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Garri Kasparow: Stoppt Putin!

Efim Schuhmann (mo)9. Dezember 2015

Garri Kasparow teilt aus. In seinem neuen Buch greift der russische Oppositionelle und Ex-Schachweltmeister Präsident Putin an. "Putin braucht Kriege", sagt er und fordert vom Westen eine Demonstration der Stärke.

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Garri Kasparow(Foto: ITAR-TASS / Valery Sharifulin)
Bild: picture-alliance/dpa

Das Buch "Warum wir Putin stoppen müssen", in dem die "Zerstörung der Demokratie in Russland und die Folgen für den Westen" beschrieben werden, ist gleichzeitig auf Englisch und Deutsch erschienen. Deutsche Kritiker und Publizisten staunen vor allem über die Kompromisslosigkeit des Autors.

Garri Kasparow ist ehemaliger Schachweltmeister. Er ging in die Politik, wurde zu einem der Anführer der russischen Opposition und war gezwungen, seine Heimat zu verlassen. Diktator, Aggressor, Pate der Mafia - so nennt der nach Kroatien geflüchtete Kasparow den russischen Präsidenten Wladimir Putin.

Gewagte Vergleiche

Und das ist noch nicht alles. Auch wenn es darum geht, historische Parallelen zu ziehen, ist Kasparow direkt und hart. Zwar setzt er Putin nicht mit Hitler gleich und betont, dies auch in keiner Weise tun zu wollen. Gleichzeitig erinnert Kasparow jedoch daran, dass Hitler im Jahr 1936 auch nicht als der "Serienmörder" erschien, der später den Zweiten Weltkrieg entfesselte. Aber schon damals habe das NS-Regime Juden, Homosexuelle, Behinderte und politische Gegner verfolgt. Putin, so Kasparow, habe "dieses Modell der Unterdrückung übernommen" und produziere ähnliche Gesetze.

Das Jahr 1936 erwähnt Kasparow nicht zufällig. Damals fanden in Berlin die Olympischen Sommerspiele statt. Und wieder eine Parallele: Diesmal zu den Olympischen Winterspielen in Sotschi 2014. "Ob bewusst oder unbewusst, aber das Putin-Regime folgt genau dem Drehbuch, das 1936 in Berlin geschrieben wurde", so der Autor.

Bei den Olympischen Spielen in Moskau 1980 und in Peking 2008 hätten die Propaganda-Maschinen der Sowjetunion und Chinas die "Errungenschaften" der autoritären Staaten verherrlicht. Anders in Sotschi, meint der Autor: Dort habe, wie in Berlin 1936, ein Mann, der "allgegenwärtige Führer", mit seinen "Ambitionen und Größenwahn" auf der Bühne gestanden.

Die "Sotschi-Olympiade als Potemkinsches Dorf" habe noch ein weiteres Ziel gehabt: Sie sollte die Vorbereitungen für eine Aggression verdecken, schreibt er. Als es Putins "Lakaien Viktor Janukowitsch", wie Kasparow den nach Russland geflüchteten ukrainischen Ex-Präsidenten nennt, nicht gelungen sei, die ganze Ukraine an die Kandare zu nehmen, habe der russische Staatschef mit einer bewaffneten Invasion des Landes begonnen.

Wladimir Putin während der Olympischen Winterspiele im russischen Sotschi (Foto: REUTERS/Alexander Demianchuk)
Wladimir Putin während der Olympischen Winterspiele im russischen SotschiBild: Getty Images

Schläft Europa?

Kasparow ist sichtlich darüber verärgert, dass der Westen weder nach der Annexion der Krim noch nach dem Ausbruch von Kämpfen im Osten der Ukraine wirksame Maßnahmen ergriffen habe. "Der amerikanische Präsident schaut nur zu und Europa schläft", sagte er in einem Spiegel-Interview. "Das Verhalten des Westens gegenüber Putin ist eine politische und moralische Kapitulation." Es sei traurig, dass die freie Welt nicht aus den Fehlern der Vergangenheit beim Umgang mit Diktatoren lernen wolle.

Doch Kasparow geht nicht nur mit Putin oder dem russischen Premier Dmitri Medwedew hart ins Gericht, sondern auch mit westlichen Politikern der Vergangenheit und Gegenwart. So kritisiert er den US-Präsidenten Franklin Roosevelt und den britischen Premier Winston Churchill, die 1945 bei der Konferenz in Jalta auf der Krim dem sowjetischen Diktator Stalin ganz Osteuropa überlassen hatten.

Auch verurteilt Kasparow die "Appeasement-Politik" des britischen Premiers Neville Chamberlain gegenüber Adolf Hitler. Unter den heutigen Politikern, die der Autor des Buches angreift, sind der französische Ex-Präsident Nicolas Sarkozy, US-Präsident Barack Obama, Bundeskanzlerin Angela Merkel und der ehemalige italienische Premier und Ex-Präsident der EU-Kommission, Romano Prodi.

Sie alle, so Kasparow, würden eine beschwichtigende Haltung gegenüber dem Kreml einnehmen. Auch hier verwendet er den Begriff "Appeasement-Politik", wie die Politik der Briten und Franzosen gegenüber Nazi-Deutschland in den 1930er Jahren genannt wird. Kasparow sieht hier Parallelen.

"Putin braucht Kriege"

Das Konzept einer Partnerschaft mit dem Kreml hält Kasparow für überholt. Alle Versuche, sich auf ein gemeinsames Vorgehen gegen den "Islamischen Staat" in Syrien zu einigen oder eine einheitliche Position zum Atom-Programm des Iran zu finden, seien vergeblich.

Ganz zu schweigen von einer Einhaltung irgendwelcher Friedensvereinbarungen zur Ostukraine, wo Putin selbst einen Krieg entfacht habe, betont Kasparow. "Putin braucht Kriege", schreibt er. Er brauche sie, um vom wirtschaftlichen und moralischen Verfall Russlands abzulenken und um seine imperialen und nationalistischen Ambitionen zu verwirklichen.

Aber was sollte man tun? Kasparows Rezept ist einfach: Da sich die Welt wieder im Zustand eines Kalten Krieges befinde, müsse man wieder zu Methoden greifen, die sich schon einmal gegen die sowjetische Expansion bewährt hätten.

In der Praxis bedeute dies eine Isolation des Kremls statt der Suche nach neuen Kompromissen, schärfere Sanktionen, die Lieferungen defensiver Waffen an die Ukraine, eine Demonstration der Stärke, um die "Bedrohung zu stoppen" und um "Putin zu stoppen". Aber ob sich die "selbstgenügsame westliche Welt", wie Kasparow schreibt, dazu durchringt? Sie müsse es, fordert er immer wieder.