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Ratlosigkeit in Rom

Bernd Riegert26. Februar 2013

Italienische Wähler wollen offenbar ihre alten Parteien und Politiker nicht mehr. Im Parlament gibt es keine Mehrheit. Die Protestbewegung "Fünf Sterne" triumphiert. Gibt es bald Neuwahlen?

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Stimmen werden ausgezählt in Italien (Foto: Getty Images)
Stimmenauszählung in ItalienBild: AFP/Getty Images

Die Zeitungen in Italien sind sich am Morgen danach einig. "Italien ist unregierbar, blockiert, steht still", so der Tenor der Schlagzeilen. Im Fernsehen laufen auf privaten und öffentlich-rechtlichen Kanälen nonstop Analysen, Talkrunden und Politikerinterviews. Die Reporter und Moderatoren sprechen schnell, überschlagen sich fast, als klar wird, dass die Protestpartei von Beppe Grillo tatsächlich die stärkste Einzelpartei Italiens geworden ist, noch vor den Sozialdemokraten von Pier Luigi Bersani und dem konservativen "Volk der Freiheit" von Silvio Berlusconi.

Im Senat, der zweiten Parlamentskammer, kann Beppe Grillo jetzt alles blockieren, weder das linke Lager um Bersani noch das rechte Lager um Berlusconi hat eine Mehrheit. In einem Telefoninterview in der Nacht hat Grillo angekündigt, er wolle die etablierten Parteien zappeln lassen. "Die sind allesamt gescheiterte Typen", sagt Grillo, der Ex-Komiker und Blogger, über die anderen Politiker. Koalitionen kommen für ihn nicht in Frage.

Archivbild Beppe Grillo February 16, 2013. REUTERS/Giorgio Perottino (ITALY - Tags: POLITICS ELECTIONS)
Sensation: Grillo ist der große GewinnerBild: Reuters

"Bei einer möglichen Neuwahl werden wir Mehrheiten im Parlament holen", triumphiert Grillo in einem Interview mit der Zeitung "La Stampa". Die Grillini, wie sich die Anhänger von Beppe Grillo nennen, haben allen Grund zu jubeln, glaubt Lutz Klinkhammer, Italien-Experte am Deutschen Historischen Institut in Rom. "Grillo ist eindeutig der Wahlsieger mit seiner Bewegung 'Fünf Sterne'. Er ist praktisch aus dem Stand, abgesehen von Erfahrungen in einer Stadt und einem Länderparlament, zur stärksten Kraft im Land geworden. Das ist eine Sensation, ja eine kleine Revolution!", so Klinkhammer im DW-Interview.

Neuwahlen, große Koalition oder "Technokraten"- Regierung?

Die Sozialdemokraten, die mit ihren verbündeten Parteien die Mehrheit im Abgeordnetenhaus, der ersten Kammer des Parlaments, nur mit einem hauchdünnen Vorsprung vor Silvio Berlusconis Rechtsbündnis gewonnen haben, waren völlig perplex. Ein Parteisprecher forderte in der Nacht bereits Neuwahlen, weil das Land "unregierbar" sei. Diese Forderung nahm Pier Luigi Bersani dann aber wieder zurück. Denn er hofft darauf, vom Staatspräsidenten den Auftrag zur Regierungsbildung zu bekommen. Bevor es dazu kommt, wird der 87-jährige Staatspräsident Giorgio Napolitano Gespräche mit allen Parteivorsitzenden führen um auszuloten, wer überhaupt Chancen hat, eine Regierung zu bilden. Für Politikwissenschaftler Lutz Klinkhammer in Rom ist klar, dass es kaum Aussichten auf eine handlungsfähige Regierung unter Bersanis Führung gibt. Eine große Koalition schließt er praktisch aus, da sich der linke Bersani und der rechte Berlusconi nicht an einen Tisch setzen werden. "Das kann keiner den Wählern erklären", so Klinkhammer.

Wahrscheinlicher sei die erneute Bildung einer Technokratenregierung, die dann das Wahlrecht ändern müsste. Am Ende dieses Prozesses, der ein Jahr dauern könnte, stünden dann Neuwahlen. An dem großen Erfolg der Protestbewegung "Fünf Sterne" könne man ablesen, dass die Italiener einen grundlegenden Wandel, vor allem ein Ende der Wirtschaftskrise, herbeisehnen: "Man erwartet ein Ende der Korruption, des Sumpfes, des Klüngels. Die Italiener haben, um in der Terminologie Beppe Grillos zu sprechen, die Schnauze voll", sagt Lutz Klinkhammer vom Deutschen Historischen Institut in Rom. "Die italienischen Wähler wollen alle nach Hause schicken, vor allem die alte politische Klasse. Sie wollen einen Neuanfang. Das ist die Botschaft. Wenn die politische Klasse daraufhin sagt, wir sind unregierbar und brauchen Neuwahlen, dann ist das nur eine Bestätigung für die Grillo-Wähler. Sie glauben, dass die alte politische Klasse gar nicht in der Lage oder willens ist, wirkliche Reformen aufzulegen."

