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Politik

Von Autokraten und Altruisten

Alexander Görlach
11. Mai 2021

Die Impfstoffe gegen COVID-19 sind weltweit sehr ungleich verteilt. Aber auch wer welche abgibt, macht das nicht ohne Hintergedanken. Das ist genauso zynisch, wie nichts abzugeben, meint Alexander Görlach.

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Zitatkarte Görlach
Bild: DW

Die Corona-Pandemie ist ein bleibendes Lehrstück für den Wert und die Richtigkeit internationaler Zusammenarbeit. Länder, in denen selbst ernannte "starke Männer" herrschen, die auf Andere wenig geben - die USA unter Donald Trump, Brasilien unter Jair Bolsonaro, Indien unter Narendra Modi, um nur einige Beispiele zu nennen - haben alle in der Pandemie wenig geglänzt. Das ist die eine Seite der Medaille.

Die Pandemie ist aber auch ein Lehrstück darin, wo es um die Zusammenarbeit der internationalen Gemeinschaft gar nicht gut steht. Der Streit um die Verteilung des Impfstoffs über den Globus zeigt, dass am Ende sowohl beim Wollen als auch beim Vollbringen noch Luft nach oben ist. Sonntagsreden, die ein Lob auf die internationale, freiheitliche Ordnung singen, verkommen so zum rhetorischen Muster ohne Wert. Das ist die andere Seite der Medaille.

Kein Vertrauen in Diktatoren und Autokraten

Es ist schon richtig, dass wir die Pandemie niemals mit der Mentalität und der Politik der Autokraten und Diktatoren in den Griff bekommen würden. Wer möchte schon in einem Land wie der Volksrepublik China leben, in dem Ärzte Besuch von der Staatsmacht bekommen, eingeschüchtert und mit Gefängnis bedroht werden, wenn sie einem neuen Virus auf die Spur kommen und dieses bekämpfen wollen. Da möchte man dann auch allem weiteren keinen Glauben schenken: zum Beispiel Statistiken, die Erkrankungen und Heilungen zeigen.

Chinas Impfstoff Sinopharm
Vertrauenswürdig? Der Sinopharm-Impfstoff aus China, der in großem Umfang auch in Südosteuropa verimpft wirdBild: ROBERT ATANASOVSKI/AFP/Getty Images

Oder: Sind die beiden Impfstoffe, die es aktuell "Made in China" gibt, wirklich sicher?Es ist völlig klar, dass natürlich auch chinesische Forscher prinzipiell in der Lage sind, einen Wirkstoff gegen COVID-19 zu entwickeln. Das gleiche gilt auch für russische Wissenschaftler. Nur weil das politische System totalitär ist, bedeutet dies ja nicht, dass es in Laboren keine luziden und gut ausgebildeten Menschen gäbe. Aber am Ende bleibt der Zweifel, ob die nach außen gegebenen Informationen auch wirklich wahr sind, wenn sie von den autoritären Machthabern zuvor für ihre Zwecke zurecht gestutzt werden.

Nicht nur Populisten sind Egoisten

Das Ethos der freien Welt sagt, dass die gesamte Menschheitsfamilie einander verpflichtet ist. Der Kosmopolitismus, der im Westen seit der Antike heimisch ist, geht mit Cicero davon aus, dass uns alle ein Band des Menschseins verbindet. Daraus erwachsen der Wunsch und die Pflicht zum Helfen. Die (ebenfalls seit Cicero) entscheidende Frage ist, wie weit diese Hilfe tatsächlich geht. Denn auch demokratische Staaten praktizieren aktuell in der Pandemie ein "wir zuerst", das man sonst nur von Populisten gewohnt ist.

AstraZeneca-Pakete aus indischer Produktion auf dem Flughafen von Kabul
Noch im Februar wurden große Mengen von in Indien hergestellten Corona-Impfstoffen nach Afghanistan exportiertBild: Rahmat Gul/AB/picture alliance

Die USA unter Joe Biden verbieten zum Beispiel den Export bestimmter Komponenten, die für die Produktion von Corona-Impfstoff nötig sind. So lange diese auf US-Scholle gebunkert werden, können sie nicht zum Wohl der ganzen Welt eingesetzt werden. Darüber kann auch ein gut klingender Aufruf, die Patente für die Impfstoffe aufzuheben, damit "die anderen" den Impfstoff nach bauen können, nicht hinweg täuschen. Dieses Nachbauen ist ohne die bereits erwähnten Komponenten nicht möglich. Der Vorstoß Bidens in Sachen Patente war nichts als politisches Blendwerk. Denn die Konsequenz der US-Politik ist, dass in Indien weniger Impfstoffe produziert werden können, als mit den vorhandenen Anlagen möglich wäre, weil die Zutaten fehlen. Und aufgrund dieses Engpasses ist Indien dazu übergegangen, den erzeugten Impfstoff nicht mehr zu exportieren. Was zu einer drastischen Verknappung des Impfstoffes in Afrika geführt hat.

Kampfplatz Afrika

Afrika ist im Moment in mehrfacher Hinsicht das Feld, auf dem der Kampf zwischen den Modellen freiheitliche Demokratie und autokratische Diktatur ausgetragen wird. Die Volksrepublik China hat sich in verschiedenen Ländern den Zugang zu den Rohstoffen Afrikas gesichert. Die Masken- und Impfdiplomatie Pekings soll seine Vorherrschaft nun zementieren. Es käme jetzt also darauf an, dass auf die Worte, die in der freien Welt gesprochen werden, nun auch Taten folgen und wirklich in den Anderen auch tatsächlich Mitmenschen gesehen werden.

Simbabwe Harare | Corona | Lieferung Impfstoff aus China
Impfstoff aus China wird auf dem Flughafen von Harare, der Hauptstadt Simbabwes, entladenBild: Jekesai Njikizana/AFP/Getty Images

Die Realität sieht anders aus. Die reichen Nationen der westlichen Hemisphäre haben die Hälfte der verfügbaren Impfstoffe gekauft, obwohl hier nur 14 Prozent der Weltbevölkerung leben. In Afrika werden 1,5 Milliarden Impfdosen gebraucht, um 60 Prozent der Menschen zu impfen. Aufgrund des Lieferengpasses wird man Prognosen zufolge erst im April 2022 diesem Ziel näher kommen. Man darf es den Afrikanern daher nicht verübeln, wenn sie sich für die Avancen des totalitären China erwärmen können. Neben der Volksrepublik darf hier auch das totalitäre Russland nicht fehlen, das ebenfalls anbietet, seinen Impfstoff nach Afrika zu schicken.

Beide Länder engagieren sich jedoch nicht aus Altruismus in Afrika, sondern weil sie für ihre Geschenke politische Gefolgschaft und Gehorsam einfordern. Man könnte nun überspitzt sagen, dass die reichen freien Länder genau aus dem Grund lieber auf altruistische Gesten verzichten, weil sie dafür ja keine politische Gegenleistung einfordern dürfen. Es darf nicht dazu kommen, dass eine solch' zynische Sicht kennzeichnend wird für den weltweiten Kampf gegen die Corona-Pandemie.