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Politik

Solidarität mit China!

Alexander Görlach
4. Februar 2020

In Zeiten dramatischer Notlagen kann es keine ideologischen Vorbehalte und auch keine "Vergeltung" für politisches Handeln geben. Jetzt brauchen die Chinesen allein unsere Empathie, meint Alexander Görlach.

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DW Zitattafel Alexander Görlach

Die Zahl der Toten in China, die das Coronavirus fordert, steigt stetig. Es gibt täglich mehr Infizierte in der Stadt Wuhan, in der die Epidemie ausgebrochen ist. Ein Krankenhaus für 1000 Patienten, das die Regierung in nur zehn Tagen aus dem Boden gestampft hat, ist inzwischen eröffnet. Ein zweites mit weiteren 1500 Betten soll in wenigen Tagen folgen. Gleichzeitig gehen den Ärzten und Sanitätern mit ihren Kräften auch die Schutzmasken und anderes medizinisches Gerät aus. Ein Land im Ausnahmezustand: Menschen in Quarantäne, Schulen und Universitäten geschlossen. China braucht nun internationale Unterstützung und Solidarität.

Stattdessen ist hier in den USA und andernorts das Gegenteil zu erkennen: Rassistische Verunglimpfungen gegen Menschen, die ostasiatisch aussehen, nehmen in den Sozialen Medien und auf der Straße zu. Diese Tweets erreichen auch den Präsidenten der USA, Donald Trump, dessen enthemmte und herablassende Rede gegen Menschen anderer Hautfarbe und gegen Frauen viele seiner Anhänger dazu motiviert, ebenfalls öffentlich und ohne Scham schmutzigste Ressentiments gegen andere Menschen zu schüren. Auf einer U-Bahn-Fahrt hier in New York City trug ein Fahrgast lautstark seiner Begleiterin vor, dass "Chinesen Ratten essen" und nur deshalb vom Virus befallen seien. Das wurde dann noch garniert mit einem Verweis auf Menschen in Afrika, deren Gewohnheiten ähnlich seien.

Bemisst sich Wertschätzung nur nach dem Wert des Marktes?

In Zeiten ökonomischer und politischer Konfrontation mit der Volksrepublik China ist es daher umso mehr angezeigt, daran zu erinnern, dass wir hier von Mitmenschen sprechen, die von einer schweren Epidemie heimgesucht werden. Die Menschen in Wuhan bedürfen in diesen Tagen unseres menschlichen Mitgefühls. Wenn wir eine internationale Ordnung beschwören, an deren Vorgaben China sich zu halten habe - meinen wir dann wirklich nur den regelbasierten Handel? Bemisst sich unsere Wertschätzung für China nur nach seinem Markt, auf den wir unsere Waren werfen und das ist es dann? Wir sprechen doch so oft von "unseren Werten": Gehört Empathie nicht dazu?

China Coronavirus | Behandlungszentrum in Wuhan
Mundschutz und Temperaturmessung - für die Menschen in Wuhan seit Tagen ein vertrautes BildBild: Reuters/China Daily

Oder wollen wir es den Menschen in China nun mit der gleichen Münze heimzahlen, mit der die kommunistische Führung ihr eigenes Volk und die Nachbarländer triezt? Die Volksrepublik schikaniert seinen Nachbarn Taiwan und blockiert dessen Zugang zur Weltgesundheitsorganisation, obschon sich Menschen auf der Insel wegen Wuhan-Reisender angesteckt haben? Ein Whistleblower aus der Volksrepublik hat hunderte Seiten an die New York Times durchgestochen, die offen legen, dass Präsident Xi und seine Nomenklatura "absolut keine Barmherzigkeit" gegenüber den Menschen in Xinjiang einfordern. Dort werden bis zu einer Million Menschen, Uiguren muslimischen Glaubens, in Umerziehungslagern gehalten, um sie von ihrer Religion und Kultur abzubringen. Wollen wir nun genauso empathiefrei sein wie die chinesische Führung gegenüber den Uiguren? Oder unverstellt, zutiefst human, für die Menschen empfinden, die in Wuhan sterben?

Ethnischer Chauvinismus ist wieder salonfähig

Ich hoffe, uns gelingt letzteres. Es ist schwer geworden, Solidarität mit Menschen in China einzufordern, in einer Zeit, in der in Deutschland die Sympathisanten rechtspopulistischer Parteien und Bewegungen auf Marktplätzen in Deutschland stehen und skandieren, dass möglichst viele Flüchtlinge im Mittelmeer ertrinken mögen. Ethnischer Chauvinismus ist in vielen Teilen der Welt wieder salonfähig geworden. Gesellschaften, die dieser Virus befällt, laufen Gefahr betäubt, gelähmt und handlungsunfähig zu werden. Es ist nun an den Guten, die diese dunkle Weltanschauung nicht teilen, für Solidarität mit Wuhan und den Menschen in China zu werben.

Alexander Görlach ist Senior Fellow des Carnegie Council for Ethics in International Affairs und Senior Research Associate an der Universität Cambridge am Institut für Religion und Internationale Studien. Der promovierte Linguist und Theologe war zudem in den Jahren 2014-2017 Fellow und Visiting Scholar an der Harvard Universität, sowie 2017-2018 als Gastscholar an der National Taiwan University und der City University of Hongkong.