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Fußball in Ungarn: Talent ist eher nebensächlich

Constantin Eckner
5. Februar 2021

Fußball-Ungarn feiert: Das Nationalteam spielt bei der EM, Ferencváros behauptet sich in der Champions League, und mit Dominik Szoboszlai gibt es einen neuen Star. Doch Klüngelei ist allgegenwärtig.

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Dominik Szoboszlai Fußball RB Leipzig
Von einem zum anderen Red-Bull-Klub: Dominik Szoboszlai wechselte Anfang Februar von Salzburg nach LeipzigBild: Fotostand / Wassmuth/picture alliance

Das Fußballland Ungarn feiert einen neuen Fußballstar: Dominik Szoboszlai. Der 20-Jährige ist gerade erst zu RB Leipzig gewechselt, und in seinem Heimatland hoffen viele, dass Ungarns "Sportler des Jahres" in die Fußstapfen Ferenc Puskás', des legendären Stürmerstars der 1950er-Jahre, treten wird. Über viele Jahrzehnte herrschte fußballerische Flaute in Ungarn, nun keimt - auch dank Szoboszlai - neue Hoffnung auf. Aber der steile Aufstieg des Mittelfeldspielers sorgt ebenso für eine Kontroverse. Politisch Verantwortliche meinen, Szoboszlais internationaler Durchbruch beweise, dass sich die Investitionen der ungarischen Regierung in den Fußball gelohnt hätten.

Seit der Machtübernahme 2010 hat die Regierung von Ministerpräsident Viktor Orbán Gelder in Milliardenhöhe in den Sport gesteckt und Unternehmen dazu animiert, an die Fußballvereine zu spenden. Überall im Land stehen neue Stadien und Trainingsanlagen. In der Bevölkerung regt sich Unmut, dass die Regierung mehr Geld in den Sport investiere als in Krankenhäuser und Schulen. Kritiker weisen zudem darauf hin, dass durch die Fördermodelle gerade Orbán-Freunde persönlich profitierten. Zugleich herrsche in den Vereinen und Verbänden große Klüngelei, wenn es um die Talentförderung und Geldverteilung geht.

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Ungarns Fußball-Nationalmannschaft hat sich für die Europameisterschaft 2021 qualifiziertBild: AFP via Getty Images

Kein Trainingsplatz für Szoboszlais Verein

"Szoboszlais Vater wollte da nicht mitspielen", berichtet der Korruptionsexperte Bence Jávor, der unter anderem mit Transparency International zusammenarbeitet. Zsolt Szoboszlai, der Vater Dominiks, war Jugendtrainer beim etablierten Verein Videoton in der Stadt Székesfehérvár, rund 60 Kilometer von Budapest entfernt. Der Klub feuerte ihn, Szoboszlai gründete einen eigenen Verein mit dem Namen Főnix Gold. Dieser wurde jedoch von den Entscheidern weitestgehend missachtet. "Seit dem Start der Fußball-Förderprogramme gab es Jahre, in denen die keinen einzigen Forint [ungarische Währung - Anm. d. Red.] erhielten", sagt Jávor. "Aber Főnix bildete trotzdem Dominik Szoboszlai aus - und Bendegúz Bolla, der aktuell der einzige gute ungarische Außenverteidiger ist."

Zum Training hätten die Teams von Főnix teilweise von Székesfehérvár bis nach Budapest zu den Anlagen des Vereins MTK fahren müssen, weil sie in der Nähe keinen Platz hätten finden können. "Gleichzeitig haben von der Regierung bevorteilte Vereine in den letzten Jahren zig neue Trainingsplätze erhalten. Man sieht, wie die Prioritäten gesetzt werden."

Die Familie Szoboszlai suchte später das Weite und fand in Salzburg einen Klub, bei dem Sohn Dominik zu einem Profi und Jungstar heranreifen konnte. Doch sein Fall ist lediglich die Spitze des Eisbergs. "Seit der Zeit des Kommunismus gibt es das Problem, dass es immer darum geht, wen man kennt und nicht darum, was man kann", erzählt der bekannte Fußballautor Bence Bocsak der DW. "Selbst bei den Jugendakademien von Erstligaklubs können einflussreiche Eltern diktieren, wer spielt. Dieses Problem hatte etwa Zsolt Szoboszlai."

