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Politik aus Notwehr - Freie Wählergemeinschaften

Wolfgang Dick26. Mai 2014

Die Kommunalwahlen in zehn Bundesländern haben gezeigt, dass viele Bürger für die Probleme vor der Haustür eher lokalen Wählergemeinschaften vertrauen, als den etablierten Parteien. Das hat erhebliche Folgen.

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Wahlkampf der Freien Wählergemeinschaft 2014
Bild: DW/K. Jäger

Manfred Rauw hat die Probleme einer großen Partei hautnah miterlebt und es schließlich nicht mehr ausgehalten. Er war 30 Jahre lang aktives Mitglied der CDU, der Partei, die heute von Bundeskanzlerin Angela Merkel geleitet wird. Der Diplom-Volkswirt kam in Bad Honnef bei Bonn, nach eigener Erzählung, mit seinen Ideen in der CDU einfach nicht mehr weiter. Sein Ort hatte mit vielen wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen. Etliche Institutionen und Firmen verließen den Standort oder ihnen drohte die Insolvenz. Der Tourismus im benachbarten Siebengebirge dümpelte vor sich hin. Der 74-Jährige wollte schnell etwas bewegen und griff auch schon mal Vorschläge auf, die nicht aus der eigenen Partei stammten. Doch er erntete eine Menge Anfeindungen. "Dann geht es nicht mehr um Sachthemen, sondern um Persönliches, Ämter und Ansprüche" bedauert Rauw den Zwang zur Parteilinie. Es gehe um persönliche Macht, die den Bürger und Wähler wenig interessiere.

Flucht nach vorne

Manfed Rauw verließ die CDU und ist seit rund 14 Jahren Vorsitzender der Freien Wählergemeinschaft in Bad Honnef. Für ihn war das ein Befreiungsschlag. Jetzt sei alles anders, erzählt er: "Jeder kommt bei uns zu Wort, jeder kann Gedanken entwickeln". Man trete auch nicht erst kurz vor den Wahlen der Bevölkerung gegenüber, sondern binde sie regelmäßig in Entscheidungsprozesse ein. So habe man sich zum Beispiel dafür eingesetzt, dass die Bürger die Gehwege vor ihren Häusern nicht selbst reinigen müssen, sondern ein Dienstleister, bezahlt mit Gebührengeldern, damit beauftragt werden soll. Es seien eher die kleinen Dinge, die sich addieren und von der Bevölkerung verstärkt wahrgenommen würden, sagt Rauw. "Dann kommen Anrufe, kannst Du mal bei uns vorbeikommen?" und dann, sagt Rauw, würde man persönlich über ein Problem sprechen.

Portrait Manfred Rauw, Freie Wähler Bad Honnef (Foto: DW/Dick)
Manfred Rauw: "Gegenwehr muss man aushalten"Bild: DW/W. Dick

Bisherige Erfolgsbilanz

Schon seit Bestehen der Bundesrepublik haben sich in den Städten und Gemeinden Bürger in so genannten "Freien Wählergemeinschaften" engagiert. Besonders dann, wenn die Bevölkerung unzufrieden mit den Parteien vor Ort war. Politik aus Notwehr sozusagen. Inzwischen stellen diese "Freien Wählergemeinschaften" besonders in Bayern und Baden-Württemberg viele Landräte, und sie sind gefragte Koalitionspartner, weil den etablierten Volksparteien vor Ort dringend benötigte Mehrheiten fehlen. In Thüringen errangen die Freien Wähler bei der jetzigen Kommunalwahl in manchen Orten sogar mehr Stimmanteile als CDU, SPD oder Grüne und stellen so etliche Bürgermeister.

Ohne Ideologie und Machtspiele

Der Politikwissenschaftler Jürgen W. Falter, Professor an der Universität Mainz, begründet das Geheimrezept der Freien Wählergemeinschaften mit fehlenden Grabenkämpfen: "Man vermeidet innerparteiliche Machtkämpfe und Auseinandersetzungen um Ämter und Posten, wie sie bei den großen Parteien beinahe an der Tagesordnung sind. Die Freien Wählergemeinschaften versuchen ganz pragmatisch vorzugehen." Die Freiheit, keinen Vorgaben aus einer Parteizentrale nachgehen zu müssen, vermeide auch Kämpfe um eine politische Marschrichtung. So hätte sich beispielsweise die Piratenpartei schon nach ersten Erfolgen als junge Partei aufgerieben, weil nicht klar war, ob man eine liberale oder linke Partei sein wollte.