Italien Wahl Dr. Lutz Klinkhammer, Italien-Experte, Historiker, Politologe, forscht am Deutschen Historischen Institut in Rom. Mitglied der deutsch-italienischen Historikerkommission zu NS-Verbrechen. Aufgenommen in seinem Büro in Rom am 22.02.2013. Foto: Bernd Riegert, DW alle Rechte eingeräumt.
Klinkhammer: Italien will echte ReformenBild: DW/Bernd Riegert

Schock für Monti und die Pro-Europäer

Eine sehr instabile, aber denkbare Möglichkeit wäre die Bildung einer sozialdemokratischen Minderheitsregierung, die sich im Senat von Beppe Grillo tolerieren lässt. Ein ähnliches Modell gibt es auf Sizilien. Mario Monti, der bisherige Regierungschef, der aus europäischer Sicht wichtige Reformen angeschoben hatte, zeigte sich in einer Pressekonferenz mehr oder weniger fassungslos. "Wir müssen jetzt mit dieser neuen politischen 'Entität' irgendwie umgehen", so Monti. Er meinte die "Fünf Sterne" von Beppe Grillo, die ihn im Wahlkampf schwer angegriffen hatten. Grillo lehnt Montis Sparpolitik, Haushaltskonsolidierung und einen Abbau der Schulden ab - wie übrigens auch Berlusconi. Zählt man andere europaskeptische Parteien hinzu, haben rund zwei Drittel der Italiener bei den Wahlen gesagt: "Wir finden die europäische Politik zur Rettung des Euro falsch."

Der Euro und die Staatsschuldenkrise haben im Wahlkampf keine große Rolle gespielt. Die Italiener wollen vor allem ein Ende der Rezession und der hohen Arbeitslosigkeit im Land, so Lutz Klinkhammer. "In der italienischen Innenpolitik spielt der Euro keine Rolle mehr." Der bereits steigende Zinssatz für italienische Staatsanleihen wird mehr oder weniger ignoriert. Silvio Berlusconi empfahl in einem Interview in einem seiner zahlreichen Fernsehsender den Italienern am Dienstag (26.02.2013), sich nicht mehr um den "Spread", den Zinsaufschlag im Vergleich zu deutschen Staatsanleihen, zu kümmern. "Wir waren über ein Jahr fixiert auf den Spread, das ist alles nicht so wichtig", polterte Berlusconi. Der ehemalige Regierungschef musste im November 2011 gehen, auch auf Druck der EU-Partner, weil er die Wirtschafts- und Schuldenkrise nicht in den Griff bekam.

Giorgio Napilotano (87) im Weißen Haus, Feb. 15, 2013. (AP Photo/Jacquelyn Martin)
Staatspräsident Napolitano muss vermittelnBild: picture-alliance/AP

Italiener mögen keine Einmischung

Sorgen um die Reaktionen der Europäer und der Finanzmärkte macht sich eigentlich nur noch Mario Monti. Der amtierende Regierungschef berief am Dienstag, einen Tag nach der Wahl, eine Sondersitzung mit seinem Finanzminister und dem Chef der italienischen Notenbank ein. Der Anstieg des Spread und die Auswirkungen auf die Krise der Euro-Zone standen auf der Tagesordnung. Monti wurde für seinen Kurs von den Wählern abgestraft, weil auch in diesem Jahr die Rezession Italien fest im Griff haben wird und die Arbeitslosigkeit  weiter ansteigt. Monti hatte einen verantwortlichen Umgang mit den italienischen Staatsfinanzen angemahnt. Der Schuldenstand steuert auf 130 Prozent der Wirtschaftsleistung zu. Doch das macht in Italien keine Schlagzeilen mehr. Dafür brachte es Bundesaußenminister Guido Westerwelle zu einer Eilmeldung. Seine Äußerung, Europa brauche sofort eine stabile Regierung in Italien, sorgt in Rom höchstens für beleidigte Reaktionen. Einmischung von außen mögen die Wähler hier nicht, egal ob sie links oder rechts stehen.

Auswirkungen auf die Euro-Staaten

"Das Wahlergebnis wird die Situation der Euro-Zone ohne Zweifel noch schwieriger machen. Es könnte auch das Verhältnis zwischen Rom und Berlin besonders belasten", meint Vincenzo Scarpetta von der Denkfabrik "Open Europe" in einer ersten Analyse. "Es wird sehr viel schwieriger im italienischen Parlament, den von der EU befürworteten Sparkurs weiter durchzusetzen. Eine stärkere Aufsicht der EU wird in Italien jetzt sicher abgelehnt." Aber genau das wolle Deutschland erreichen als politische Gegenleistung für eine stärkere gemeinsame Finanzpolitik in der Union, schreibt Italien-Experte Vincenzo Scarpetta.

Fußgänger spiegeln sich in der Fassade der Börse in Tokio. Fallender Kurs wird angezeigt. 26 February 2013. Tokyo stocks fell sharply at the morning session by 160.22 points, or 1.37 percent, following Italy's general election results. EPA/FRANCK ROBICHON
Auch die Börse in Tokio reagiert mit VerlustenBild: picture-alliance/dpa

Auch die Mahnung des EU-Parlamentspräsidenten Martin Schulz, dass Italien ein schwieriges Ergebnis für Europa produziert habe, stößt in Rom auf wenig Verständnis. Eine Moderatorin in einer Fernsehsendung des öffentlichen Senders Rai meinte nach Verlesen der Meldung aus Brüssel: "Wir hätten ja auch gerne eine stabile Regierung. Nur wie?"