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Burka-Verbot vor Gericht

Carolin Lohrenz27. November 2013

Vor drei Jahren verbannte das Land den Vollschleier von seinen Straßen. Eine Muslimin klagt jetzt vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gegen ihr Land.

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Französin in Vollverschleierung (Foto: ANNE-CHRISTINE POUJOULAT/AFP/Getty Images)
Bild: Getty Images

Es ist ein kleines Gesetz mit ganz großer Wirkung. Gerade mal 0,003 Prozent der Menschen in Frankreich sind vom Burka-Verbot betroffen, gerade einmal 2000 Frauen tragen den Ganzkörperschleier. Doch seit dieser aus dem öffentlichen Raum verbannt ist, wird jeder Tag für sie zum Spießrutenlauf.

"Wenn ich aus dem Haus gehe, trage ich ihn nicht. Ich laufe erst ein bisschen, dann ziehe ich ihn an", erzählt die 18-jährige Youssra, die den Niqab gegen den Willen ihrer Eltern trägt. Die Schülerin steht an einem Samstagmorgen auf dem Markt von La Courneuve bei Paris und stöbert in ihrer Tasche nach dem Stück Stoff, das seit April 2010 in der Republik auf den Straßen verboten ist. "In der Schule kann ich ihn nicht tragen. Und wenn ich ausgehe, werde ich dumm angemacht, weil ich verschleiert bin... das ist kein Leben. Das ist Stress."

"Zum Wohle der Frauen und der Republik"

Frankreichs vollverschleierte Musliminnen stehen am Pranger. Ob sie die Straße entlanglaufen, mit dem Bus fahren, einkaufen oder die Kinder aus der Schule abholen, sie machen sich strafbar und schulden dem Staat ein Bußgeld von bis zu 150 Euro. So entschied der Gesetzgeber "zum Wohle der Frauen und der Republik".

Portraitbild Nicolas Sarkozy (Foto: ddp images/AP Photo/Yves Logghe)
Ex-Präsident Sarkozy: "Kein Platz für die Burka"Bild: ap

"In Frankreich ist kein Platz für die Burka, kein Platz für die Unterjochung der Frau." So überraschte der damalige Präsident Nicolas Sarkozy im November 2009 das Land, als er im ländlichen La Chapelle-en-Vercors unerwartet statt über Ackerbau und Agrarsubventionen über Werte, Sitten und nationale Identität sprach. Die Regionalwahlen waren damals nicht weit und der Präsident war auf Stimmenfang im rechtsextremen Lager.

Diskriminierung und Selbstjustiz

Im darauffolgenden April verabschiedete die Nationalversammlung unter maximalem Mediengetöse den umstrittenen Text und stellte die religiös bedingte Vollverschleierung unter Strafe. Es folgten ein Bußgeld für die Frauen sowie ein Jahr Gefängnis plus 35.000 Euro Strafe für Männer, die Frau oder Tochter zum Tragen von Niqab oder Burka zwingen. Abgeordnete sprachen von "Gleichberechtigung" und "Würde". Dreieinhalb Jahre später ist die Bilanz aber verwirrend.

Während die Präfekturen bis zum Sommer 2013 gerade mal 500 Kontrollen, oft der immer gleichen Frauen, zählten und der muslimische Multimillionär Rachid Nekkaz einen Fonds zur Begleichung der Bußgelder eingerichtet hatte, berichten Vertreter der Muslimvereinigungen inzwischen von wachsender Diskriminierung: von Passanten, die Frauen auf offener Straße den Schleier vom Körper reißen wollen; von Busfahrern, die Burka- oder Niqab-Trägerinnen den Einstieg verwehren; oder von Verkäufern, die ihnen die Tür verschließen.

Krawalle nach Polizeikontrollen

"Über das Gesetz mag man denken, was man will. Aber vergessen wir nicht seine Kollateralschäden", sagt Marwan Muhammad. Er ist Sprecher des Kollektivs gegen Islamfeindlichkeit in Frankreich und meint beobachtet zu haben, dass die Islamophobie seit 2010 förmlich explodiert ist. "Da gibt es Mitbürger, ob sie links, rechts oder rechtsextrem sind, die sich auf das Gesetz von 2010 berufen, um ihre diskriminierenden Positionen gegenüber Musliminnen zu rechtfertigen."

Aber auch die Gegenseite reagiert zunehmend radikaler. Polizeibeamte werden bei Routinekontrollen verschleierter Frauen immer wieder angegriffen. Nach Zusammenstößen in Nantes und Marseille artete die Lage im Juli dieses Jahres in Trappes bei Paris in gewalttätige Unruhen aus. Steine flogen, Mülleimer brannten. Die Polizei antwortete mit Tränengas. Und die Burka stand wieder im Zentrum des Medieninteresses.

Das Gesetz vor dem Richter

Während der zweieinhalb Jahre, während derer die Anwendung des Gesetzes regelmäßig für Schlagzeilen sorgte, prozessierte eine junge Französin gegen die Republik. In letzter Instanz soll nun in Straßburg der Europäische Menschenrechtsgerichtshof (EGMR) über die Rechtmäßigkeit des Burka-Verbots entscheiden. Viel bekannt ist über die Muslimin nicht, außer, dass die 23-Jährige auf Grund des Gesetzes nach Großbritannien umgezogen ist und angibt, sie klage aus freien Stücken und ohne Druck aus ihrer Familie. Interviews, so teilt ihr britischer Anwalt mit, gebe sie aber nicht.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg (Foto: JOHANNA LEGUERRE/AFP/Getty Images)
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte muss jetzt über die Burka entscheidenBild: Getty Images

Wenn diesen Mittwoch (27. November) die erste Anhörung im Fall "SAS vs France" stattfindet, "wird sie sich hauptsächlich auf Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention berufen, der das Recht auf Privat- und Familienleben schützt", erklärt Patrick Titiun, Kabinettschef des EGMR-Präsidenten. "Sie beklagt, dass sie sich nicht so kleiden kann, wie sie will. Das sieht sie als Verletzung ihres Privatlebens." Dazu sehe sie ihr Recht verletzt, ihre Religion frei auszuleben. Außerdem macht sie Verstöße gegen Versammlungsfreiheit und Diskriminierungsverbot geltend.

Haltet die Sektierer!

Für die Richter in Straßburg ist das eine Premiere. "Solche Fälle gab es schon“, sagt Titiun. "Die waren allerdings alle formal unzulässig." Aber wie weit über eine Geldstrafe hinaus würde eine Verurteilung des Landes mit der größten muslimischen Gemeinde Europas wirken? Belgien, das den Vollschleier ebenfalls verbietet, hat sich Frankreich als dritte Partei dem Prozess angeschlossen.

Die französische Anthropolgin Dounia Bouzar, die sich auf Gesetzgebung zu religiösen Symbolen spezialisiert hat, hält Frankreich auch ohne Burka-Verbot für ausreichend gewappnet, um Probleme im Zusammenhang mit den Symbolen zu lösen. Sie fürchtet einen neuen Medien-Gau zu Lasten der Muslime in Europa. "Es geht ja schon damit los, dass man von der Burka einfach als einer muslimischen Praxis spricht", sagt sie. "Genau das ist das Ziel der paar Sektierer, die seit einigen Jahren die Burka fordern. Diese Minderheit will den Europäern weismachen, die Burka sei Teil des muslimischen Glaubens. Das stimmt nicht. Die Politik hat den Sektierern geholfen und ihnen mehr Bedeutung verliehen als ihnen zukommt. "