher Freundin", ergänzt Katharina Elsner. Die Schüler-Lehrer-Bindung sei eine ganz andere als bei deutschen Schülern. Erschüttert ist Elsner immer wieder über die persönlichen Schicksale ihrer Schüler. Razul habe in seiner Heimat auf dem Olivenhain seiner Eltern arbeiten müssen. Schulpflicht kannte er nicht. "Ich will aber lernen - hier kann man weiterkommen," begeistert sich Razul. Dilda, die unter Diabetes leidet, hat miterleben müssen, wie ihr Bruder erschossen wurde. Wenn die Kinder von solchen Dingen berichten, dann werde es in der Klasse besonders ruhig. Lehrerin Elsner reagiert: "Ich sag den Schülern dann oft, wenn es ihnen nicht so gut geht, dass sie sich einfach an die Seite setzen dürfen". Der Unterricht wird auch schon mal unterbrochen. Lehrer nehmen Schüler in den Arm. "Das muss man erst mal verdauen und sacken lassen". Lob zu jedem Lernfortschritt sei deshalb besonders wichtig.

Ihr Kollege Kevin Masalon kennt auch die Besonderheiten des Unterrichts. Selbst Vorbereitunsgkurse für Pädagogen seien da wenig hilfreich. Alles sei "learning by doing" und ohne besonderes Engagement im Lehrerkollegium gar nicht machbar. Hilfreich sei, dass er die Inhalte der Internationalen Förderklasse frei gestalten dürfe, während er für alle übrigen Fächer Vorgaben vom Landesbildungsministerium beachten müsse. "Es ist hier Unterricht nach Bedarf", sagt Masalon, der sich auch für die Flüchtlingskinder geeignete Schulbücher erst einmal selbst recherchieren musste.

Schuldirektorin Ingrid Lürig bespricht sich mit den Lehrern Elsner und Masalon Foto: Wolfgang Dick
Schuldirektorin Ingrid Lürig (Bildmitte) bespricht sich mit ihren Lehrerkollegen Elsner (l) und Masalon (r)Bild: DW/W. Dick

Situation nicht selbst ausgesucht

Die Stadt Mülheim an der Ruhr hat - wie viele andere Kommunen inzwischen - eine feste Gesprächsrunde eingerichtet, an der alle Schulen teilnehmen. Alle sind aufgefordert, Flüchtlingskindern zu helfen. Die Willy-Brandt-Gesamtschule habe schon immer das Bemühen gehabt, möglichst vielen Schülern zu guten Noten zu verhelfen. "Das schloss ausländische Kinder immer schon ein", betont Schulleiterin Ingrid Lürig.

Schon früher habe man in dem ehemaligen Arbeiterviertel Kinder aus Weißrussland oder Afrika aufgenommen. "Wir haben damit gute Erfahrungen gemacht". Jetzt zu helfen, sei deshalb selbstverständlich gewesen. Die Internationale Vorbereitungsklasse wurde eingerichtet und ist mit dem Intergrationszentrum der Stadt vernetzt. Der besondere Einsatz der Schule spricht sich herum. Ein Viertel der 1035 Schüler sind schon Kinder mit Migrationshintergrund. Inzwischen gebe es auch immer mehr deutsche Eltern, die ihre Kinder ganz bewusst auf die Willy-Brandt-Gesamtschule schicken wollen, damit sie Toleranz und Verständnis lernen und die Vorteile einer Internationalität zu schätzen wissen.

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Deutsche und Flüchtlingskinder spielen und toben gemeinsam auf dem Schulhof der Willy-Brandt-GesamtschuleBild: DW/W. Dick

Gleiche Rechte, gleiche Pflichten

Für die Flüchtlingskinder gebe es aber keine "Extra-Würste". "Wir haben eine strenge Schulordnung, an die sich alle halten müssen", so die Direktorin. Baseball-Kappen tragen und Kaugummi-Kauen sei verboten. Handys werden eingesammelt. Nicht nur Lesen, Schreiben und Rechnen lernen sei wichtig, sondern auch das Beachten von Regeln. "Das ist schon o.k.", sagt Razul. Dafür freut er sich auf die vielen besonderen Angebote der Ganztagsschule. Parcourkurse oder Experimentierunterricht, in dem man viel über Technik erfahren könne. Für all diese Sonderbemühungen erhält die Schule keine staatlichen Sonderzahlungen. "Wir haben hier schon Verkaufsveranstaltungen gehabt, um die Erlöse Flüchtlingskindern zukommen zu lassen, damit sie auch mal Ausflüge machen konnten". So viel Engagement mag in Deutschland eher die Ausnahme sein. Aber die Vorbilder machen weiter Schule, weiß man in den Bildungsministerien der Bundesländer.