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Französische Firmen und der Wiederaufbau der Ukraine

14. Dezember 2022

Bei einer Ukraine-Konferenz in Paris haben französische Unternehmen über den Wiederaufbau des Landes gesprochen. Sie könnten eine wichtige Rolle dabei spielen - wenn auch nicht die größte.

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Ein von der russischen Armee zerstörtes Wohnhaus im ukrainischen Cherson
Ein von der russischen Armee zerstörtes Wohnhaus im ukrainischen ChersonBild: Anna Voitenko/REUTERS

Um die Ukraine nicht alleine zu lassen, ist die internationale Gemeinschaft am Dienstag zum vierten Mal seit Beginn des Jahres zu einer Geberkonferenz zusammengekommen - nach Treffen in Warschau (Polen), Lugano (Schweiz) und Berlin (Deutschland) diesmal in Frankreichs Hauptstadt Paris.

Unterstützung brauche die Ukraine angesichts eisiger Temperaturen mehr denn je, so der französische Präsident Emmanuel Macron bei seiner Auftaktrede. "Als Antwort auf jeden ukrainischen Teilsieg reagiert Russland feige mit neuen Bombardierungen auf die Strom-, Gas- und Wasserinfrastruktur - um Schrecken unter der Zivilbevölkerung zu verbreiten", sagte er. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, über Videolink aus Kiew zugeschaltet, nannte dies "russischen Energieterror".

Delegationen aus 46 Ländern und zahlreiche internationale Organisationen versprachen Hilfen in Höhe von einer Milliarde Euro für die kommenden Monate. Doch nicht nur von Regierungsseite soll Unterstützung kommen - in Paris trafen auch 700 französische Unternehmen mit einer ukrainischen Delegation zusammen, um über Investitionen in dem Land zu sprechen. Denn Frankreich könnte beim Wiederaufbau eine große Rolle spielen - wenn auch nicht die Hauptrolle.

Wiederaufbau müsse schon jetzt beginnen

Dieser Wiederaufbau beginne nicht erst nach dem Krieg, so Macron vor den versammelten Unternehmen und unter anderem dem ukrainischen Premierminister Denys Chmyhal am Nachmittag im Wirtschaftsministerium. "Jedes Mal, wenn ein Territorium zurückerobert wird, muss dessen Rekonstruktion sofort beginnen", sagte er. "Die ukrainische Wirtschaft muss solide bleiben, denn sie wird die Basis sein, auf der das Land neu aufgebaut wird."

Frankreichs Wirtschaftsminister Bruno Le Maire und der ukrainische Premierminister Denys Chmyhal bei der Abschluss-PK der Ukraine Konferenz in Paris, im Vordergrund ein Kamera-Display
In Paris fand bis zum 13. Dezember die Konferenz zum Wiederaufbau der Ukraine stattBild: Lisa Louis/DW

Der Elysée-Palast hatte im Vorfeld gegenüber der Presse von der Strategie "Build Back Better" gesprochen - das Land soll besser wiederaufgebaut werden, was zum Beispiel technologische und ökologische Aspekte angehe. Bei der Konferenz ging es um Roadmaps für die Sektoren Energie, Landwirtschaft, Wasserversorgung, IT und den Medizinbereich. Die französische und ukrainische Regierung beziehungsweise Unternehmen in den jeweiligen Bereichen schlossen zudem Verträge im Wert von 100 Millionen Euro ab, um Schienen, mobile Brücken und Saatgut zu liefern.

Konferenz als Wendepunkt

Außerdem kündigten beide Länder die Gründung eines französisch-ukrainischen Fonds für Start-ups an - mit einem Startkapital von 50 Millionen Euro. Das ist eine gute Nachricht für Dominique Piotet, Vorsitzender des Verbandes French Tech Kyiv, zu dem rund 30 Start-ups gehören. "Der ukrainische Technologiesektor bietet hervorragende Investitionsmöglichkeiten, und das Land ist nur drei Flugstunden entfernt", sagte er der DW. "Aber das hatte Frankreich bisher nicht verstanden - nur wenige Prozentpunkte des Geldes, das in ukrainische Technologieunternehmen investiert wird, ist französisch. 90 Prozent kommt von amerikanischen Investoren."

