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G20-Staaten versagen beim Klimaschutz

12. November 2019

Die Erderhitzung soll auf 1,5 Grad begrenzt werden. Doch laut Wissenschaftlern tun die G20-Staaten dafür viel zu wenig. "Wenn wir jetzt nicht handeln, ist es zu spät", warnt Expertin Hannah Schindler im DW-Interview.

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Deutschland Aachen | Demonstration Fridays for Future
Die Klimabewegung Fridays for Future fordert eine andere PolitikBild: DW/G. Rueter

Das internationale Netzwerk "Initiative Climate Transparency" analysiert seit 2014 die Klimaschutzpolitik der 20 größten Industriestaaten und Schwellenländer, die Gruppe der G20. Jedes Jahr veröffentlicht die Gruppe einen Lagebericht. Laut aktuellem Brown-to-Green-Report sind die G20 Länder noch nicht auf Kurs - im Gegenteil. 

DW: Frau Schindler, Sie koordinieren das internationale Team für den Brown to Green-Report. Wo stehen die G20-Staaten beim Klimaschutz? 

Hannah Schindler: Obwohl auf politischer Ebene viel passiert, reichen die Anstrengungen der G20-Staaten nicht aus für das Pariser Klimaabkommen. Die CO2-Emissionen der G20 Länder sind 2018 erneut gestiegen, um 1,8 Prozent zwischen 2017 und 2018. Und eigentlich müssen die Emissionen runtergehen, um das Pariser Klimaziel zu erreichen.

Infografik Treibhausgase Entwicklung DE

Im Rahmen des Klimaabkommens haben sich alle Länder Klimaziele für 2030 gesetzt, die sogenannten NDCs, die Nationally Determind Contributions. Diese Ziele sind unzureichend. Wir haben festgestellt, dass die Ambitionen der Länder für das 2030-Ziel doppelt so hoch sein müssten, damit wir die Erderwärmung auf 1,5 Grad begrenzen könnten.

Bislang steigen die CO2-Emissionen weiter. Woran liegt das?

Wir sehen den Trend zu mehr CO2-Emissionen in der G20 und besonders in den Schwellenländern. Und das liegt vor allen Dingen am hohen Wirtschaftswachstum. Die Menschen können sich leisten, mehr Energie zu nutzen, mehr Auto zu fahren, mehr Strom zu verbrauchen, haben größere Wohnungen, heizen mehr und so weiter. Das heißt: Es gibt einen höheren Energiebedarf in den G20 Ländern. Und zugleich wachsen die erneuerbaren Energien nicht schnell genug, um diesen hohen Energiebedarf zu decken.

Infografik Treibhausgasemissionen pro Kopf DE

2018 sind die Erneuerbaren in den G20-Ländern um fünf Prozent gewachsen. Das Wachstum der Erneuerbaren liegt über den fossilen Brennstoffen. Aber auch der Verbrauch von fossilen Brennstoffe stieg in die Höhe. Noch immer werden Kohlekraftwerke gebaut, zum Beispiel in Indien, China oder auch der Türkei. Auch geht der Verbrauch von Erdgas in die Höhe.

Kohle, Öl und Gas müssen ersetzt werden. Warum geht der Ausbau der Erneuerbaren nicht schnell genug voran?

Drei Punkte sind wichtig: Die G20-Länder müssten bis 2025 ihre Subventionen für fossile Brennstoffe komplett zurückfahren. Derzeit liegen diese bei 127 Milliarden US-Dollar pro Jahr. Diese Subventionen fördern natürlich den Verbrauch der fossilen Energien weiter.

Zweitens muss es von der Politik mehr Anreize geben, dass die Menschen ihren Energieverbrauch reduzieren. Die Nachfrage muss runtergefahren werden. Hier ist die Politik gefragt, aber auch jeder einzelne Konsument.

Infografik Subventionen für fossile Energien weltweit DE

Drittens sollten Umbau und Anreize sozialverträglich gestaltet sein. In Deutschland haben wir mit der Kohlekommission gesehen, wie man betroffene Personen und Regionen im Wandel mitnehmen kann. Ähnliche Bestrebungen gibt es in Kanada, auch Südafrika fängt an, einen Plan für eine fairen Ausstieg aufzustellen. Anders wird es nicht gehen. Das Gleiche gilt für den Transport- oder den Gebäudesektor. Wenn dort eine CO2-Steuer eingeführt wird, dann sollten die ärmeren Bevölkerungsschichten davon nicht überdimensional betroffen sein.

Mit einer CO2 Steuer bekommt Verschmutzung einen Preis. Klimaschädliche Produkte werden teurer und sollen so weniger genutzt werden. Welche Trends gibt es in den Ländern?

