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Politik

Willkommen in der Realität

Sturm Peter Kommentarbild App PROVISORISCH
Peter Sturm
17. November 2016

Der Brexit ist nicht annähernd so einfach wie seine Befürworter suggerierten. Und die Regierung ist zunehmend überfordert von der Aufgabe. Die Beteiligung des Parlaments könnte die Lage entspannen, meint Peter Sturm.

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Großbritannien Parteikongress der Konservativen in Birmingham
Bild: Getty Images/C. Court

Wahlkampfzeit ist die schönste Zeit. Wer bereit ist zu glauben, dem wird eine Welt vorgegaukelt, in der alles ganz einfach ist. Es reicht schon, bestimmte Dinge zu wollen - vorausgesetzt natürlich, man wählt "richtig". Das Erwachen nach der Wahl fällt zuweilen ziemlich böse aus. Das ist zwar nicht neu. Aber die Kampagne vor der Volksabstimmung über den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union erreichte in punkto Realitätsverweigerung Rekorde. Die Befürworter eines Austritts (Brexit) rechneten vermutlich selbst nicht damit, dass ihre blumigen Versprechungen einmal den Realitätstest zu bestehen haben würden, bejubelten aber einen "Sieg" der Demokratie über das parlamentarische System.

Sturm Peter Frankenberger Frankfurter Allgemeine Zeitung
Peter Sturm ist Redakteur der Frankfurter Allgemeinen ZeitungBild: Frankfurter Allgemeine Zeitung

Und jetzt - einige Monate später? Wunsch und Wirklichkeit klaffen meilenweit auseinander. Die Regierung von Premierministerin Theresa May weiß offensichtlich immer noch nicht genau, wie und wann sie den Prozess des Austritts in Gang bringen soll. Es kursieren abenteuerlich anmutende Berichte über den dafür benötigten Aufwand. Angeblich müsste man 30.000 zusätzliche Beamte allein damit beschäftigen, den komplizierten Prozess einigermaßen geordnet abzuwickeln. Um ihre offensichtliche Planlosigkeit zu verschleiern, möchte die Regierung das Parlament am liebsten umgehen. Nur wenn man sich vor Augen hält, welch überragende Rolle das Parlament im britischen System spielt, kann man ermessen, wie groß die Verzweiflung bei der Regierung sein muss. Zum Glück hat ein Gericht dem Vorhaben erst einmal einen Riegel vorgeschoben.

Nun zeigt sich, dass der Haushalt 2017, auch wegen der Entscheidung für einen Brexit, ein gewaltiges Defizit ausweisen wird. Die Aussichten für die folgenden Jahre sind nicht besser. Allmählich müssten sich auch viele Engländer (Schotten, Nordiren und Waliser hatten ja für die EU gestimmt) fragen, ob der Preis für ihre an der Wahlurne abreagierte Wut auf "Europa" nicht doch zu hoch ist.

Die hartgesottenen Brexit-Befürworter, die jetzt einen gewichtigen Teil der Regierung stellen, verweigern sich dieser Erkenntnis zwar weiterhin. Aber noch ist es nicht zu spät. Und da könnte schon die intensive Beteiligung des Parlaments für Entspannung sorgen: Eine Institution, die seit vielen Jahrhunderten manches abgefedert hat, sollte auch in der Lage sein, für ein auch künftig gedeihliches Miteinander von Insel und Kontinent zu sorgen.

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