Fidesz-Funktionäre sitzen überall

Auch im Profibereich machen sich Seilschaften bemerkbar. Bocsak nennt das Beispiel von Bence Deutsch. Der 28-Jährige ist der Sohn von Tamas Deutsch, Mitbegründer der Regierungspartei Fidesz und umstrittener Abgeordneter des Europaparlaments. Aktuell ist Bence Deutsch in der zweiten ungarischen Liga aktiv, bis 2019 hatte der Verteidiger auch für MTK Budapest in der ersten Liga gespielt. "Viele fragten sich, was er dort zu suchen hatte und welchen Einfluss sein Vater auf seine Karriere nahm", sagt Bocsak. "Man muss bedenken, dass quasi jeder Klub-Präsident entweder ein Fidesz-Funktionär ist oder zumindest ein sehr enges Verhältnis zur Partei hat." Auf kritische Nachfragen reagieren die Vereinspräsidenten jedoch nicht, stattdessen verweisen sie stolz auf die jüngsten Erfolge wie das Erreichen der Europameisterschaft durch die Nationalmannschaft.

Ungarn Fußball MTK Budapest - Sporting Lisbon
Regierungschef Orban (l.) und Europa-Abgeordneter Deutsch bei einem Spiel von MTK Budapest, wo Deutsch Klubchef istBild: Tibor Illyes/dpa/picture alliance

Die Funktionäre tun dies auch im Wissen, dass die meisten großen ungarischen Medien den Regierungskurs im Fußball voll und ganz unterstützen. Der Chefredakteur der großen Sportzeitung "Nemzeti Sport" etwa ist ein treuer Gefolgsmann Orbáns. Gleichzeitig lassen sich selbst die Stars auf dem Rasen für die Zwecke der Politik einspannen. Der prominenteste Fall ist Flügelstürmer Balázs Dzsudzsák, der während der Hochphase seiner Karriere sogar einmal kurz vor dem Sprung in die englische Premier League stand. Heute zeigt sich der 34-Jährige, der seine Karriere in der zweiten ungarischen Liga ausklingen lässt, regelmäßig mit Außenminister Péter Szijjártó. "Die beiden tauchen zusammen in Instagram-Videos auf, machen Selfies und auch sonst allerlei Dinge. Es gibt keine Grenze zwischen Sport und Politik", sagt Bocsak. Der Fußballer Dzsudzsák darf sogar mit Diplomatenpass herumlaufen - ohne ein offizielles Regierungsamt zu bekleiden.

Fußball aus der "Steinzeit" geholt

Die Fußballexperten Bocsak und Jávor glauben, dass die Milliarden-Investionen der Orbán-Regierung wegen der undurchsichtigen Strukturen nichts bringen. Allerdings gibt es auch andere, die sich erfreut darüber zeigen, dass Ungarn die "sportliche Steinzeit" verlassen habe. "Als ich Jugendspieler war, gab es fast nirgends gute Plätze im gesamten Land, in manchen Kabinen gab es nicht einmal warmes Wasser. Es war furchtbar", erzählt Jugendtrainer Iván Militár. Er war einst bei Puskás Akadémia aktiv, einem von Viktor Orbán ins Leben gerufenen Verein für junge Talente, mittlerweile arbeitet Militár für eine Talentschmiede des FC Barcelona in den USA. "Orbán und die Regierung haben diesen furchtbaren Zustand in Ungarns Fußball verändert. Es war an der Zeit."

Heute, so Militár, hätten Athletinnen und Athleten viel mehr Möglichkeiten als zuvor. Das gelte für den Breiten- wie den Spitzensport. "Ich kenne die Anlagen des FC Barcelona und von Juventus Turin. Die ungarischen Akademien sind besser", sagt Militár. "Auch wegen der neuen Infrastruktur und der im ganzen Land steigenden Zahl an Kindern, die nun Fußball spielen, hat Ungarn innerhalb weniger Jahre bereits einen großen Star herausgebracht: Dominik Szoboszlai." Doch genau in diesem Punkt herrscht Uneinigkeit. Autor Bocsak meint: "Szoboszlai hat es trotz und nicht wegen der staatlichen Einmischung in den Fußball geschafft."