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Politik

Deutsch ist wichtig, die Muttersprache auch!

Krsto Lazarevic
21. Februar 2019

Polnisch statt Französisch? Türkisch statt Spanisch? Warum nicht? Zum internationalen Tag der Muttersprache fordert Krsto Lazarevic, die sprachliche Vielfalt in Deutschland endlich anzuerkennen und zu nutzen.

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Symbolbild | Schule Unterricht Schulklasse Schüler
Bild: imago/photothek/F. Gaertner

Zwei Freunde von mir haben während ihres Studiums Arabisch gelernt. Heute arbeiten sie dank ihrer Sprachkenntnisse als Führungskräfte in einem Milliardenunternehmen, das in 120 Ländern aktiv ist. Ihre Arabischkenntnisse machen sie zu erfolgreichen "Expats" und begehrten Beratern. Wenn Deutsche Arabisch sprechen, dann hilft es ihnen dabei, gute Jobs in internationalen Unternehmen zu bekommen.

Wenn Jugendliche in Berlin-Neukölln Arabisch sprechen, dann hilft es ihnen oft nicht dabei, einen guten Job zu bekommen. Sie sind meistens keine "Expats", sondern Menschen mit Migrationshintergrund, deren Muttersprache als Problem wahrgenommen wird.

Im November vergangenen Jahres titelte die Boulevardzeitung "Bild" unter Berufung auf eine Schulleiterin aus dem Berliner Stadtteil Neukölln: "Nur eins von 103 Kindern spricht zu Hause deutsch". In dem Artikel warnt die Rektorin: "Wir sind arabisiert." Es ging um die ersten Klassen der "Grundschule an der Köllnischen Heide".

Man hätte auch schreiben können: "Standortvorteil Neukölln: Fast alle Kinder sprechen noch eine andere Sprache als Deutsch." Aber dieser Titel hätte nicht die Ressentiments vieler Leser bedient. Es wäre vermutlich auch nicht als Problem wahrgenommen worden, wenn diese Kinder Schwedisch, Japanisch oder Spanisch zu Hause sprechen würden. Ein Problem ist es dann, wenn sie Arabisch, Türkisch oder Bosnisch sprechen.

Wie viele Sprachen passen in ein Gehirn?

Die Sprache ihrer Eltern ist nicht schuld daran, dass viele dieser Kinder schlechte Zukunftsaussichten haben. Schuld daran sind die Verhältnisse in Deutschland, in denen soziale Stellung und Lebenschancen von den Eltern auf die Kinder vererbt werden. Für viele Kinder aus sozial benachteiligten Familien ist das Beherrschen einer weiteren Sprache das einzige Privileg und der einzige Wettbewerbsvorteil, den sie haben.

Krsto Lazarevic (n-ost/eurotopics, Social Media Editor, Serbia) | 11 | Session | Get out of the bubble: The online European press review euro|topics
Journalist und Publizist Krsto Lazarevic ist in Bosnien-Herzegowina geboren und floh als Kind mit seiner Familie nach DeutschlandBild: DW/P. Böll

Es ist gut für Kinder, wenn sie zweisprachig aufwachsen. Es fördert die Lernfähigkeit und macht es leichter, künftig weitere Sprachen zu erlernen. Mit den Studien, die das belegen, könnte man locker einen Airbus A380 füllen. Trotzdem wird die Debatte teilweise so geführt, als wäre das Gehirn ein Gefäß, in das nur eine Sprache richtig hineinpasst, und diese soll in Deutschland natürlich Deutsch sein.

Schon der Vorschlag des NRW-Integrationsrates, Lücken im Lehrplan teilweise mit muttersprachlichem Unterricht zu füllen, führte zu rassistischen und hasserfüllten Kommentaren in den sozialen Medien. Als würden zwei Stunden Unterricht auf Türkisch für türkischstämmige Kinder in NRW den Untergang des Abendlandes einläuten.

Eine "schöne" Sprache - und viele "schmutzige"

Dabei könnte die gezielte Förderung von muttersprachlichem Unterricht vielen Kindern mit Migrationshintergrund dabei helfen, eine weitere Sprache sicher zu erlernen und ihre Zukunftschancen verbessern. Hier liegt ein großes Potential brach. Viele Kinder, die bilingual aufwachsen, sind zwar in der Lage, sich in der Sprache ihrer Eltern zu verständigen, sicher beherrschen sie diese aber oft nicht, weil ihnen der Unterricht fehlt.

Mir hätte muttersprachlicher Unterricht geholfen. Ich verfasse diesen Text auf Deutsch. Ich könnte ihn in der Sprache meiner Eltern schreiben. Man würde es verstehen, aber stilistisch wäre es nicht besonders elegant.

Quiz Deutsche Sprache lieben
Warum nicht mal Polnisch oder Bosnisch lernen? Dann versteht man auch diesen Aufruf für die deutsche Sprache ...

Als wir 1992 aus Bosnien und Herzegowina nach Deutschland kamen, gab es viele Kinder aus dem ehemaligen Jugoslawien in den Kindergärten und Grundschulen. Das Deutsche sei die Sprache des Wahren, Guten und Schönen. An der Sprache unserer Eltern hingegen klebe Dreck, Blut und Hinterwäldlertum. So wurde es uns von klein auf von der deutschen Mehrheitsgesellschaft vermittelt.

Wir hatten fast alle einen Migrationshintergrund, von unseren Lehrern hingegen hatte niemand einen. Mir wurde niemals vermittelt, dass die Sprache meiner Eltern irgendeinen Wert für mich oder meine Zukunft haben könnte. Weder wirtschaftlich noch persönlich.

Deutschland und die Vielfalt der Sprachen

Ich habe die Sprache meiner Eltern verlernt und konnte mich als Teenager teilweise kaum noch mit meiner Familie verständigen. Ich musste sie mühsam wieder erlernen. Heute verdiene ich meinen Lebensunterhalt damit, dass ich diese Sprache beherrsche. Akzentfrei werde ich sie nie sprechen.

Nach dem Austritt Großbritanniens wird Polen das fünftgrößte Land der EU sein, und es ist ein wichtiger Handelspartner für Deutschland. Trotzdem wirkt für viele Deutsche die Vorstellung eigenartig, Polnisch zu lernen. Warum eigentlich? Kann man nicht in Frankfurt (Oder) an der Grenze zu Polen mit Polnisch mehr anfangen als mit Französisch? Es würde Deutschland gut tun, wenn auch Sprachen jenseits des Englischen, Französischen und Spanischen stärker gefördert und gelehrt werden.