1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Bangladeschs Regierung schaut weg

Ali Riaz
Ali Riaz
28. April 2016

Eine Mordserie an säkularen Aktivisten erschüttert Bangladesch. Die Regierung müsste entschlossen eingreifen. Doch sie zeigt kaum Interesse an Aufklärung und trägt so zur Eskalation bei. Ein Gastkommentar von Ali Riaz.

https://p.dw.com/p/1IeqW
Dhaka Protest gegen Blogger
Eine aufgebrachte Menschenmenge demonstriert in Dhaka gegen angebliche Gotteslästerungen durch BloggerBild: picture-alliance/AP Photo

In Bangladesch macht sich ein immer größeres Gefühl der Unsicherheit breit. In den vergangenen 14 Monaten wurden bei Angriffen militanter Gruppen mindestens 35 Menschen getötet und 129 verletzt. Unter den Opfern waren Angehörige religiöser Minderheiten, eine ganze Reihe von Online-Aktivisten, Blogger, bekennende Atheisten, Herausgeber, ein Aktivist für die Rechte von Lesben, Schwulen, Bi- und Transsexuellen sowie ein Universitätsprofessor. Viele dieser Morde fanden in der Öffentlichkeit statt. In einigen Fällen wurden die Opfer mit Macheten zu Tode gehackt. Der sogenannte "Islamische Staat" (IS) hat für 15 dieser Morde die Verantwortung übernommen, der bengalische Al Kaida-Ableger "Al Kaida auf dem Indischen Subkontinent" (AQIS) bekennt sich zu acht Taten. Mittlerweile sind viele Blogger außer Landes geflohen. Und die, die geblieben sind, sind verstummt.

Keine Unterstützung von der Regierung

Trotz dieser Häufung von Taten, der Bekenntnisse länderübergreifender Terroristengruppen und dem klar erkennbaren Motiv, Befürworter unorthodoxer Ansichten zu attackieren, leugnet die Regierung nach wie vor die Existenz von AQIS und IS in Bangladesch. Im Gegenteil: Die eigentlich säkulare Regierung hat in jüngerer Zeit ihre Haltung gegenüber Bloggern und Andersdenkenden insgesamt verändert. Im vergangenen Jahr haben Regierungspartei und Exekutivorgane quasi alle Schuld den Bloggern selbst zugeschoben. Und noch nach dem brutalen Mord am Social Media-Aktivisten Nazimuddin Samad im April 2016 kündigte Bangladeschs Innenminister an, die Regierung werde seine Beiträge genau überprüfen, um herauszufinden, ob er etwas Islam-kritisches verfasst habe. Er fragte wörtlich: "Warum benutzen die Blogger so eine Sprache gegen das religiöse Establishment? In unserem Land ist eine solche Sprache nicht erlaubt. Das ist gesetzlich festgeschrieben."

Vorbei sind die Tage, da die Premierministerin zum Haus eines ermordeten Bloggers eilte und ihn zum Märtyrer erklärte - so wie Sheikh Hasina es noch im Februar 2013 nach dem Mord an Rajib Haider getan hatte. Heute erklärt Sheikh Hasina, die "Regierung erlaube es niemandem, religiöse Gefühle zu verletzen". Wenn die Premierministerin sagt, dass die Regierung keinerlei Verantwortung für diese "bedauerlichen Vorfälle" übernimmt, dann ist das eine deutliche und furchteinflößende Botschaft. Diese Entwicklungen haben zwei Fragen aufgeworfen: Warum kommt es zu diesen Morden? Und warum ist die Regierung nicht gewillt oder unfähig, etwas dagegen zu tun?

Täter werden nicht belangt

Der Hauptgrund für die Vielzahl von Tötungen ist die Straflosigkeit. Trotz der Flut von Vorfällen, trotz öffentlicher Aufregung und lauter Kritik im In- und Ausland wurden die Täter bislang nicht vor Gericht gebracht. Nur in einem Mordfall an einem Blogger wurde ein Urteil gesprochen. Noch wichtiger ist die Tatsache, dass es in den vergangenen Jahren gegen gewalttätige Aktivisten der regierenden Partei kaum Strafverfolgung gab. Das Vertrauen der Bevölkerung in Justiz und Strafverfolgungsbehörden erodierte so immer mehr. Und genau hier sehen militante Gruppen ihre Chance.

