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Flüchtlingscontainer im Museum

Gaby Reucher28. August 2016

Die Alltagsswelt aus vergangenen Zeiten rekonstruieren? Das versuchen viele Freilichtmuseen. In Kommern will man dabei nicht nur Jahrhunderte alte Bauwerke bewahren, sondern auch die heutige Zeit im Blick behalten.

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Freilichtmuseum Kommern Notrufsäule, Copyright: DW/G. Reucher
Bild: DW/G. Reucher

Eigentlich ist das Freilichtmuseum in Kommern bekannt für seine alten Fachwerkhäuser aus den Regionen des Rheinlandes. Da gibt es kleine, nachgebaute Dörfer mit Wiesen und Wäldern, alte Bauernhöfe und Werkstätten von Stellmacher oder Schmied. Doch seit Josef Mangold 2007 sein Amt als Museumsleiter angetreten hat, geht es nicht mehr nur um die Geschichte vergangener Jahrhunderte. "Wir müssen den Sprung in die Zukunft machen. Wir wollen die Geschichte von Menschen erzählen und dazu müssen wir Zeitzeugen befragen", ist Mangold überzeugt und widmet sich in einem eigenen Bereich des Museums, dem "Marktplatz Rheinland", der Zeit nach 1945 bis heute.

Menschen sind wichtiger als Gebäude

Etwas abseits dieses fiktiven Marktplatzes stehen sechs graue Wohncontainer. Sie stammen aus Krefeld und haben bis 1991 jugoslawische Flüchtlinge beherbergt. In einem der zehn Quadratmeter großen Räume stehen vier Betten mit aufgeschlagenen Decken, so, als hätten die Flüchtlinge den Container gerade erst verlassen. Auf einem Monitor ist ein Flüchtling zu sehen, der seine Geschichte erzählt. Ein beklemmendes Gefühl, denn alles scheint so real. "Selten war ein Freilichtmuseum so nah an der Aktualität", bekräftigt Volkskundler Raphael Thörmer, der durch das Gelände führt.

Freilichtmuseum Kommern Flüchtlingscontainer, Copyright: DW/G. Reucher
Wieder aktuell: Der Blick in einen Wohncontainer für FlüchtlingeBild: DW/G. Reucher

Bereits in den siebziger und achtziger Jahren fing man an, in den Freilichtmuseen nicht mehr nur die Gebäude, sondern vor allen Dingen die Menschen in den Vordergrund zu stellen. Wer hat in den Häusern gewohnt? Und wie hat man damals gelebt? "Heute können wir die Leute befragen und erfahren so oft eine ganze Familiengeschichte wie im Fall der Familie Watteler", sagt Raphael Thörmer.

Museum für die jüngste Vergangenheit

Auf dem Marktplatz steht die Gaststätte Watteler mit dem Charme der 1970er Jahren. Das Haus ist mit rotem Klinker verblendet, innen die typischen Kreismuster auf der braun-beigen Tapete. An der Theke hängt ein Kissen an der Wand. Da hat sich der kränkelnde Wirt immer angelehnt, erzählt Thörmer. Solche Gasthöfe gibt es auch heute noch in der Region, fast an jeder Ecke, möchte man meinen. Dem ist aber längst nicht mehr so, sagt Museumsleiter Josef Mangold, in zehn Jahren seien sie vielleicht schon alle verschwunden.

Freilichtmuseum Kommern Gaststätte, Copyright: DW/G. Reucher
In der alten Gaststube bekommt man noch Würstchen und Kartoffelsalat wie einst bei den WattelersBild: DW/G. Reucher

Viele der alten Höfe, wie sie im Originalzustand im Freilichtmuseum Kommern des Landschaftverbands Rheinland (LVR) zu sehen sind, wurden in den 1950er und 1960er Jahren anders genutzt oder sollten abgerissen werden. Der Umbruch kam nach dem Krieg mit dem Wirtschaftswunder. Die alten Höfe waren nicht mehr geeignet für die Massenproduktion und die neuen technischen Anlagen. So wurde aus einer Schmiede eine Autowerkstadt, aus dem Wohnhaus eine Gaststätte.

Volkskundler wollten die alten Bauwerke retten und bemühen sich seit den Anfangszeiten des Museums, in den 60er Jahren, den Originalzustand der Fachwerkhäuser unter architektonischen und kunsthistorischen Gesichtspunkten wieder herzustellen. Museumsleiter Josef Mangold will auf dem "Marktplatz Rheinland" aber gerade diese Umbauten zeigen. Die Toreinfahrt neben der Gaststätte Watteler lässt noch den alten Bauernhof erkennen.