In den Ländern der G20 sind die meisten Emissionen kostenlos. Für rund 70 Prozent der Emissionen gibt noch keinen Preis oder er liegt unter 30 Euro pro Tonne CO2. Und 30 Euro pro Tonne CO2 ist wirklich das unterste Level. Hier gibt es noch große Lücken und dies besonders in Russland, Indonesien, Brasilien und China.

Die Schäden durch den Klimawandel haben Sie auch untersucht. Welche Länder sind besonders betroffen?

Das Ergebnis hat auch mich erstaunt: Man hat im Kopf, dass eher die Entwicklungsländer betroffen sind vom Klimawandel, von Wetterextremen. Diese Länder sind natürlich extrem betroffen, aber auch die Schwellen- und  Industriestaaten.

Pro Jahr sterben in den G20-Ländern rund 16.000 Menschen durch Wetterextreme und die wirtschaftlichen Einbußen liegen bei rund 142 Milliarden US-Dollar. Das sind die Durchschnittswerte von 1998 bis 2017. Interessant ist, dass nicht nur Indien ganz oben auf der Liste der betroffenen G20 Länder steht, sondern auch Frankreich, Deutschland, Italien und die USA.

Infografik Extreme Wetterereignisse weltweit 1900-2016 DEU

Derzeit geht der Trend zur Erderwärmung auf über drei Grad. Das heißt: Man wird Wetterextreme in den nächsten Jahren immer häufiger erleben, die Hitzezeiten werden länger, die Wasserknappheit nimmt zu, die Ernten gehen zurück. In Europa, auch in Deutschland, wird speziell die Ernte von Weizen zurückgehen.

Wenn wir die Anstrengungen erhöhen und die Erderwärmung auf 1,5 Grad limitieren, dann könnten wir - im Vergleich zur Erhitzung auf über drei Grad - 70 Prozent dieser Auswirkungen in den verschiedenen Sektoren vermeiden. Das ist enorm.

Welche Länder sind Vorreiter beim Klimaschutz? 

Derzeit gibt es eine rasante Entwicklung. Großbritannien und Frankreich haben sich zum Ziel gesetzt, bis 2050 emissionsfrei zu werden und dies auch gesetzlich verankert. Deutschland zieht gerade nach.

Es gibt immer ein paar Staaten die eher hinterherhinken. Etwas pauschal gesagt sind das oft Saudi-Arabien, Russland, USA, und jetzt auch Australien. 

Aber es gibt auch gute Beispiele. Interessant ist, dass es fast in allen G20-Staaten mittlerweile eine CO2-Steuer oder ein Emissionshandelssystem gibt. Seit 2018 ist Argentinien dabei, seit diesem Jahr Südafrika. Und sogar Russland hat in diesem Jahr das Pariser Klimaschutzabkommen ratifiziert und soll jetzt an einem Emissionshandelssystem arbeiten.

Hannah Schindler
"Mit schnellem Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas wäre das 1,5 Gradziel erreichbar." Hannah Schindler von Climate TransparencyBild: Climate Transparency/Gabriel Amato

Im Verkehr haben Kanada, Frankreich und Großbritannien ein Verbot für neue Autos mit Verbrennungsmotor ab 2040 angekündigt, Japan ab 2050. Das ist allerdings laut Berechnungen noch nicht ausreichend für das 1,5 Grad-Ziel. Dafür müssten sie das Verbot für 2035 aussprechen.

Beim Frachtverkehr passiert fast noch gar nichts. Und auch der Umstieg auf den öffentlichen Verkehr, auf die Bahn, da hinken eigentlich alle G20-Länder noch hinterher.

Wie sind die Chancen, die Erderwärmung bei 1,5-Grad stoppen zu können?

Ganz wichtig ist, dass die Länder nächstes Jahr ihre Klimaziele für 2030 erhöhen und das ankündigen. Wenn wir jetzt nicht agieren, dann wird es zu spät sein. Also ganz schnell aus dem Geschäft der fossilen Brennstoffe aussteigen und sich vor allen Dingen überlegen, wie politische Maßnahmen gegen den Klimawandel sozialverträglich gestaltet werden. 

Hannah Schindler ist Expertin für internationale Energie- und Klimapolitik bei der Humboldt-Viadrina Governance Platform. Sie koordiniert das Netzwerk Climate Transparency. Die Experten von 14 Partnerorgansationen bewerten die einzelnen G20-Staaten beim Klimaschutz und veröffentlichen jedes Jahr die Ergebnisse im Brown to Green Report.

Das Interview führte Gero Rueter

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Gero Rueter Redakteur in der Umweltredaktion