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Literatur

Wie der Krimi die Welt erklärt

Sabine Peschel
11. September 2019

"Als Schriftsteller bin ich Chronist am Wegesrand", sagt Friedrich Ani. Und Israels Erfolgsautor Dov Alfon glaubt, dass seine Fiktion die Welt besser erklärt als Zeitungen. Die beiden Krimi-Autoren im DW-Gespräch.

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Deutsch Israelische Literaturtage 2019
Bild: Heinrich-Böll-Stiftung

Die Deutsch-Israelischen Literaturtage sind eine Zusammenarbeit der Heinrich-Böll-Stiftung und des Goethe-Instituts. Unter dem Motto "Lauter, immer lauter?" brachten sie am 4. und 8. September 2019 in Berlin acht Autorinnen und Autoren zu Lesungen und Diskussionen zusammen - jeweils im Duo: Sami Berdugo und Priya Basil, Mati Shemoelof und Tijan Sila, Maayan Ben Hagai und Dilek Güngör - sowie Dov Alfon und Friedrich Ani. Im DW-Interview sprechen die beiden Bestsellerautoren von Kriminalromanen gemeinsam über Heimatlosigkeit, Populisten und die Wahrheit von Fiktion.

Deutsche Welle: Ist es etwas Besonderes, wenn sich deutsche und israelische Schriftsteller treffen? Ist das anders als beispielsweise bei Begegnungen mit französischen Autoren?

Dov Alfon: Mich hat bei dieser Begegnung mit Friedrich Ani ganz besonders sein familiärer Hintergrund interessiert, der natürlich auch Teil der deutschen Geschichte ist. Eine Teil, der in Israel wenig bekannt ist. Aber normalerweise ist der Hintergrund bei solchen Treffen sehr viel besser bekannt. Doch selbst, wenn man ihn schon tausend Mal erzählt hat, gibt es immer eine tausendunderste Version, ihn neu zu erzählen. Also ja, es ist besonders interessant und voller unerwarteter Momente, wenn sich deutsche und israelische Schriftsteller treffen.

Friedrich Ani: Für mich ist diese Begegnung mit Dov Alfon außergewöhnlich, ich habe noch nie einen israelischen Schriftsteller persönlich kennengelernt, geschweige denn einen Kriminalschriftsteller. Das waren besondere Momente hier bei den Deutsch-israelischen Literaturtagen. Für mich ist das eine große Bereicherung, und ich freue mich wahnsinnig darauf, Alfons Buch zu lesen. Das wird ganz bestimmt meinen Blick erweitern.

Diese Literaturtage unter dem Thema "Lauter, immer lauter?" setzten sich mit dem Populismus auseinander. Haben wir es zur Zeit mit zwei konkurrierenden Gesellschaftsmodellen zu tun? Einmal mit dem Entwurf einer nationalistischen, mit dem Populismus verbündeten, tendenziell undemokratischen - und auf der anderen Seite mit dem Entwurf einer multiethnischen, postmigrantischen Gesellschaft?

Alfon: Ich akzeptiere diese Vorstellung nicht, dass eine Seite im Recht und menschenfreundlich ist und die andere nationalistisch und neu. Diese Probleme sind alles andere als neu. Migration gehörte zu Europa schon seit den Wikingern. Ich glaube, es gibt eine echte Wut in manchen Ländern, eine Wut, mit der sich der Staat auseinandersetzen muss. Die Lösung liegt in einer humanistischen Herangehensweise - indem man den anderen versteht, ja, ihn vielleicht sogar liebt. Indem man die Migranten versteht, aber auch die Wütenden, diejenigen, die voller Zorn sind und meinen, dass sie aus Protest die Populisten wählen müssten. Das sind ernste Probleme. Aber da Deutschland eine ernsthafte Nation ist, muss es sich mit diesen Dämonen und Problemen auseinandersetzen und sie verstehen. Und die Debatte nicht zu einem Richtig und Falsch vereinfachen. So einfach ist das ganz und gar nicht.

Schriftsteller Friedrich Ani
Friedrich Ani wurde als Sohn eines syrischen Arztes und einer aus Schlesien geflüchteten Mutter in Bayern geborenBild: picture alliance/dpa/U. Zucchi

Ani: Ein solcher Dualismus bringt uns nicht weiter. Wir hatten immer Populismus, ein Großteil der Politik besteht immer schon aus Populismus. Deswegen haben wir ja Gehirne und können uns vielleicht durch Nachdenken oder Information etwas aneignen, was uns einen klaren Blick macht.

Ich habe überhaupt keine Entschuldigung dafür, dass man sagt, diese Leute sind alle nur zornig, oder die sind unzufrieden mit der Regierung: "Merkel ist schuld!" Da denkt man, wie viel Zeit verbringt Ihr denn am Tag damit, euch irgendwie zu informieren? Das kann doch nicht wahr sein, dass man sagt, ein Mensch ist schuld! Angela Merkel ist schuld, dass wir die Flüchtlinge haben. Damit arbeitet die AfD. Das ist so dumm, dass es eigentlich gar nicht lohnt, darüber zu reden. Aber man muss es tun, denn - die Aufklärung geht weiter.