Portrait Jürgen Falter (Foto: Soeren Stache/dpa)
Falter: "Wenig Machtspiele bei den freien Wählern"Bild: picture-alliance/dpa

Etablierte Parteien schotten sich vom Bürger eher ab, vor allem, wenn sie sich ihrer Macht sicher sein könnten, weil sie schon aus Tradition gewählt würden. Die Erfahrung haben Dietmar Josef Lauer und Hermann Bernardy in der kleinen Gemeinde Buchholz in Rheinland-Pfalz gemacht. Hier dominierte seit Jahrzehnten eine Partei mit 67 Prozent der Wählerstimmen den Gemeinderat. Das Problem vor Ort ist der Lärm von Flugzeugen, die den Airport Köln/Bonn anfliegen. 20.000 Überflüge im Jahr. 7000 davon alleine nachts. Anwohner Dietmar Josef Lauer: "Ich habe die Bürgermeisterin gefragt, was man da machen kann. Sagt die: Gar nichts. Die Frau macht keine Politik!" Politik machen würde doch bedeuten, sich einzusetzen, sich anzulegen und sich auch mal eine blutige Nase zu holen", meint Lauer. Der studierte Jurist und Bausachverständige engagiert sich jetzt mit seinem Mitstreiter Bernardy bei der Freien Wählergemeinschaft im Ort. Die Konsequenz: Die bisher dominierende Partei verlor 20 Prozent der Wählerstimmen. Mit den günstigeren Machtverhältnissen hofft die Freie Wählergemeinschaft, jetzt mehr im Gemeinderat bewegen zu können.

Undemokratische Gegenwehr

Die größten Erfolge verzeichnen Freie Wählergemeinschaften in kleinen Orten und eher in ländlichen Gebieten, hat eine Forschungsarbeit an der Universität Jena festgestellt. Was man aber nur im persönlichen Gespräch erfährt, ist, wie die etablierten Parteien auf die Bürgervereinigungen reagieren, die ihnen Wählerstimmen und damit Macht wegnehmen. Die Schilderungen wollen nicht recht zum Eindruck einer vorbildlichen Demokratie in Deutschland passen.

Dietmar Josef lauer und Hermann Bernardy, Freie Wähler (Foto: DW/Dick)
Lauer und Bernardy: "Arroganz kann gebrochen werden"Bild: DW/W. Dick

Als Manfred Rauw zur Freien Wählergemeinschaft wechselte, suchten seine ehemaligen Parteifreunde fieberhaft nach einem Fehler des Abtrünnigen, den man ihm hätte anheften können. "Ich wurde so sehr angefeindet, dass meine Frau sagte, hör doch auf", erzählt Rauw. Ähnliches Vorgehen bestätigen Hermann Bernardy und Dietmar Josef Lauer: "Ich merke sehr viel Gegenwind. Man wird als Spinner und Querulant bezeichnet." Zwar werde keine körperliche Gewalt ausgeübt, das private Auto beschädigt oder gar das Haus beschmiert. Aber der Leumund werde demontiert, berichtet Bernardy. "Viele halten das nicht aus und geben auf", ergänzt Lauer.

Wer sich dann als Kämpfernatur nicht unterkriegen lässt und weitermacht, habe noch anderes auszuhalten, ist in Kreisen der Freien Wählergemeinschaften zu erfahren: Redezeit wird von Bürgermeistern in Ratssitzungen begrenzt, Skandale von politischen Gegnern können nicht öffentlich gemacht werden, weil jeder Antrag, der mit einer Kostenbenennung versehen ist, automatisch als "nicht öffentlich" gilt und einer Schweigepflicht unterliegt, Fristen für Vorgänge werden nicht weitergegeben, Einladungen zu bestimmten Treffen nicht verschickt. Gegen die kritische Begleitung mancher Ortspolitik rüsten sich Gemeinden mit speziellen Rechtsversicherungen, die helfen sollen, jederzeit mit Klagen und Prozessen gegen Bemerkungen der Freien Wählergemeinschaften vorgehen zu können. Das alles verhindert dennoch nicht, dass immer wieder versucht wird, Dinge auf lokaler Ebene außerhalb etablierter Parteien zu organisieren.