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Fünf Jahre nach der Räumung des Gazastreifens

16. August 2010

Jahrzehntelang hielt Israel den Gazastreifen besetzt. Vor fünf Jahren zog sich das Militär zurück. Einem dauerhaften Frieden sind Israelis und Palästinenser seitdem jedoch nicht näher gekommen - im Gegenteil.

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Ein israelischer Soldat während des Abzugs aus dem Gazastreifen im August 2005 (Foto: AP)
Ein israelischer Soldat während des Abzugs aus dem Gazastreifen im August 2005Bild: AP
Israels ehemaliger Premier Ariel Scharon (Foto: AP)
Israels ehemaliger Premier Ariel Scharon liegt seit mehr als viereinhalb Jahren im KomaBild: AP

Der ehemalige israelische Ministerpräsident Ariel Scharon hatte sich schon als Armeeangehöriger, mehr aber noch als Politiker immer dafür eingesetzt, Israel zu vergrößern. Es sollte möglichst dieselbe Fläche einnehmen wie das geografische Gebiet Palästina – für Juden das biblische "Eretz Israel". Auch als Ministerpräsident hatte er diesen Traum sicher nicht aufgegeben, zumal in Washington George W. Bush eine vorbehaltlos pro-israelische Linie verfolgte. Umso überraschender kam Ende 2003 plötzlich eine Erklärung, die man von Scharon so nicht erwartet hätte: "Dreieinhalb Millionen Palästinenser unter Besatzung zu halten, ist meiner Meinung nach sehr schlecht. Das kann nicht endlos weitergehen“.

Israelischer Alleingang

Palästinenser freuen sich über den israelischen Abzug aus Gaza (Foto: dpa)
Palästinenser freuen sich über den israelischen Abzug aus GazaBild: dpa

In Israel horchte man auf. Es gab zwar gleich Hinweise, dass Scharon damit nur Bush hatte entgegenkommen wollen, der in den Augen der Arabischen Welt als Israelfreund und Araberfeind diskreditiert war. Aber das Thema blieb im Gespräch. Ein Jahr später ließ der Regierungschef verlauten, man werde den Gazastreifen räumen, vielleicht auch einige kleinere Teile des Westjordanlandes. Im Weißen Haus honorierte man diese Ankündigungen mit Lob. Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas plädierte gegen einen israelischen Alleingang: Solche Schritte müssten vereinbart werden und Teil einer endgültigen Friedensregelung sein.

Scharon ließ sich davon nicht beirren. Der Beginn des Rückzugs aus dem Gazastreifen wurde für den 15. August 2005 festgesetzt: 21 Siedlungen mit 1500 jüdischen Familien sollten binnen 48 Stunden evakuiert werden, für den Abbau militärischer Anlagen war etwas mehr Zeit einkalkuliert. Am 12. September sollte sich aber kein Israeli mehr im Gazastreifen befinden.

Ewiger Unruheherd

Im Sommer 2007 stürmten Hamas-Kämpfer auch den Amtssitz von Mahmud Abbas in Gaza (Foto: AP)
Im Sommer 2007 stürmten Hamas-Kämpfer auch den Amtssitz von Mahmud Abbas in GazaBild: AP

Im Grunde kein neuer Plan: Der heutige Präsident Schimon Peres hatte bereits vor vielen Jahren mit der Idee gespielt, Gaza einfach zu verlassen. "Gaza first" hieß die Idee, die freilich nicht den Auftakt zu weiterem Rückzug versprach, sondern lediglich, dass man den Unruheherd Gaza loswürde, der sich immer mehr als Klotz am Bein erwies. Für Scharon erwies sich der Rückzugsplan aber innenpolitisch als großes Problem: Er musste im November 2005 sogar seine Partei, den "Likud", verlassen und eine neue Partei gründen, die "Kadima". Im Januar 2006 fiel Scharon in ein Dauerkoma und seine Nachfolger verstanden es nicht, den Abzug aus Gaza zur Förderung eines Friedens zu nutzen. Im Gegenteil.

Die Schuld hierfür geben sie allerdings den Entwicklungen auf der Seite der Palästinenser: Anfang 2006 ging die islamistische "Hamas" als Siegerin aus den Parlamentswahlen im Westjordanland und im Gazastreifen hervor. Seitdem verschärfte sich zusehends der Konflikt zwischen der Hamas und der palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO). Bewaffnete der Hamas patrouillierten plötzlich im Gazastreifen, im Sommer 2007 übernahm die radikalislamische Organisation dann endgültig die Macht.

Keine Zusammenarbeit mit der Hamas

Palästinenser schießen eine Kassam-Rakete auf israelisches Gebiet (Foto: AP)
Palästinenser schießen eine Kassam-Rakete auf israelisches GebietBild: picture-alliance / dpa

Die Hamas beharrte auch danach auf ihrem Standpunkt, dass sie weder Israel noch die bisher mit Israel geschlossenen Verträge anerkennen werde. Israel verhängte eine hermetische Abriegelung des Gazastreifens und fühlte sich darin aus Washington bestärkt: "Die USA unterstützen keine politischen Parteien, die unseren Verbündeten Israel zerstören wollen", erklärte der damalige US-Präsident George W. Bush. Auch die Europäer und die Vereinten Nationen zeigten Verständnis für Israels Position und begannen, ihre Hilfe für Gaza über Nichtregierungsorganisationen statt über staatliche Stellen zu leiten. Letzteres hätte bedeutet, dass man mit der Hamas hätte zusammenarbeiten müssen.

Man hoffte, dass entweder Hamas einlenken oder die - zum Frieden bereite - PLO nach Gaza zurückkehren würde. Nichts dergleichen geschah. Statt dessen kam es immer öfter zu Angriffen über die Waffenstillstandslinien hinweg: Israelische Siedlungen wurden mit Raketen beschossen und Patrouillen überfallen. Israel antwortete mit Härte: Luftangriffe im Gazastreifen und entlang der Grenze mit Ägypten - über die Waffen geschmuggelt wurden. Eine offizielle Waffenruhe brach nach sechs Monaten zusammen und mündete Ende 2008/Anfang 2009 in einen Krieg, der mindestens 1400 Palästinenser das Leben kostete und die ohnehin schwierigen Lebensbedingungen in Gaza unhaltbar machte.

Wenig Hoffnung auf Besserung

Israelische Angriffe auf Gaza im Januar 2009 (Foto: AP)
Israelische Angriffe auf Gaza im Januar 2009Bild: AP

Israels Antwort auf die weltweiten Proteste war eine Verschärfung der Blockade. Die führte schließlich 2010 zum Zwischenfall mit einem Konvoi von Schiffen, die Hilfsgüter nach Gaza bringen wollten. Neun pro-palästinensische Aktivisten kamen im israelischen Feuer um, die Beziehungen zur Türkei sanken auf einen Tiefpunkt, und die internationale Kritik wuchs weiter.

Untersuchungen der Vorfälle sind zwar im Gange; an der Lage in Gaza werden sie aber kaum etwas ändern. So ist der nächste Konflikt förmlich vorprogrammiert, zumal angesichts dieser Entwicklungen viele Israelis und Palästinenser ihren Glauben an Frieden verloren haben.

Autor: Peter Philipp
Redaktion: Thomas Latschan