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Gabriel warnt vor Völkermord an Jesiden

Sven Pöhle12. August 2014

SPD-Chef Sigmar Gabriel fürchtet einen Genozid an jesidischen Flüchtlingen im Nordirak. Deutsche Waffenlieferungen an die irakische Armee oder die kurdischen Peschmerga-Kämpfer lehnte Gabriel zum aktuellen Zeitpunkt ab.

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Sigmar Gabriel empfängt Irfan Ortac am 12.08.2014 in Berlin - Foto: Maurizio Gambarini (dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Die Gespräche haben Sigmar Gabriel sichtlich bewegt. "Die Kulturgemeinschaft der Jesiden im Irak soll mit brutaler Präzision ausgelöscht werden", sagte der SPD-Chef am Dienstagmittag (12.08.2014) in Berlin nach einem Treffen mit Vertretern der jesidischen Gemeinden in Deutschland. Deren Schilderungen des Schicksals von Angehörigen im Nordirak seien kaum in Worte zu fassen. Seit dem Vormarsch der sunnitischen Terrorgruppe "Islamischer Staat" (IS vormals ISIS) sind hunderttausende Menschen in der Region auf der Flucht. Insbesondere Nichtsunniten, also auch Christen und Jesiden, haben unter dem IS-Terror zu leiden.

Das Ausmaß der Katastrophe sei unklar, sagte auch der Delegationsleiter der deutschen jesidischen Gemeinden, Irfin Ortac, in Berlin. Die IS-Miliz gehe erbarmungslos gegen Minderheiten und Andersdenkende vor. "Über 200.000 Menschen sind ohne Nahrung und Wasser in den Bergen", so Ortac. Über die genauen Zahlen der Toten, Verletzten und Vermissten könne man derzeit noch keine Angaben machen.

Humanitäre Hilfe und Schutzzone

Deutschland werde gemeinsam mit der Internationalen Staatengemeinschaft humanitäre Hilfe leisten - falls nötig auch über die bereits angekündigten 4,5 Millionen Euro hinaus, sagte Gabriel, der auch Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler ist. Bund und Länder müssten zudem darüber beraten, ob mehr Flüchtlinge aus dem Nordirak und den angrenzenden Nachbarstaaten aufgenommen werden sollen.

Vertreter der Jesiden hätten allerdings darum gebeten, Schutzzonen in der Gegen um Sindschar zu errichten, anstatt den Exodus aus der Region zu ermöglichen. Die Errichtung der Schutzzonen sei aber zuallererst die Aufgabe der irakischen Armee, so Gabriel. Die Frage einer Beteiligung der Bundeswehr stelle sich derzeit nicht. Er begrüßte das militärische Eingreifen der USA gegen IS, betonte aber auch die besondere Verantwortung der Amerikaner in der Region. Die USA waren 2003 im Irak einmarschiert. Ende 2011 hatten die letzten US- Truppen das Land verlassen. Die Vereinigten Staaten fliegen Angriffe aus IS-Stellungen im Nordirak und liefern nach Angaben von US-Außenamtssprecherin Marie Harf bereits seit der vergangenen Woche Waffen und Munition direkt an die kurdischen Kämpfer in der Region.

Keine deutsche Waffen in den Irak

Deutsche Waffenlieferungen in den Irak schloss Gabriel zwar nicht aus, er warnte aber vor übereilten Entscheidungen. Rein rechtlich seien Waffenlieferungen an die irakische Armee möglich, sagte Gabriel. Die deutschen Rüstungsexportrichtlinien schließen zwar die Ausfuhr von Kriegswaffen oder Rüstungsgütern in Krisengebiete aus. Wenn ein besonders begründetes Sicherheitsinteresse vorläge, so Gabriel, dürften Waffen jedoch an eine legitimierte Regierung geliefert werden. Damit schloss der SPD-Vorsitzende die kurdischen Peschmerga-Milizen bewusst aus, die im Norden des Iraks mit US-Unterstützung gegen die IS-Miliz kämpfen.

Flüchtlinge im Sindschar Gebirge im Nordirak (Foto: REUTERS/Rodi Said)
Hunderttausende sind vor dem IS-Terror im Nordirak auf der FluchtBild: Reuters

Auch Waffenlieferungen an die irakische Armee seien derzeit keine Option. "Der Zustand der irakischen Politik weist zumindest aktuell nicht darauf hin, dass die irakische Zentralregierung in der Lage wäre, angemessen damit umzugehen." Zudem blieben Waffen nach einem Konflikt stets in der Region zurück. "Damit hat die internationale Staatengemeinschaft in der Vergangenheit nicht unbedingt gute Erfahrungen gemacht", sagte Gabriel.

In Deutschland wächst die Sorge, dass man zu spät und nicht ausreichend auf die Eskalation der Gewalt im Nordirak reagiert. Einige deutsche Politiker hatten zuletzt die Lieferung von Waffen an die Kurden im Irak gefordert. Ein Sprecher der Bundesregierung lehnte dies unter Verweis auf die Richtlinien für Waffenexporte ab.

Möglicherweise militärische Ausrüstung

Am Montagabend sprach Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier mit dem Präsidenten der kurdischen Autonomiegebiete im Irak, Massud Barsani, über weitere deutsche Hilfen. Barsani hatte die USA und weitere Verbündete zuvor um Waffenlieferungen gebeten.

Möglicherweise liefert Deutschland aber militärische Ausrüstung an die irakische Regierung. Das Bundesverteidigungsministerium prüft in Abstimmung mit dem Auswärtigen Amt, ob man im Norden des Irak mit Material aus Bundeswehrbeständen helfen könne. Dabei könnte es sich um gepanzerte Fahrzeuge, Helmen, Schutzwesten oder andere Ausrüstungsgegenstände handeln, sagte Bundesverteidigungsministerin von der Leyen. Die CDU-Politikerin betonte, dass Deutschland im europäischen Rahmen alle Möglichkeiten unterhalb von Waffenlieferungen nutzen wolle. Dazu könnten auch Bundeswehr-Flugzeuge humanitäre Hilfe liefern.