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Politik

Konservativer Pragmatiker: Edouard Philippe

15. Mai 2017

Der neue französische Präsident Emmanuel Macron hat seinen Premier ernannt: den Bürgermeister von Le Havre, Edouard Philippe. Dessen politische Biographie spiegelt die ideologischen Umbrüche im Nachbarland wider.

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Frankreich Bürgermeister Le Havre Edouard Philippe
Bild: Getty Images/AFP/C. Triballeau

Hauptsache, nicht Französisch-Lehrer. Das war Edouard Philippe schon in jungen Jahren klar: Auf keinen Fall wollte in die Fußstapfen seiner Eltern treten, die beide in Le Havre die Landessprache unterrichteten. Der Großvater, der war noch von anderer Art: Er war Hafenarbeiter in der Stadt am Ärmelkanal, außerdem einer der ersten dort aktiven französischen Kommunisten. Damit war der Großvater gewissermaßen das politische Gegenstück zur bürgerlichen Existenz der Eltern, gegen die der Sohn im Grunde zwar nichts hatte, die er aber - zumindest in der Normandie - nicht fortführen wollte.

Das wieder passte zu den beiden anderen Entscheidungen, die er in früher Zeit getroffen hatte: nämlich in Paris zu leben und in der Politik zu arbeiten. Bei dem letzten Wunsch war der Großvater freilich keine große Hilfe mehr: Als der 1970 geborene Philippe aufwuchs, hatte der Kommunismus seine besten Zeit längst hinter sich. Er hatte zwar noch eine gewisse Macht, aber es war absehbar, dass er die bald verlieren würde.

Außerdem, entdeckte Edouard Philippe in den folgenden Jahren, überzeugte ihn der Kommunismus ohnehin nicht. Er entdeckte den französischen Sozialismus, genauer: dessen gemäßigte Variante, verkörpert durch Michel Rocard. Philippe gehörte zu einer Gruppe studentischer Unterstützer des sozialistischen Premiers, die von diesem einmal monatlich zum Frühstück eingeladen wurden.

"Ich schätzte und bewunderte Rocard, dessen sozialdemokratische Politik mir einleuchtete", erinnert sich Philippe in einem Gespräch mit der französischen Tageszeitung "Le Monde". Für seinen Geschmack bot Rocard genau die richtige Mischung: links, aber nicht zu sehr. "Politisch war er liberal, und wirtschaftspolitisch ging er auf Abstand zu Regulierungsmaßnahmen durch den Staat."

Frankreich Edouard Philippe neuer Premierminister
Amtsübergabe: der bisherige Premier, Bernard Cazeneuve (li.), neben seinem Nachfolger Edouard Philippe Bild: picture-alliance/AP Photo/F. Mori

In der Tradition Jacques Chiracs

Die Distanz zu staatlich forcierter Wirtschaftspolitik war es dann auch, die ihn zu den Republikanern trieb. Ein günstiger Stern wollte es, dass er sich gut mit Alain Juppé verstand, der damals, 2002, gerade zum ersten Parteichef der neugegründeten UMP ("Union pour un mouvement populaire"), der Vorgängerpartei der heutigen Republikaner, ernannt worden war. Juppé war gerade auf der Suche nach einem Assistenten, und weil der junge Philippe inzwischen einflussreiche Fürsprecher in der Partei hatte, bekam er den Posten. Von dort beobachtete er aus relativer Nähe auch die Politik des damaligen Präsidenten Jacques Chirac. "Seine wichtigsten Tugenden waren Freiheit und Autorität. Sie wiesen ihn als rechten Politiker aus", erinnert sich Philippe.

Für diese Tugenden konnte er sich auch selbst immer stärker erwärmen, und sie machten ihn zu jenem gemäßigten und pragmatischen Konservativen, als der er heute gilt. "Philippe ist kein Opportunist", erklärt ein Generationengenosse, der Sozialist Jérôme Guedj. "Seine Entwicklung spiegelt vielmehr den rechten Einschlag, den das politische Leben in Frankreich genommen hat. Die linke Mitte hat sich in Richtung der rechten Mitte bewegt. Physisch wie kulturell entspricht Philippe ganz jenem politischen Typus, den Jacques Chirac geprägt hat."

In Le Havre, wo er seit 2010 als Bürgermeister fungiert, beschreiben ihn Kritiker als autoritär und jemanden, der wenig aus der Hand gibt. "Im Rathaus regelt und entscheidet er alles selbst", berichtet eine politische Gegenspielerin, die kommunistische Stadträtin Nathalie Nail. "Er lässt seinen Mitarbeitern keinen Spielraum, im Gegenteil: Sie müssen noch den kleinsten Anweisungen Folge leisten."

"Ein sympathischer Rastignac"

Als "sympathischen Rastignac" beschreibt ihn ein ehemaliger Kommilitone, in Anspielung auf die gleichnamige Figur des französischen Romanciers Honoré de Balzac. Dieser selbst beschrieb seinen Helden als "Genie des Ehrgeizes und der Rücksichtslosigkeit". Dieser Ehrgeiz könnte dazu beigetragen haben, dass Philippe im Jahr 2012 in die französische Nationalversammlung gewählt wurde.

Frankreich Arbeitsmarktreform Streik der Gewerkschaft CGT
"Linker Widerstandsgeist" in Philippes Heimatstadt: Gewerkschafter streiken in Le Havre, Mai 2016Bild: Getty Images/AFP/C. Triballeau

Balzacs Wort dürfte Philippe bekannt sein. Denn wie sein künftiger Chef, der frisch ernannte französische Präsident Emmanuel Macron, gilt auch Philippe als passionierter Leser, der selbst zwei politische Romane verfasst hat. Bücher sind weiterhin seine Begleiter ebenso wie die gepolsterten Handschuhe, zu denen er, der passionierte Boxer, gerne greift. Wie er trotz dieser Leidenschaft sein Gesicht vor unvorteilhaften Folgen des Kampfsports bewahrt, bleibt sein Geheimnis. Auf jeden Fall galt er schon in Studentenzeiten als Mensch von distinguiertem Äußeren. "Man war sich immer sicher: Aus dem wird mal was", erinnert sich sein Weggefährte, der Sozialist Jérôme Guedj.

Ein neues politisches Koordinatensystem

Offen ist, wie er seine Rolle als Premierminister verstehen wird. Kritiker wie Nathalie Nail werfen ihm einen Hang zum Opportunismus vor. Er ist ein echter Rechter, der sich als jemand ausgibt, der der Linken offen gegenüber steht", so Nail. "Das tut er, um auf Tuchfühlung mit der Bevölkerung von Le Havre zu bleiben, einer Stadt, die bis 1995 kommunistisch regiert wurde."

Opportunismus, vielleicht aber auch Pragmatismus. In Zeiten, in denen die großen Volksparteien, links ebenso wie rechts, nur noch eine zweit- oder gar drittrangige Rolle spielen, geraten die alten politischen Zuordnungen zunehmend außer Gebrauch und müssen neu definiert werden. Bald hat Edouard Philippe Gelegenheit, seine Interpretation des neuen politischen Koordinatensystems zu zeigen.

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika