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Frankreich und seine Rolle im Dritten Reich

29. Januar 2011

"Wir waren alle im Widerstand!" So hieß es lange in Frankreich, wenn es um Hitler und Nazi-Deutschland ging. Dass dem nicht so war, zeigt der Film "Die Kinder von Paris". Ein Historiker hat die Fakten zusammengetragen.

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Szenenbild aus dem Film 'Die Kinder von Paris' (Foto: Constantin Film)
Szene aus dem FilmBild: Constantin Film

Paris, im Juli 1942. Am Anfang des Films "Die Kinder von Paris" kann der jüdische Familienvater Schmuel Weisman seine Kinder noch bei Laune halten: "Wisst ihr, dass Hitler glaubt, wir Juden wären auch am Untergang der Titanic schuld? Von wegen Eisberg - ein Jude war's, ist doch klar!" Allgemeines Gelächter am Mittagstisch.

Doch nur wenige Tage später kommt die französische Polizei, nimmt die ganze Familie und alle ihre Nachbarn mit. Insgesamt 13.000 Menschen verschleppen sie aus Paris. Zunächst werden die verhafteten Juden in eine Radsporthalle gesperrt, dann in französische Lager gebracht und schließlich den Deutschen übergeben. Fast alle Verhafteten werden später in den nationalsozialistischen Vernichtungslagern ermordet.

Ein Historiker gab den Kindern ihre Identität zurück

Filmplalat 'Die Kinder von Paris' (Foto: Constantin Film)
FilmplakatBild: Constantin Film

Für die Faktentreue des Films war der Historiker Serge Klarsfeld verantwortlich. Jahrzehntelang habe er die Zusammenarbeit zwischen Franzosen und Nazis erforscht, erklärt Regisseurin Roselyne Bosch: "Die Erinnerung an diese Kinder wäre unmöglich ohne Serge Klarsfeld. Mit seiner Arbeit hat er ihnen ihre Identität zurückgegeben, durch ihn haben sie wieder eine Seele."

Klarsfeld selbst war 1942 sieben Jahre alt und lebte mit seinen jüdischen Eltern in Nizza. Er entkam mit seiner Mutter nur knapp den Häschern der SS, den Vater nahmen sie mit. Serge Klarsfeld sah ihn nie wieder. Nach dem Krieg lernte er in Paris seine spätere Frau Beate kennen. Sie war als Au-pair-Mädchen aus Deutschland gekommen. Für Serge war das kein Problem.

Beate Klarsfeld machte mit all den Franzosen, denen sie damals begegnete, keine schlechten Erfahrungen. "Es gab vielleicht manchmal noch jemanden, der voreingenommen war einer Deutschen gegenüber", erinnert sie sich, "aber wir waren junge Leute. Als ich meinen Mann zum ersten Mal sah - ich sagte, ich sei Deutsche - sagte er: 'Nun gut, aber es gab auch Hans und Sophie Scholl.' Und ich glaube, das haben wahrscheinlich auch viele Franzosen gesagt: Es gab einen deutschen Widerstand."

Szenenbild aus dem Film 'Die Kinder von Paris' (Foto: Constantin Film)
Auch die Kinder mussten den Judenstern tragen - Szene aus dem Film "Die Kinder von Paris"Bild: Constantin Film

Eine Ohrfeige für den Kanzler

Ihr und den anderen Au-pair-Mädchen, die sie kannte, ging es in Frankreich gut. Dass das erstaunlich war nach allem, was die Nazis angerichtet hatten, verstand sie erst im Gespräch mit Serge: "Das war für mich natürlich, würde ich sagen, die Vorbereitung mich zu engagieren, als 1966 Kurt Georg Kiesinger, Nazi-Propagandist, Bundeskanzler wurde."

Die Klarsfelds konnten es kaum glauben: Aus einem loyalen Beamten im nationalsozialistischen Außenministerium war ein christdemokratischer Kanzler geworden. In Deutschland gab es zwar einzelne Proteste, zum Beispiel von Günter Grass. Der große Aufschrei blieb aber aus, erinnert sich Beate Klarsfeld: "In der politischen deutschen Gesellschaft, das war eine Mauer, die sich uns gegenüberstellte!"

Serge und Beate Klarsfeld(Foto: AP)
Serge und Beate Klarsfeld 2010Bild: AP

Am 2. April 1968 fuhr sie deshalb nach Bonn zum Bundestag. Als Kiesinger auftrat, beschimpfte sie ihn von der Zuschauertribüne aus als Nazi, bis sie hinausgezerrt wurde. Ihren Job beim Deutsch-Französischen Jugendwerk hatte sie da schon verloren, wegen kritischer Artikel über den Kanzler. Doch sie machte weiter. Am 7. November 1968 stürmte sie beim CDU-Parteitag die Bühne, verpasste Kiesinger eine Ohrfeige. Dabei rief sie "Nazi, tritt zurück!" Die Schweige-Mauer war durchbrochen, die Bundesrepublik konnte nicht mehr wegsehen. Mit der Zeit sah sich auch die Justiz genötigt, Nazi-Verbrecher schärfer als bisher zu verfolgen.

Frankreich steht zu seiner Verantwortung

In Frankreich gab es damals noch kein Bewusstsein für die Mitschuld der eigenen Leute am Holocaust. Nach dem Krieg verbreitete Präsident Charles de Gaulle das Bild einer Nation, die "sauber" geblieben war und gegen die Deutschen erbitterten Widerstand geleistet hatte. Zweifellos war das ein Teil der Geschichte, aber eben nur ein Teil. Denn andererseits hatten führende französische Politiker und Polizisten den Besatzern fleißig geholfen - allen voran der Ministerpräsident des unbesetzten Teils von Frankreich, Pierre Laval. Ohne diese Hilfe hätten die deutschen Besatzer die Massendeportation französischer Juden kaum organisieren können.

Aber darüber wollte in Frankreich kaum jemand reden - bis Serge Klarsfeld schwere Sachfehler in Schulbüchern nachwies. Bis in die Neunzigerjahre, erinnert sich seine Frau, hatten die Kinder in Frankreich gelernt, dass nur Deutsche die Juden verschleppt hätten. Die Geschichtsbücher wurden neu geschrieben. Erst 1995 bekannte sich der damalige Präsident Jacques Chirac zur französischen Mitschuld an der Deportation.

Autor: Jan Fredriksson

Redaktion: Petra Lambeck