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PolitikAsien

Frauen in Afghanistan fürchten Machtergreifung der Taliban

Shabnam von Hein
27. Juli 2021

Die radikalislamistischen Taliban könnten bald wieder die Macht in Afghanistan übernehmen. Menschenrechtsaktivisten berichten massive Unterdrückung der Frauen und Mädchen in den eroberten Gebieten.

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Afghanische Frauen und ihre Kinder auf der Straße nach Parwan
Bild: picture-alliance/dpa/S. Joly

"Unser Leben in Afghanistan als Frau war nie einfach. Aber jetzt können wir kaum eine Nacht ruhig schlafen", sagt Saleha Soadat aus Kabul. Die afghanische Frauenaktivistin befürchtet im DW-Interview, dass die Taliban bald auch Kabul unter ihre Kontrolle bringen würden. "Nach dem Abzug internationaler Truppen sind die Taliban wieder auf dem Vormarsch. Ausländische Militärpräsenz hatte uns zumindest ein Gefühl von Sicherheit gegeben. Nun strömen die Menschen aus den Provinzen in die Hauptstadt Kabul. Wer kann, flieht von Kabul aus weiter ins Ausland."

Jeden Tag beobachtet Soadat eine große Ansammlung von Menschen vor der Stadtverwaltung in Kabul, die Reisepass beantragen wollen. Nach dem Abzug der internationalen Truppen haben die militant-islamistischen Taliban mehrere Militäroffensiven gestartet. Seit Anfang Mai kontrollieren sie rund die Hälfte der etwa 400 Bezirke des Landes.

Tweet: "die Taliban haben Mädchenschulen in der Provinz Ghazni geschlossen"

Angesichts der Offensive der Taliban verhängte die Regierung in Kabul am Samstag (24.07.) eine nächtliche Ausgehsperre in allen Städten. Heftige Kämpfe zwischen den Aufständischen und Regierungstruppen gingen auch am Wochenende weiter. Die Verhandlungen zwischen Regierungsvertretern und den Taliban blieben bisher ergebnislos.  

"Wir haben kaum Hoffnung"

Nach einem Bericht der UN-Mission in Afghanistan am Montag (26.07.) waren deutlich mehr Zivilisten bei Anschlägen ums Leben gekommen als vor einem Jahr. In der ersten sechs Monaten 2021 wurden in Afghanistan knapp 5200 Zivilisten verletzt oder getötet, ein Plus von 47 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. "Weder Menschenrechte noch Frauenrechte spielen bei den Friedensverhandlungen zwischen der Regierung und den Taliban eine Rolle", sagt Frauenaktivsitin Soadat. "Ich bin in Kontakt mit vielen Frauen landesweit. Wir sind verzweifelt und haben kaum noch Hoffnung."  

Afghanistan Frauen bewaffnen sich gegen die Taliban
In der Provinz Ghor bewaffnen sich Frauen gegen die TalibanBild: Presseabteilung des Gouverneurs der Provinz Ghor

Berichte über systematische Unterdrückung von Frauen und Menschenrechtsverletzungen in den von den Taliban kontrollierten Gebieten wie Badachshan oder Kundus in Nordosten des Landes häufen sich. Die Unabhängige Afghanische Menschenrechtskommission in Kabul bestätigte Mitte Juli, dass die Taliban Mädchenschulen geschlossen und Frauen verboten hätten, ohne Begleitung eines männlichen Angehörigen das Haus zu verlassen. Ladenbesitzer oder Ärzte, die Frauen ohne Begleitung in ihre Räumlichkeiten einlassen, würden bestraft. 

Zwangsehen mit Talibankämpfern

Die Menschenrechtskommission bestätigte ebenfalls Berichte über Zwangsehen mit Talibankämpfern. Die Islamisten hätten angeordnet, alle unverheirateten Frauen über 15 Jahren und Witwen unter 45 Jahren mit Mitgliedern der extremistischen Organisation zu verheiraten. Für die Umsetzung dieser Anordnung sollen die Stammesältesten sorgen. Taliban-Sprecher Sabihullah Mudschahid dementierte allerdings die Berichte über Zwangsehen: "Niemand sollte sich einmischen, wenn die Familien freiwillig entscheiden, an wen sie ihre Mädchen verheiraten möchten."

Für junge Männer ist die Situation nicht viel besser. Nicht nur weil sie nach dem Willen der Taliban traditionelle Kleidung tragen und ihren Bart wachsen lassen müssen. Schwerer wiegt: Familien mit mehr als zwei Kindern müssen ihre Söhne zum Dienst bei den Taliban schicken.

Katar, Doha | Friedensverhandlung zwischen dem Afghanischen Staat und den Taliban
Friedensverhandlung zwischen dem Afghanischen Staat und den Taliban. Viele befürchten, die Taliban könnten zukünftig wieder an einer Regierung beteiligt sein Bild: Karim Jaafar/AFP

Die Islamisten brauchen Kämpfer. Mittlerweile haben die Taliban nach eigenen Angaben mehrere Grenzübergänge erobert und kassieren selbst die Zollabgaben für Import- und Exportgeschäfte. Laut Kabuler Finanzministerium betrugen die Einnahmen der Zollbehörden zuletzt rund vier Millionen US-Dollar pro Tag. Einnahmen, die Kabul fehlen und die Islamisten stärken.   

Gleichzeitig nahmen die Taliban weitere Abschnitte des Fernstraßenrings ein, der die wichtigsten Städte im Lande verbindet. Das ermöglicht ihnen, noch mehr Kontrollpunkte zu errichten, Fahrzeuge und Insassen zu überprüfen, illegale Gebühren zu erheben und die Bewegungen der Sicherheitskräfte weiter einzuschränken. 

Soadat befürchtet, wie viele andere Menschen in Afghanistan, dass sich die Taliban zukünftig wieder an der Regierung beteiligen. Das könnte den Kampf Frauenrechte um Jahrzehnte zurückwerfen. Bevor die Taliban durch die US-geführte Militärallianz Ende 2001 gestürzt wurden, hatten sie mit einer extremen Auslegung des islamischen Rechts geherrscht, die Mädchen von der Schule und Frauen von der Arbeit außerhalb ihres Hauses ausschloss. Ein Aufenthalt in der Öffentlichkeit ohne einen männlichen Verwandten war Frauen verboten.  

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