Für Sébastien Garnault sind die Ankündigungen der Regierung in gewisser Weise ein Wendepunkt und ein Grund, nun endlich in der Ukraine zu arbeiten. Er ist Chef des Verbandes Cybertaskforce mit Sitz in der nordwestfranzösischen Stadt Rennes. "Diese Konferenz ist ein Aufruf an die Zivilgesellschaft und Unternehmen, sich vor Ort zu engagieren - das hatte die Regierung zwar vorher angedeutet, aber nie so klar gesagt", sagte er der Deutschen Welle.

Er plant, Anfang des nächsten Jahres mit mehreren seiner Mitglieder-Firmen, die im IT-Bereich tätig sind, aber bisher nicht in der Ukraine - nach Kiew zu fahren. "Wir möchten diesem Land, das von einem anderen angegriffen wird, beistehen, zum Beispiel mit digitalen Weiterbildungen und im Bereich Cybersecurity", erklärte er.

Frankreich ist größter ausländischer Arbeitgeber

Frankreich ist laut Zahlen der Regierung aus dem Jahr 2019 unter EU-Ländern zwar nur der viertgrößte Importeur der Ukraine, aber trotzdem seien französische Unternehmen für den Wiederaufbau wichtig, glaubt Bertrand Barrier. Er ist Vorsitzender der französisch-ukrainischen Handelskammer, die 160 französische Unternehmen in der Ukraine repräsentiert.

Porträtaufnahmen des Vorsitzenden der französisch-ukrainischen Handelskammer Bertrand Barrier
Französische Firmen seien für den Wiederaufbau wichtig, glaubt Bertrand Barrier von der der französisch-ukrainischen HandelskammerBild: Lisa Louis/DW

"Frankreichs Unternehmen haben 30.000 Angestellte vor Ort und sind der größte ausländische Arbeitgeber. Die meisten von ihnen haben trotz des Krieges ihr Geschäft in der Ukraine aufrechterhalten", so Barrier im DW-Interview. Frankreich ist unter anderem im Bereich der Landwirtschaft und im Pharmasektor präsent.

Kosmetik in Kiew

Die Kosmetikmarken L'Occitane und Caudalie sowie die Haarpflegeproduktfirma René Furterer gehören zu den Unternehmen, die dem ukrainischen Markt nicht den Rücken gekehrt haben. Die Produkte vertreibt Tetiana Chevrolet, Geschäftsführerin des Unternehmens Global Distribution mit Sitz in Kiew. "Die Wirtschaft unseres Land funktioniert trotz des Krieges weiter, und wir sind froh, dass solche Konferenzen stattfinden - sie zeigen uns, dass wir nicht in Vergessenheit geraten sind", sagt sie der DW.

Wie schafft es die Ukraine durch den Winter?

Einige von Chevrolets 70 Angestellten haben nach Kriegsbeginn die Ukraine verlassen und arbeiten noch immer aus der Ferne - zum Beispiel von Polen oder Italien aus. Auch Chevrolet war zwischenzeitlich aus ihrem Haus im Kiewer Vorort Butscha geflohen, wo russische Soldaten Hunderte Zivilisten massakriert haben sollen. Inzwischen wohnt in dem Haus wieder ihre Familie, sie selbst arbeitet von Kiew oder auch von der bulgarischen Hauptstadt Sofia aus.

"Wir schlagen uns mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln durch - vor allem seit Oktober benutzen wir wegen der wiederholten Stromausfälle Diesel-Generatoren und kleine Taschenlampen", sagt sie. Fast alle ihrer rund ein Dutzend Verkaufsläden im Land sind noch offen. "Wir sind startbereit, um nach dem Krieg unser Geschäft wieder komplett hochzufahren", so Chevrolet.

Wettlauf beim Wiederaufbau

Doch Philippe Crevel, Ökonom und Chef der Pariser Denkschmiede Cercle de l'Epargne, relativiert die Rolle Frankreichs beim Wiederaufbau. "Internationale Unternehmen sind bereits in einem Wettlauf, wer bei diesem Prozess mitmacht, und amerikanische Firmen werden sicher den größten Part übernehmen - auch, weil das Land die Ukraine politisch und militärisch stark unterstützt hat seit Anfang des Krieges", meint er.

Dennoch sei es gerade für Frankreich sinnvoll, sich an diesem Wettlauf zu beteiligen. "Französische Unternehmen hoffen, zumindest einen Teil ihres Russlandgeschäftes in die Ukraine verlegen zu können. Auch dort waren sie bis vor dem Krieg der größte ausländische Arbeitgeber, allerdings mit insgesamt 160.000 Angestellten", sagt Ökonom Crevel.