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Kinosessel auf vier Rädern

Ralf Gödde/Sabine Damaschke 31. März 2012

Tausende von Teenagern nutzten es zum ungestörten Knutschen, für viele Familien war es ein günstiges Freizeitvergnügen. Am 31. März 1960 eröffnete in Deutschland das erste Autokino.

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Autokinos in Hamburg-Billbrook (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Es war eine amerikainische Erfolgsgeschichte: Als sich Richard Milton Hollingshead am 16. Mai 1933 seine Idee patentieren ließ, dachte er dabei nur an Zündkerzen und Reifen. Der Besitzer eines Autozubehör-Geschäfts wollte mit seinem Freiluftkino mehr Kunden gewinnen. Zur Eröffnung der ersten Filmvorführung am 6. Juni 1933 warb er mit dem Slogan: "Die ganze Familie ist willkommen, egal wie laut die Kinder sind". Und sie kamen in Scharen. Hollingshead machte das Geschäft seines Lebens und andere taten es ihm nach. Bereits zehn Jahre später gab es in den USA über hundert "Open Air Drive In Kinos". In fünfziger Jahren waren es sogar über 4.000 Autokinos.

In Deutschland wurde Hollingheads Idee erst rund 30 Jahre später Kult. Zu den ältesten Freiluft-Lichtspieltheatern gehört das Autokino in Gravenbruch bei Frankfurt. Als es 1960 öffnete, zog nicht nur die riesige Leinwand und das leidenschaftliche Liebes- und Filmvergnügen die Besucher an. Auch die amerikanische Fastfood-Kultur, die mit dem Autokino über den Atlantik kam, faszinierte die Besucher. "Es gab Leute, die kamen im Prinzip nur wegen der Hamburger, die wir angeboten haben", erinnert sich Filmvorführer Ernst Schneider. Als erster Film flimmerte der Oscar-gekrönte Hollywood-Streifen "Der König und ich" mit Yul Brunner und Deborah Kerr über die Leinwand. Ein Publikumsmagnet: In den ersten fünf Monaten wurden 250.000 Besucher gezählt.

Premierenvorstellung im ersten deutschen Autokino in Gravenbruch bei Frankfurt am Main. Über die 540qm grosse Leinwand reitet gerade Western-Star John Wayne, während auf dem Parkplatz die Zuschauer in Autos den Streifen verfolgen. Der Eintritt betrug drei Mark. (Foto: AP)
1960: Das Autokino in GravenbruchBild: AP

Besucher locken mit Sexfilmchen

Zu den Stammgästen gehörten damals Familien, die wegen der günstigen Eintrittspreise kamen und junge Paare, die gerne ungestört auf der Rückbank küssten und schmusten. Doch schon in den achtziger Jahren verflog der Reiz des Neuen und Aufregenden. Außerdem gab es mit dem Aufkommen des Videoverleihs die Möglichkeit, Kinofilme auch zu Hause in ungestörter "Knutschatmosphäre" anzusehen. Die Autokinos versuchten wirtschaftlich zu überleben, indem sie mit Sexfilmchen Nachtschwärmer anlockten.

"Da mussten wir dann als Vorführer immer gucken, dass da auch keine Pornoszenen drin waren", erzählt Ernst Schneider. Gab es solche Filmausschnitte, wurden sie von den Betreibern herausgeschnitten – oft allerdings nach der ersten Vorführung des Sexstreifens. "Dann kamen die Leute, die den ungekürzten Film gesehen hatten und beschwerten bei der nächsten Vorführung, das sei Betrug", sagt Schneider.

Nostalgische Stammkundschaft und neue Technik

Knapp die Hälfte der deutschen Autokinos hat die Krise überstanden. In den USA gibt es noch rund 100, in Deutschland ungefähr zwanzig Kinos. Dank einer festen Stammkundschaft, die dem Freiluftvergnügen bis heute treu geblieben ist, meint der Filmvorführer. So kommen im Sommer in Gravenbruch noch bis zu 1.000 Autos angefahren. Kostete 1960 der Eintritt in Gravenbruch drei D-Mark, so muss man heute mindestens sieben Euro berappen. Dafür werden alle Filme im ältesten deutschen Autokino seit 2011 in DIGITAL 2D präsentiert.

Schneider macht sich daher um die Zukunft des Autokinos keine Sorgen. "Die Kinos, die jetzt noch existieren, bleiben auch", meint er. Denn es gebe eine Renaissance der motorisierten Romantik in der zweiten und dritten Kinogeneration. Die Großeltern und Eltern schwärmten ihren Kindern und Enkelkindern von ihren Kinoerlebnissen im Auto vor und animierten sie damit, es selbst einmal zu versuchen, beobachtet Schneider. "Mit dem Ergebnis, dass auch die jungen Leute ganz begeistert sind."