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Politik

Was tun mit Russland?

Jörg Himmelreich Kommentarbild App PROVISORISCH
Jörg Himmelreich
9. Oktober 2018

Tschto delat? - Was tun? Mit dieser Frage der wichtigsten Kampfschrift Lenins sieht sich derzeit einmal mehr die deutsche Russland-Politik an gleich zwei Stellen herausgefordert, meint Jörg Himmelreich.

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Russland St. Petersburg Logo des Petersburger Dialogs
Bild: DW/A. Brenner

Die Parlamentarische Versammlung des Europarates hat sich am Dienstag einer Änderung ihrer Geschäftsordnung verweigert, die Sanktionen gegenüber einzelnen Mitgliedsstaaten fast unmöglich gemacht hätte. Damit wäre man einem Wunsch des Kremls nachgekommen. Denn die Versammlung hatte nach der Annexion der Krim 2014 den russischen Vertretern das Stimmrecht entzogen. Seither nehmen die Russen an keiner Plenarsitzung mehr teil und Russland hat seine Zahlungen an den Europarat seit dem vergangenen Jahr eingestellt - immerhin rund zehn Prozent des Gesamtetats. Moskau hat die Erfüllung seiner Forderung zur Bedingung der Rückkehr seiner Delegation erhoben.

Gut, dass sich die Parlamentarische Versammlung nicht in dieser Weise von Russland hat erpressen lassen. Doch der Widerstand  wurde vor allem getragen von den Abgeordneten aus Polen, der Ukraine und anderen früheren Sowjetrepubliken. Die deutschen Vertreter hingegen waren zu einem großen Teil bereit, Russland entgegen zu kommen. Wollen sie eigentlich alles mit sich machen lassen?

Nur noch Büttel der Putin'schen Propaganda

Die gleiche Frage stellt sich beim "Petersburger Dialog", der am Sonntag und Montag in Moskau tagte und zu dem einer deutschen Vertreterin die Einreise verweigert wurde. Kann sich die deutsche Seite in dem zentralen deutsch-russischen Gesprächsforum über die Zivilgesellschaft von Moskau vorschreiben lassen, wer zur deutschen Delegation gehören darf und wer nicht? Mitnichten!

Deutschland Jörg Himmelreich Politikwissenschaftler
DW-Gastkommentator Jörg HimmelreichBild: privat

Dieser jüngste Affront gegenüber der deutschen Delegation verdeutlicht einmal mehr, zu welch einer Farce der "Petersburger Dialog" mittlerweile verkommen ist. Er war von Beginn an eine Fehlgeburt  - gezeugt im Jahr 2001 vom Putin-Freund und damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder sowie Wladimir Putin selbst. Vertreter von Regierung, Medien, Wissenschaft, Kultur und Gesellschaft beider Länder sollen über die Entwicklung der Zivilgesellschaft sprechen. Die gibt es aber in Russland kaum und Putin tut alles, um sie im Keime zu ersticken. Indem die deutsche Seite diese Farce weiter mitspielt, macht sie sich nur noch zum Büttel der Putin'schen Propaganda.

Im Europarat genauso wie im "Petersburger Dialog" erliegt die deutsche Russland-Diplomatie einmal mehr ihrer alten Schwäche: Gespräche mit Russland nur zu führen, um im Gespräch zu bleiben, Gespräche alleine um ihrer selbst willen. Aber gleichzeitig eskaliert Putin immer aggressiver mit allen Mitteln seinen Kampf gegen die europäischen Demokratien und die europäische Friedensordnung.

Russische Geheimdienste haben den Cyberwar für sich entdeckt und hacken sich immer hemmungsloser und tiefer in die europäischen Gesellschaften und Regierungen ein. Sie vergiften und töten Putin-Gegner im Ausland. Die deutsche Seite muss endlich begreifen, dass das willfährige Hinnehmen und Beschweigen aller unfreundlichen Akte Russlands Putin nur bestärkt. Es bestätigt ihn darin, dass das westliche Europa zu schwach ist, sich zu wehren.

Russland hat sich längst von Europa verabschiedet

Deswegen hätte die deutsche Seite hätte nach der Visa-Verweigerung für ein deutsches Delegationsmitglied den Petersburger Dialog 2018 direkt abbrechen müssen. Und in der Versammlung des Europarats hätte der deutschen Delegation die geschlossene Ablehnung des russischen Wunsches zur Änderung der Geschäftsordnung gut angestanden.

Der Europarat steht als Institution für alles, was Rechtsstaatlichkeit und freiheitliche Demokratie für Europa bedeuten. Wer das nicht anerkennen will, gehört eben nicht dazu. Das entspräche der tatsächlichen politischen Verfassung des heutigen Russlands im Übrigen viel mehr, das sich nämlich längst vom freiheitlichen, demokratischen und rechtsstaatlichen Europa verabschiedet hat. Die deutsche und die anderen europäischen Demokratien müssen endlich wehrhaft werden - nicht nur nach innen, sondern auch nach außen.

Jörg Himmelreich lehrt an dem Berliner Campus der École Supérieure de Commerce à Paris und kommentiert in diversen Medien regelmäßig die Politik und Geschichte Russlands.