Es überrascht nicht, dass internationale Terrororganisationen versuchen, Menschen für ihre Ideen zu gewinnen. Und es gelingt ihnen bereits. Zu den Angriffszielen gehören nicht nur Intellektuelle, Atheisten und Freidenker. Auch die Anzahl außergerichtlicher Tötungen und Entführungen hat dramatisch zugenommen. Politisch motivierte Gewalt, vor allem das Gerangel unter den verschiedenen Fraktionen der Regierungspartei, ist in Bangladesch zur Routine geworden. Auch das Recht auf freie Meinungsäußerung wurde in den vergangenen Jahren immer mehr eingeschränkt, vor allem seit den umstrittenen Parlamentswahlen im Jahr 2014. Berechtigte Kritik wertet die Regierung als Bedrohung. Kritiker werden per Gesetz zum Schweigen gebracht. All dies hat zur Atmosphäre von Angst und Straflosigkeit beigetragen.

Ali Riaz
Ali Riaz ist Professor für Politikwissenschaften in den USABild: Privat

Für die politische Landschaft in Bangladesch sind militante Gruppen kein neues Phänomen. Doch das jüngste Wachstum und die Radikalisierung der gewalttätigen extremistischen Gruppen ist auf die tiefe Spaltung innerhalb der Gesellschaft zurückzuführen. Seit Jahrzehnten existieren unterschiedliche Ansichten über Religion, Politik und Öffentlichkeit in Bangladesch. Aber der Streit darüber wird immer schärfer geführt. Neue islamistische Gruppen sind entstanden - zu einer Zeit, wo der Raum für öffentliche Debatte über die Trennung von Religion und Staat immer kleiner wird. Vor dem Kriegsverbrechertribunal laufen aktuell Prozesse. Und die Islamistenpartei Jamaat-e-Islami (JI) setzt auf Gewalt, um ihre Führungskräfte vor dem Tribunal zu retten. All diese Faktoren haben ein günstiges Umfeld für militante Gruppen geschaffen.

Warum handelt die Regierung nicht?

Viele Menschen sind überrascht von der Rolle der Regierung. Sie fragen, warum die regierende Awami-Liga, die sich zum Säkularismus bekennen will, nicht in der Lage oder vielleicht auch nicht willens ist, etwas dagegen zu tun.

Die Antwort muss in einem breiteren politischen Kontext gesehen werden: Nach den umstrittenen Wahlen von 2014 kam eine Regierung an die Macht, der von Anfang an die moralische Legitimität fehlte. In den vergangenen Jahren setzt sie vermehrt auf Gegengewalt, eine wachsende Zahl von Hinrichtungen ohne Gerichtsverfahren und auf schwerfällige Maßnahmen gegen die Opposition. Das staatliche Verständnis für Demokratie schrumpft. Zugleich glaubt sie aber, islamistische Gruppen besänftigen zu müssen. Die Regierung will weder als anti-islamisch noch als Unterstützer von Atheisten angesehen werden und hat sich daher vielen islamisch-konservativen Forderungen angeschlossen, um ihren eigenen islamischen Charakter unter Beweis zu stellen. Dadurch hat sie in säkularen Kreisen viel an Glaubwürdigkeit verspielt.

Gebotene Vorsicht

Die jüngste Mordserie ist äußerst besorgniserregend. Setzt sich die Situation fort, werden sich diejenigen ermutigt fühlen, die diese abscheulichen Verbrechen begangen haben. Worte und Taten der Regierung zeigen, dass sie auf eine Art "Verweigerungsmodus" umgeschaltet hat. Damit ist der Krieg gegen den wachsenden Radikalismus nicht zu gewinnen. Es ist dringend erforderlich, jetzt Anti-Terror-Maßnahmen zu stärken.

Schwerfällige Maßnahmen, die oft gegen politische Gegner gerichtet sind, werden die Situation aber nur verschlimmern und sind Wasser auf die Mühlen der Militanten. Die Regierung muss endlich gegensteuern: die Meinungsunterschiede in der Gesellschaft abbauen, Toleranz fördern und Rechtsstaatlichkeit gewährleisten. Nur wenn landesweit über diese Handlungsoptionen Einigkeit herrscht, kann der Radikalismus besiegt werden.

Ali Riaz ist Professor für Politikwissenschaften an der Illinois State University in Bloomington, USA. Sein in Kürze erscheinendes Buch trägt den Titel: "Bangladesh: A Political History since Independence".

Sie können unterhalb dieses Artikels einen Kommentar abgeben. Wir freuen uns auf Ihre Meinungsäußerung!