Was können Schriftsteller dem wachsenden Populismus entgegensetzen?

Alfon: Es ist nicht die Aufgabe von Schriftstellern, sich mit einer Situation auseinanderzusetzen. Ähnliche Fragen werden mir oft gestellt, aber ich lehne sie ab, denn nach meinem Empfinden wollen Schriftsteller einfach nur eine Geschichte erzählen. Und im allgemeinen erklärt diese Geschichte die Welt, in der wir leben. Und wenn man dann die Welt, in der wir leben, versteht, dann kann man auch eine Ahnung davon bekommen, wie man mit einer schwierigen Situation umgeht, oder wie man sich selbst oder andere anders einschätzt. Wir Schriftsteller sollten dabei bleiben, unser eigenes Universum zu beschreiben, denn unsere fiktives Universum erklärt die Welt besser als alle Zeitungsartikel.

Wäre es falsch zu unterstellen, dass Ihr Roman "Unit 8200" die Situation in Israel beschreibt - und die Korruption in Netanjahus Regierung?

Alfon: Heinrich Böll stellte seinem Roman "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" den Satz voran: "Sollten sich bei der Schilderung gewisser journalistischer Praktiken Ähnlichkeiten mit den Praktiken der Bild-Zeitung ergeben haben, so sind diese Ähnlichkeiten weder beabsichtigt noch zufällig, sondern unvermeidlich." Ungefähr so ist es auch bei mir: Wenn der Ministerpräsident in meinem Buch Netanjahu so ähnlich ist, dann ist das ganz sicher nicht meine Schuld. Wie ich es verstehe, mache ich nichts anderes, als zu erklären, wie die Welt funktioniert. Was in meinem Fall heißt, zu beschreiben, wie ein rücksichtsloser Politiker in Israel funktioniert. Wie funktioniert eine solche Politik? Wie beeinflusst sie die Öffentlichkeit? Wie die Weltereignisse? Ich hoffe, dass in meinem Buch sehr deutlich wird, dass jeder Protagonist einen Grund hat für das, was er tut. Und das schließt einen korrupten Ministerpräsidenten mit ein.

Dov Alfon bei den Deutsch-israelischen Literaturtagen 2019 in der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin
Dov Alfon bei den Deutsch-Israelischen Literaturtagen 2019 in Berlin - neben ihm Friedrich Anis KrimiBild: Heinrich-Böll-Stiftung

Herr Ani, fühlen Sie sich aufgefordert, auf die Wahlerfolge der AfD zu reagieren?

Ani: Ich verstehe mich als Schriftsteller als Chronist am Wegesrand. Ich schaue, ich höre zu und versuche, eine Geschichte zu erzählen, die vielleicht im guten Falle unterhaltsam ist, im noch besseren Falle spannend im Kriminalroman. Aber ich habe meine eigene Position, von der aus ich auf die Welt und die Gegenwart schaue - sehr konkret. Und ich bin nicht dazu da, zu belehren oder zu urteilen. Und schon gar nicht, zu verurteilen. Ich versuche, etwas zu spiegeln, was stattfindet. Meine Figuren versuchen, in der gegebenen Wirklichkeit zurecht zu kommen. Ich begleite sie dabei. Ich versuche, ihnen über die Straße zu helfen, dass sie nicht überfahren werden.

Wenn ich mich in eine Demonstration begebe oder versuche, meine Stadt zu verteidigen gegen Rechts oder gegen Dummheit und Rassismus, dann mache ich das als Bürger, und nicht wegen meines Berufes als Schriftsteller.

Sie haben sich als Schriftsteller für das Genre des Kriminalromans entschieden. Warum eigentlich?

Alfon: Ehe ich Journalist wurde, war ich Spion. Ich habe als Offizier des Geheimdiensts in der israelischen Armee gearbeitet, in einer ganz besonders geheimen Einheit, die genauso hieß wie die, die dem Buch ihren Titel gab, "Unit 8200". Deshalb habe nicht ich den Kriminalroman gewählt, sondern der Krimi mich. Da ich wollte, dass die Wahrheit aus meinem Buch spricht, war es nur logisch, dass ich über etwas schreibe, das ich kannte, anstatt ein neues fiktives Universum zu erfinden.

Wieviel Wahrheit muss ein Kriminalroman enthalten?

Don Alfon: "Unit 8200"
"Unit 8200" erschien auf Deutsch im Rowohlt Verlag

Alfon: Die Wahrheit kommt in Krimis nicht durch den Plot, sondern sie entsteht durch die Motivation und das Verhalten der Figuren, durch Liebe oder Hass. Das ist eine goldene Regel.

Ani: Die Wahrheit in einem Buch kommt meiner Überzeugung nach nur aus dem Personal, aus den Figuren. Darin unterscheidet sich der Kriminalroman, der es ernst meint, nicht von der allgemeinen Belletristik. Wahrheit in einem Roman ist ja nicht, dass man eine Abbildung der Wirklichkeit schafft, die man dann als wahr definiert, denn das würde ja bedeuten, das ein Schriftsteller die Wahrheit kennt.

