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Politik

Nicht mehr schweigen!

IDZ-Direktor  Dr. Matthias Quent
Matthias Quent
24. November 2019

Juristisch betrachtet kann auch Hass als Meinung gelten. Aber die Gesellschaft kann und darf Hass nicht akzeptieren, weil er nämlich den demokratischen Grundkonsens zerstört, meint Matthias Quent.

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Chemnitz Opolkas Wolf-Skulptur gegen Nazis
Bild: Reuters/T. Schle

Seit der Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke im Juni ermordet wurde, diskutiert das Land über Hass und rechte Gewalt. Wieder einmal. Aus ganz Deutschland werden Bedrohungen von Politikern in Kommunen, Ländern und im Bundestag gemeldet. Trittbrettfahrer und ermutigte Extremisten verschicken Morddrohungen und lösen, sobald diese bekannt werden, kollektive Verunsicherung aus.

Die trifft zum Beispiel Menschen, die in kleineren Gemeinden das Ehrenamt des Bürgermeisters übernommen haben. Und deswegen wird es immer schwieriger Freiwillige zu finden, die im Interesse der Allgemeinheit Verantwortung zu tragen bereit sind, wenn Einzelpersonen oder eine lautstarke Minderheit Druck- und Drohkulissen gegen etablierte politische Prozesse aufbauen.

Wer stellt sich noch zur Verfügung?

Die Folgen für die demokratische Kultur können fatal sein: Wer, außer ideologisch Verhärteten, will sich noch für politische Funktionen und Mandate zur Verfügung stellen, wenn der Preis dafür Angst und Verachtung ist? Es braucht nicht nur besseren staatlichen Schutz vor Bedrohungen und Gewalt, sondern auch Anerkennung für ehrenamtliches Engagement aus der ganzen Gesellschaft - auch über Parteigrenzen hinweg.

Zur Wahrheit gehört aber auch: Die Politik hat den Hass jahrelang wachsen und wuchern lassen. Als die Geschosse der Nazis Migranten, Obdachlose oder Linke trafen, reagierte der Staat nicht. Als Neonazis Punks, Ausländer und Homosexuelle getötet haben, schwiegen viele. Sie waren ja keine Punks, Ausländer oder Homosexuelle. Seit 1990 wurden mindestens 198 Menschenleben durch rechte Gewalttäter beendet, zählt die Amadeu Antonio Stiftung. Die Zahl der amtierenden Politiker darunter: einer.

Erst jetzt reagieren Regierung und Bundespolizei auf die alte Gefahr von rechts außen. Damit die Maßnahmen die Hater und Rechtsradikalen auch treffen, müssen die Länder bei der problemfokussierten Stärkung von Polizei und Justiz nachziehen, die vor Ort mit der Strafverfolgung und dem Schutz aller Menschen vor Hass und Gewalt zuständig sind.

Blick in die Abgründe unserer Gesellschaft

Seit es durch das Internet so einfach geworden ist, Menschen zu belästigen, zu beleidigen und mit dem Tode zu bedrohen, können wir jederzeit die menschlichen Abgründe in unserer Gesellschaft sehen. Im Netz müssen die Hater den Objekten ihrer Aggressionen nicht einmal in die Augen schauen. Doch wer erlebt hat, wie bei Kundgebungen der rechtspopulistischen AfD oder der Protestbewegung "Pegida" Journalisten, Polizisten und Gegendemonstranten angeschrien und angegriffen werden, kommt zu dem Schluss: Es sind nicht nur oberflächliche Kommentare, die vorschnell aus der Anonymität abgeschossen werden. Der Hass sitzt viel, viel tiefer.

IDZ-Direktor  Dr. Matthias Quent
DW-Gastkommentator Matthias QuentBild: picture-alliance/dpa/B. Schackow

Juristisch betrachtet kann Hass eine Meinung sein. Die Freiheit der Rede ist ein hohes und zugleich ambivalentes Gut: Es schützt auch abwertende und aggressive Äußerungen vor dem Staat - solange die Äußerungen nicht gegen geltende Gesetze verstoßen. Ebenso geschützt sind die couragierte Gegenrede, der Widerspruch und die Kritik an Antisemitismus, Rassismus, Sexismus und anderen Ideologien und Praxen der Ungleichwertigkeit.

Derzeit wird in Deutschland aufgeregt diskutiert, ob es eine Einschränkung der Meinungsfreiheit ist, wenn im Zuge gesellschaftlicher Politisierung und Sensibilisierung bisher weitgehend unwidersprochene Diskriminierungen und Herabwürdigungen auf Widerspruch stoßen. Die AfD verletzt beispielsweise systematisch die Menschenwürde und muss damit immer wieder kritisch konfrontiert werden. Die, die das Grundgesetz angreifen, fantasieren dann das Ende der Meinungsfreiheit herbei und machen es sich in der Opferrolle bequem.

Das Meinungsspektrum in Deutschland wird größer

Doch in Wirklichkeit wird das Meinungsspektrum in Deutschland größer. Vormals ignorierte, nicht gehörte und zum Schweigen gebrachte Stimmen lassen sich nicht länger unterdrücken. In einer vielfältiger werdenden Gesellschaft erstreiten sich die Stimmen und Geschichten der Frauen, der Minderheiten und Unterdrückten ihren öffentlichen Raum. Der Journalist Christian Bangel hat zum Beispiel mit dem Hashtag #Baseballschlägerjahre alle jenen zu einer Stimme verholfen, die in den vergangenen Jahren - nicht nur in Ostdeutschland - von Nazis angegriffen wurden. Zu diesen Menschen gehöre auch ich. Für uns sind Hass, Gewalt, Angst und Verdrängung nicht neu.

Es ist folgerichtig, dass all die Stimmen der Emanzipierten, Ausgegrenzten und Diskriminierten den Mantel der Ignoranz und Gleichgültigkeit lüften und schließlich die Vorherrschaft derjenigen infrage stellen, die durch ihre kulturelle Dominanz die Existenz der Unterdrückten jahrzehntelang aus dem öffentlichen Bewusstsein drängten.

Mehr und mehr Menschen in Deutschland verstehen: Die Angriffe von rechts zielen auf den demokratischen Grundkonsens. Jeder Hasskommentar gegen Geflüchtete, Frauen oder Juden ist ein Affront gegen das Grundgesetz. Die liberale Lebenswelt aller Demokraten - ob Bürger oder Politiker - wird durch den Hass angegriffen. Darum sollte sich die Mehrheit gemeinsam und über Parteigrenzen hinweg für echte Solidarität und für Anerkennung des 'Anderen' einsetzen. Aus der Geschichte haben wir gelernt, dass es sonst irgendwann niemanden mehr geben könnte, der eingreifen kann, wenn der Hass immer weiter um sich greift.

Dr. Matthias Quent ist Soziologe und Direktor des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena. Im August ist sein aktuelles Buch erschienen: "Deutschland rechts außen. Wie die Rechten nach der Macht greifen und wie wir sie stoppen können"