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Fall Timoschenko

30. Januar 2012

Es sei im ukrainischen Interesse, die juristische Verfolgung von Ex-Regierungschefin Timoschenko zu beenden. Das sagt der neue Präsident des Europaparlaments, Martin Schulz, im Interview mit der Deutschen Welle.

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Martin Schulz, Präsident des Europaparlaments (Foto: picture alliance/dpa)
Martin Schulz, Präsident des EuropaparlamentsBild: picture-alliance/dpa

DEUTSCHE WELLE: Die ehemalige ukrainische Regierungschefin Julia Timoschenko sitzt eine siebenjährige Haftstrafe wegen Machtmissbrauchs ab. Sie soll während ihrer Zeit als Ministerpräsidentin ihrem Land beim Abschluss von Gasverträgen mit Russland geschadet haben. Ihr droht noch ein weiterer Prozess wegen Steuerhinterziehung. Timoschenko sieht sich als Opfer eines politischen Komplotts. Ist Timoschenko eine politische Gefangene?

Martin Schulz: Das ist von außen sehr schwer zu beurteilen. Ich glaube, dass Frau Timoschenko eine andere Behandlung verdient hat, als die, die sie bekommt. Ich glaube auch, dass die ukrainische Regierung gut beraten ist, jeden Eindruck zu vermeiden, dass das Vorgehen der Justiz politisch beeinflusst ist. Man kann nicht ganz ausschließen, dass es sich um politische Beeinflussung handelt. Ich kann das aber auch nicht beweisen. Ich kann es mir nicht vorstellen, dass auf Dauer eine ehemalige Regierungschefin, die sich auch große Verdienste um das Land erworben hat, so behandelt wird.

Julia Timoschenko nach ihrer Verurteilung vor Gericht (Foto: AP/dapd)
Julia Timoschenko vor GerichtBild: dpad

Beim EU-Ukraine-Gipfel im Dezember in Kiew ist nicht, wie ursprünglich geplant, ein Assoziierungsabkommen zwischen der EU und der Ukraine unterzeichnet worden. Grund dafür war unter anderem der Fall Timoschenko. Wird man das Abkommen nicht unterzeichnen, solange Timoschenko in Haft ist?

Die EU war gut beraten, auf die Ukraine einen gewissen Druck auszuüben. Aber man kann die Beziehungen der EU zur Ukraine nicht ausschließlich auf den Fall Timoschenko reduzieren. Es wäre sicher leichter, wenn der Fall Timoschenko gelöst wäre. Die Ukraine täte sich auch einen großen Gefallen, wenn sie dieses Problem lösen würde. Aber weder kann ich beweisen, dass die Vorwürfe der ukrainischen Justiz gegen Frau Timoschenko ungerechtfertigt sind, noch kann ich beweisen, dass sie gerechtfertigt sind. Insofern will ich offen zugeben, dass ich in einer schwierigen Lage bin. Ich selbst würde mir eine Lösung für dieses Problem wünschen. Sie müsste so aussehen, dass die Ukraine im Interesse der inneren Stabilität und internationalen Verankerung des Landes die juristische Verfolgung von Frau Timoschenko beenden würde. Das könnte man auch mit einem Gnadenakt eines Präsidenten machen. Das hat, glaube ich, Staatspräsident Viktor Janukowitsch auch schon einmal erwogen. Das würde sicher allen Seiten helfen.

Sollte das EU-Ukraine-Assoziierungsabkommen dennoch unterzeichnet werden, müsste es danach vom Europäischen Parlament ratifiziert werden. Wird eine Mehrheit der Abgeordneten zustimmen, wenn Timoschenko im Gefängnis sitzt?

Das ist schwer einzuschätzen. Ich kann natürlich der Willensbildung der einzelnen Fraktionen nicht vorgreifen. Dennoch sehe ich eine große, große Mehrheit von Leuten, die zurzeit zurückhaltend mit der Verabschiedung dieser Abkommen sind, solange es diesen ungeklärten Fall gibt. Die Behauptung aufzustellen, das sei politische Justiz, ist leicht. Die Behauptung aufzustellen, Frau Timoschenko habe sich etwas zu Schulden kommen lassen, was verfolgt werden müsse, ist auch leicht. Deshalb sind wir in einer extrem schwierigen Situation. Am Ende wird das Parlament eine Güterabwägung vornehmen müssen, zwischen den Interessen der Ukraine, den Interessen der EU und dem Fall Timoschenko. Es ist heute viel zu früh, dem vorzugreifen. Übrigens auch deshalb viel zu früh, weil ich immer noch optimistisch bin, dass man am Ende das Problem in gütlicher und für alle Beteiligten akzeptabler Weise klären kann. Wenn ich dazu etwas beitragen kann als Präsident des Europaparlaments, dann werde ich sicher versuchen, das zu tun.

EU-Ratspräsident van Rompuy (li.), Präsident Janukowitsch und EU-Kommissionspräsident Barroso in Kiew(Foto: AP/dapd)
EU-Ratspräsident van Rompuy (li.), Präsident Janukowitsch und EU-Kommissionspräsident BarrosoBild: dapd

Das Gespräch führte Roman Goncharenko
Redaktion: Markian Ostaptschuk