"Mit dem Strukturwandel sind zwei Bauernhöfe pro Tag aufgegeben worden", erzählt Raphael Thörmer, der im LVR-Freilichtmuseum Kommern auch für das Marketing zuständig ist. Damals an ein Haus zu kommen, war nicht schwer. Das sei heute anders, sagt Josef Mangold. "Wir können heute nicht mehr über Land fahren und sagen, das hätten wir gerne. Vieles steht unter Denkmalschutz." Die Häuser werden vor Ort restauriert und sind noch in Gebrauch.

Freilichtmuseum Kommern Museumsleiter Josef Mangold, Copyright: DW/G. Reucher
Privat sammelt Josef Mangold kleine VW-BusseBild: DW/G. Reucher

Schön soll ein Freilichtmuseum nicht sein

Die alten Bauernhöfe aus vergangenen Jahrhunderten bestreiten nach wie vor den Großteil des Freilichtmuseums, das 1961 eröffnete. "Das älteste Haus, das wir haben, ist ein Kornspeicher aus dem 15. Jahrhundert vom Niederrhein", erzählt Museumsleiter Mangold. Den verschiedenen Regionen des Rheinlandes wie Eifel, Niederrhein oder Bergisches Land, sind in Kommern einzelne Baugruppen zugeordnet, die wie ein typisches Dorf mit Obstwiesen, Tieren und Gärten angelegt sind. Mit diesem Konzept war Kommern andernen Freilichtmuseen weit voraus.

Ein kurzes Waldstück vom "Marktplatz Rheinland" entfernt, liegt die Baugruppe Westerwald. Zwischen den Fachwerkhäusern laufen Hühner über die Straße, auf den Wiesen trocknet das Heu.In jeder Baugruppe sehen die Häuser anders aus. Wer Wälder hatte, baute mit Holz, wer Berge hatte, mit Stein.

Die blumenumrankten Lehmhäuser mit ihren Bauerngärten und den Ziegen im Stall haben etwas Idyllisches. Das wirkliche Leben vergangener Zeiten zu präsentieren, sei schwierig, sagt Josef Mangold. "Ich bekomme immer die Krise, wenn jemand sagt: 'Es ist aber schön hier'." Schön dürfe ein Freilichtmuseum eigentlich nicht sein. "Es muss auch Schmutz und Unordnung geben. Ein Freilichtmuseum darf nicht geleckt aussehen". Deshalb sorgen die Museumsmitarbeiter für eine inszenierte "geordnete Unordnung", lassen etwa die Betten im Flüchtlingscontainer ungemacht.

Freilichtmuseum Kommern Bauerngarten, Copyright: DW/G. Reucher
1958 wurde dieses Haus aus Kessenich bei Bonn nach Kommern geholtBild: DW/G. Reucher

Altes Handwerk zu erhalten ist schwer

Wie in vielen Freilichtmuseen schlüpfen auch in Kommern Museumsmitarbeiter in die fiktive Rolle der Köchin oder des Hufschmieds und erklären den Besuchern ihr Handwerk und ihren oft harten Alltag. In der Baugruppe Eifel liegt der Hof eines Stellmachers, der früher Wagen, Kutschen und Werkzeuge für die Bauern baute. Bernd Phiesel ist eigentlich Zimmermeister und Restaurator. Zweimal in der Woche schlüpft er in die Rolle des Stellmachers und zeigt Kindern in Workshops, wie man etwa einen Würfel herstellen kann. Den Beruf als solchen gibt es nicht mehr. "Der Beruf ist ja dann in den modernen Zeiten in den Fahrzeug- und Karosseriebauer eingegangen und somit kein Handwerksberuf mehr", weiß Phiesel, der sich die alten Arbeitstechniken angeeignet hat.

Freilichtmuseum Kommern Stellmacher Bernd Phiesel,Copyright: DW/G. Reucher
Bernd Phiesel zeigt Kindern den Umgang mit WerkzeugBild: DW/G. Reucher

Die ersten Museumshandwerker kamen noch aus den alten Berufen. "Jetzt müssen wir schon Leute in den Berufen ausbilden, die es eigentlich gar nicht mehr gibt", sagt Museumsleiter Mangold, das sei nicht einfach. Viel Wissen gehe ohne die alten Lehrmeister verloren. "Wir sind selbst schon musealisiert." Nicht zuletzt deshalb sorgt Mangold für die Zukunft vor und befragt heute die Leute, deren Häuser, Gegenstände oder Berufe schon morgen Teil des Museums sein könnten.