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Wirtschaftliche Rettung oder vorprogrammierte Umweltkatastrophe?

Sarah Mersch, Tunis30. März 2013

Nutzt der Energieriese Shell die politische Instabilität in Tunesien aus, um Fakten zu schaffen? Pläne, dort Schiefergas zu fördern, alarmieren Umweltschützer. Das Land sei noch nicht bereit dafür, sagen Kritiker.

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FILE - In this April 22, 2008 file photo, a natural gas well pad sits in front of the Roan Plateau near Rifle, Co. The director of the Colorado Oil and Gas Conservation Commission, David Neslin, said Monday, Dec. 5, 2011, that requiring drilling companies to publicly disclose what chemicals they use in hydraulic fracturing is only one tool for protecting public health and the environment. The comment was made during a hearing regarding a proposal to require public disclosures of fracking fluids that aren't trade secrets. More than 100 people packed the hearing. (AP Photo/David Zalubowski, File)
USA Fracking Öl-/GasbohrungBild: AP

Die Förderung von Schiefergas in Tunesien voranzutreiben, kommt für Nadia Chaabane nicht in Frage. Die Abgeordnete des linken Bündnisses Al Massar, eine der schärfsten Kritikerinnen des Projekts, redet sich in Rage, wenn es ums Thema Schiefergas geht. "Wenn die Förderung bedeuten würde, dass das halbe Land zur Wüste, das Wasser verseucht und die Luft verdreckt wird, was haben wir dann davon? Dass wir heizen können, aber nichts mehr zu Essen haben werden?"

Nicht nur wegen möglicher Umweltrisiken, sondern auch wegen mangelnder Transparenz auf Seiten der Regierung steht Chaabane der Förderung kritisch gegenüber. Denn die Regierungskoalition soll das Projekt mit dem Energieriesen Shell so gut wie in trockene Tücher gebracht haben. "Die Verhandlungen laufen, weitere Auskünfte geben wir nicht", teilt Shell per E-Mail mit. In den Ministerien stößt man in Tunis seit Monaten auf verschlossene Türen, wenn es ums Thema Schiefergas geht. Das Industrieministerium äußert sich nicht, ein Umweltministerium gibt es seit der Regierungsumbildung Anfang März gar nicht mehr.

Infografik Erdgasgewinnung durch Fracking DW-Grafik: Olof Pock

Für Fracking noch nicht bereit

Schiefergas ist Gas, das in Gesteinsschichten gebunden ist. Beim Abbau, dem sogenannten Fracking, werden bis zu vier Kilometer tiefe Löcher in den Grund gebohrt. Unter Hochdruck wird dann Wasser, das mit einer Vielzahl an Chemikalien versetzt ist, in die Erde gepumpt. Die Chemikalien lösen das Gas aus den Steinen, so dass es industriell nutzbar wird. In Nordamerika wurden dadurch ganze Landstriche verwüstet, kritisieren Gegner. Denn das Fracking schluckt Wasser, und die Chemikalien können Grundwasser und Luft verunreinigen, wenn es zu Problemen bei der Förderung kommt.

Hamed El Matri, Ingenieur und Vorstandsmitglied des Tunesischen Vereins für Transparenz im Energie- und Bergbausektor (ATTEM), ist nicht grundsätzlich dagegen, über Fracking nachzudenken. Doch er kritisiert, dass die tunesische Regierung das Heft aus der Hand gibt und Shell die Führung überlässt. Tunesien sei weder juristisch oder wissenschaftlich-technisch gesehen, noch im Infrastrukturbereich bereit fürs Fracking. "Haben wir wirklich die Möglichkeiten, eine Gefahrenanalyse durchzuführen? Das würde mich doch sehr wundern."

Erdgas-Bohrung mit Risiko - Streit um Fracking

Tunesien als Testlabor?

Die Vorkommen an Gas, die in Tunesien vermutet werden, sind gering im Vergleich zu denen der Nachbarn Algerien, Libyen und Marokko. Doch sie würden reichen, um das Land rund 50 Jahre mit Energie zu versorgen - ein wichtiges Argument für den kleinen Mittelmeerstaat, dessen Wirtschaft seit der Revolution bedenklich schwächelt. Bis zu zwei Milliarden Dinar (umgerechnet rund eine Milliarde Euro) gibt Tunesien jährlich für Energieimport und -subventionen aus, fast acht Prozent des Haushalts. Doch die Abgeordnete Nadia Chaabane ist nicht überzeugt, dass ein Abkommen mit Shell Tunesien wirklich zu Gute kommen würde.

Glaubt man den Zahlen des tunesischen Industrieministeriums, so hat der Konzern für die Schiefergasförderung in Tunesien ein Budget angesetzt, das rund viermal höher liegt als normalerweise benötigt wird. Ein Anzeichen, dass Tunesien für Shell vor allem ein Testlabor für neue Methoden der Förderung sein soll, glaubt auch Maatri. "Shell kann die besten Standards haben, daran zweifle ich ja gar nicht, aber der tunesische Staat ist verantwortlich für die Gesundheit seiner Bürger, die Wasserqualität und die Umwelt." Deshalb müsse Tunesien selbst auch langfristig den Schutz seiner Ressourcen garantieren.

Transparenz? Fehlanzeige!

Die Fracking-Gegner werfen der Regierung vor, das Projekt um jeden Preis durchsetzen zu wollen, um politischen Freunden einen Gefallen zu tun. Denn der größte Einzelaktionär bei Shell ist Katar. Mit dem Emirat hat Tunesien immer wieder Geschäfte gemacht, seit die Regierung unter Führung der Ennahdha-Partei an der Macht ist.

"Wir müssen endlich mit dieser Undurchsichtigkeit aufhören, die in Tunesien früher immer geherrscht hat, wenn wichtige Entscheidungen getroffen wurden", empört sich Chaabane. "Die Entscheidung über Schiefergas haben nicht die Politiker zu fällen, sondern die ganze Bevölkerung. Denn es geht um ihre Zukunft, und nicht um die Zukunft einer bestimmten Regierung oder einer kleinen Elite."

Die Abgeordnete würde es deshalb lieber sehen, dass die tunesische Regierung noch mehr in Wind- und Solarenergie investiert. Schon heute haben viele Tunesier Sonnenkollektoren für die Warmwassergewinnung auf ihren Dächern, und auch die Wüstenstrom-Initiative Desertec hat Tunesien um Blick. Doch vor kurzem tauchten auch Pläne aus dem Jahr 2009 wieder auf, in Tunesien mit französischer Unterstützung ein Atomkraftwerk zu bauen - ein Projekt, von dem die meisten Tunesier mit der Revolution eigentlich hofften, es sei endgültig begraben.