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Angie in Amerika

17. April 2010

Wenn Regierungschefs auf Reisen gehen, dann herrscht Ausnahmezustand. Jeder bemüht sich, es dem hohen Gast so angenehm wie möglich zu machen. Zwei Tage lang konnte die Bundeskanzlerin das in Kalifornien erleben.

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Logo fernschreiber (Grafik: AP)

Ob Angela Merkel weiß, wie verstopft die Autobahnen in Kalifornien normalerweise sind? Vielleicht kann sie sich ja noch daran erinnern, wie es war, als sie mit ihrem Mann die Westküste der USA nach dem Fall der Mauer besuchte. Als Bundeskanzlerin aber rast ihre Kolonne mit Höchstgeschwindigkeit über die Highways von Los Angeles und San Francisco. Die Highway Patrol macht's möglich, dass die fünfspurigen Straßen so leer sind, dass sie sich fast wie deutsche Autobahnen anfühlen.

Denn die Kanzlerin hat es eilig. Eine Urlaubsreise ist das Programm ganz sicher nicht, das sie in den zwei Tagen in Kalifornien absolviert. Angesichts der dicht gedrängten Termine fragen sich die mitreisenden Journalisten, die notgedrungen schon mal eine Informationsveranstaltung ausfallen lassen, um in den zehn Minuten ein gewisses Örtchen aufzusuchen, wann Angela Merkel eigentlich diesen menschlichen Bedürfnissen nachgeht. Und wie sie es schafft, dass ihre Frisur den ganzen Tag über aussieht, als wäre sie gerade frisch toupiert worden.

Pflicht oder Kür?

Zum Programm gehört dabei auch ein Besuch in den Film– und Fernsehstudios der berühmten Warner Brothers. Es macht einen sympathischen Eindruck, wenn Angela Merkel dabei unbekümmert ihres deutschen Akzents den Schauspieler Simon Baker in ihrem Basis-Englisch nach dessen Arbeit befragt. Und durchblicken lässt, dass sie die Kulissen nur besucht, weil es ihr jemand ins Programm geschrieben hat. Schauspieler und Politiker haben offensichtlich doch mehr gemeinsam, als man glaubt.

Christina Bergmann (Foto: dw)
Christina Bergmann, Studio Washington

Dass einige Schauspieler der ersten Garde ihr einen Korb gegeben haben, dürfte die Bundeskanzlerin also nicht wirklich bekümmern. Es gibt genügend andere Gesprächspartner wie Gouverneur Arnold Schwarzenegger und den Bürgermeister von Los Angeles. Hinzu kommen Wirtschaftsvertreter und Wissenschaftler. Alle Gastgeber haben stets darauf geachtet, dass die deutsche Regierungschefin die atemberaubende Landschaft gebührend genießen kann. Die Termine finden vorzugsweise auf Terrassen oder zumindest in Räumen mit großen Fenstern statt, von denen Merkel ihren Blick auf die Bucht oder die Berge schweifen lassen kann.

Schlechte Nachrichten

Und diese Momente der Entspannung kann sie vor allem am zweiten Tag der Reise gut gebrauchen. Die Nachricht vom Tod der vier Bundswehrsoldaten in Afghanistan überschattet den Besuch. Bereits am Morgen muss sie vor die Kameras treten. Sichtlich angespannt erklärt sie den Angehörigen der Gefallenen ihr Beileid. Es ist zu spüren, dass sie keinen falschen Satz sagen, keine unpassende Grimasse ziehen will. Hatte sie am Vortag noch einen knallroten Blazer an, ist sie jetzt ganz in schwarz gekleidet. Es fällt nicht schwer, sich vorzustellen, dass ein solches gedecktes Ensemble zum Standardinhalt ihres Koffers auf jeder Auslandsreise gehört. Man kann ja nie wissen.

Merkel in Stanford (Foto: AP)
Die Kanzlerin in StanfordBild: AP

Gedenken an die toten Soldaten

Das Gedenken an die getöteten Soldaten wird sie den ganzen Tag begleiten. Bei keiner Rede, bei kaum einem Statement fehlt der Hinweis auf das tragische Ereignis. Auch der Höhepunkt des zweiten Tages, ihre Rede in der Elite-Universität Stanford beginnt mit einer Schweigeminute. Die Bundeskanzlerin macht Afghanistan zum Schwerpunkt des ersten Teils ihrer Ausführungen. Es ist eine gute Rede, die ihr viele Sympathien einbringt. Nicht umsonst wünscht sich Universitätspräsident John Hennessy, sie möge doch als Gastprofessorin wiederkommen.

In ihrem Element

Angela Merkel wirkt zunehmend gelöst. Sie spricht von Freiheit und Solidarität, von der Notwendigkeit globaler Zusammenarbeit, um den Herausforderungen dieser Zeit zu begegnen. Es kommt in Amerika gut an, dass das vereinte Deutschland eine Frau als Regierungschefin hat, noch dazu eine, die ihr halbes Leben unter einem kommunistischen Regime zubringen musste. Das ist der amerikanische Traum in einer etwas anderen Variante.

Angela Merkel versteht es, ihre persönliche Lebensgeschichte hervorzuheben. Stanford ist der ideale Ort dafür, schließlich steht das Motto der Universität in Deutsch auf dem Wappen geschrieben: "Die Luft der Freiheit weht." Im großen Auditorium der Universität zeigt sie sich aber auch von ihrer humorvollen Seite, die man in Deutschland wohl nur selten erlebt. Sie erinnert die versammelten Studenten und Professoren daran, dass es die Deutschen waren, die das Automobil erfunden haben – "auch, wenn das den Amerikanern nicht passt", fügt sie verschmitzt hinzu. Es ist davon auszugehen, dass sie weiß, dass US-Präsident Barack Obama bei anderer Gelegenheit versucht hat, diese Erfindung für sein Land zu reklamieren. Und auf die Frage eines Studenten, was denn der größte Unterschied zwischen einem Wissenschaftler und einem Politiker sei, erklärt sie, als Wissenschaftlerin habe sie gelernt, nur zu reden, wenn sie etwas Neues zu sagen habe. Als Politikerin habe sie da umlernen müssen.

Der Abschied im Auditorium in Stanford ist herzlich, und nach einem Abstecher zu einer neuen Forschungseinrichtung auf dem Campus geht es am Nachmittag pünktlich im Eiltempo über freigeräumte Autobahnen zurück zum Flughafen. Dann aber, auf dem Weg nach Berlin, heißt es unerwartet: vorläufige Endstation Lissabon. Gegen Vulkanausbrüche ist auch eine deutsche Bundeskanzlerin machtlos.

Autorin: Christina Bergmann

Redaktion: Marko Langer