Ihre Krimis werden oft dafür gerühmt, dass die gesellschaftliche Realität immer sehr stark mit einfließt, und dass genau das ihren großen Reiz ausmache.

Ich glaube, dass der Kriminalroman an sich daraus besteht, dass er eine Realität beinhaltet, und dass auf der erzählerischen Ebene der Anspruch besteht, mit der Wirklichkeit umzugehen. Aber der Wahrheitsgehalt - wenn man das Wort in der Fiktion überhaupt benutzen kann - besser gesagt "das Wahrhaftige" kann ja nur über die Figuren entstehen und nicht über den Plot.

Sie, Herr Alfon, wurden in Tunesien geboren und wuchsen in Paris auf, bis Sie elf wurden und Ihre Eltern mit Ihnen nach Israel emigrierten. Jetzt leben Sie wieder in der französischen Hauptstadt. Spielt der Hintergrund Ihrer Herkunft eine Rolle für Ihr Schreiben?

Alfon: Da er wichtig für mein Leben ist, hat er auch für mein Schreiben Bedeutung. Es heißt, dass noch kein Jude auf seinem Sterbebett je bedauert hätte, dass er so viele Pässe hatte. Es läuft darauf hinaus, dass die Geschichte der Migration sehr stark Teil einer Angst ist, die ich, wie ich begriffen habe, nicht bekämpfen kann. Also muss ich sie akzeptieren, sie mir zu eigen und das Beste daraus machen. Natürlich beeinflusst es mein Leben, wenn ich alle paar Jahre in ein anderes Land ziehe. Und es beeinflusst mein Schreiben, das mehr global geprägt ist als von mikro-lokalen Themen.

Aber Sie schreiben immer noch auf Hebräisch und für ein israelisches Publikum?

Ja, unbedingt. "Unit 8200" war zuerst ein Bestseller in Israel, und wenn das Buch dort nicht so erfolgreich gewesen wäre, hätte ich nicht weitergemacht und auch nicht zugelassen, dass die Übersetzungsrechte verkauft würden. Ich glaube, dass es sehr wichtig ist, dass man das eigene Publikum auf seiner Seite hat, ehe man nach außen tritt. 

Spielt Ihre syrisch-schlesische Herkunft eine Rolle, Herr Ani?

Buchcover "All die unbewohnten Zimmer"  von Friedrich Ani
Friedrich Anis neuester Tabor-Süden-Roman: "All die unbewohnten Zimmer"Bild: Suhrcamp Verlag

Ich habe nie Syrisch gelernt, weil mein Vater nicht viel gesprochen hat. Außer wohl mit seinen Patienten, er war ein sehr beliebter Landarzt. Ich glaube, dass dieser Hintergrund - die aus Schlesien geflüchtete Mutter und der freiwillig zum Studium in ein sehr fernes Land gegangene Vater - dazu geführt hat, dass ich nie heimisch wurde. Die Welt meines Vaters blieb mir verschlossen, die der Mutter war angepasst, integriert in ein Dorf - ich fühlte mich nicht zugehörig. Meine Eltern, beide, sind nie so richtig angekommen. Ich habe das vielleicht so aufgesogen, dass ich nirgends zuhause bin.

Ich glaube, das ist auch in meinen Figuren so, dass die alle eher unbehaust herumirren, immer noch auf der Suche sind, je älter sie werden. Auf der Suche nach dem ihnen zugehörigen Zimmer.

 

Friedrich Ani wurde 1959 in Kochel am See in Bayern geboren, wo sein Vater, der als Syrer zum Studium nach Deutschland gekommen war, eine Arztpraxis betrieb. Anis deutsche Mutter war aus Schlesien zugewandert. 1981 bis 1989 arbeitete Ani als Polizeireporter und Hörfunkautor. Neben Kriminalromanen schreibt er Lyrik, Erzählungen, Jugendromane und Drehbücher. Seine Romane um den Fahnder Tabor Süden machten ihn zu einem der bekanntesten deutschsprachigen Kriminalschriftsteller. Sein Werk wurde mehrfach übersetzt und prämiert. Friedrich Ani lebt in München. Zuletzt erschien sein Kriminalroman "All die unbewohnten Zimmer".

Dov Alfon, geboren 1961 im tunesischen Sousse, ist in Paris und Aschdod, Israel, aufgewachsen. Er war Geheimdienstoffizier bei der legendären Unit 8200, der Einheit der israelischen Streitkräfte zur Fernmelde- und elektronischen Aufklärung. Danach machte er Karriere in den Medien, unter anderem als Chefredakteur der wichtigsten israelischen Tageszeitung Ha'aretz und des israelischen Verlags Kinneret. "Unit 8200", Alfons erster Roman, stand monatelang auf den israelischen Bestsellerlisten und wurde 2019 im Rowohlt Verlag in deutscher Übersetzung veröffentlicht.