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Politik

Wir haben das geschafft!

Kommentatorenbild Khalil Khalil, Thema Fünf Jahre Wir schaffen das
Khalil Khalil
31. August 2020

Er kam vor fünf Jahren als Flüchtling. Doch als solcher sieht er sich längst nicht mehr - denn er spricht Deutsch, hat eine Wohnung und einen Ausbildungsplatz. Möglich war das nur gemeinsam, meint Khalil Khalil.

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Flüchtlinge, die am 5. September 2015 am Münchner Hauptbahnhof ankommen. Einer hält ein Foto von Angela Merkel.
Flüchtlinge kommen am 5.9.2015 am Münchner Hauptbahnhof an. Viele setzen ihre Hoffnungen auf Angela MerkelBild: Getty Images/AFP/C. Stache

"Wir schaffen das!" - ein Satz, der die einen empörte und den die anderen als Herausforderung angenommen haben. Man mag zu Angela Merkel stehen, wie man will - aber diese drei Worte werden der zentrale Satz ihrer langen Kanzlerschaft bleiben. Auch, weil sie in stürmischen Zeiten Kurs gehalten hat. Weil sie für Stabilität gesorgt hat. Dieser Satz hat ihr eine enorme Reputation verschafft - im Ausland noch mehr als in Deutschland selbst. Er ist und bleibt allgegenwärtig.

Angela Merkel war in meiner nahöstlichen Heimat schon lange vor diesem Satz sehr bekannt. Sie ist die Symbolfigur für Women-Power. Zahllose Frauen in patriarchalisch geprägten Ländern haben von ihr gelernt, dass die Frauen genauso wie Männer in der Lage sind, die einst Männern vorbehaltenen Berufe auszuüben. 

Niemand verlässt seine Heimat freiwillig

"Wir schaffen das!" Ein Satz, der bestätigt, dass Integration ein gegenseitiger Prozess ist. Denn: Mit "Wir" hat die Kanzlerin die deutsche Gesellschaft gemeint - vor allem die riesige Zahl an ehrenamtlichen Helfern, von denen auch ich im Herbst 2015 so viele kennengelernt habe. "Das" - das waren die Flüchtlinge, Menschen wie ich. Und mit dem "Schaffen" waren wir alle gemeint, die wir gemeinsam etwas erreichen wollten. Und in der Tat - mit Rücksicht, gegenseitigem Vertrauen und Akzeptanz lässt sich eine ganze Menge schaffen, wie die vergangenen fünf Jahre gezeigt haben.

Kommentatorenbild Khalil Khalil, Thema Fünf Jahre Wir schaffen das
Khalil Khalil kam Ende 2015 nach Baden-Baden - "Wie konnte es bei meinem Namen auch anders sein?"Bild: Natalie Ehrmann

Niemand verlässt seine Heimat freiwillig oder gerne. Die eigene Heimat ist für uns alle etwas Besonderes. Doch wenn in deiner vertrauten Umgebung plötzlich nur noch das Grauen herrscht? Alles zugrunde geht oder bereits zugrunde gegangen ist? Wenn dir Krieg, Verfolgung oder eine Katastrophe alle Rechte rauben? Dennoch bleibt auch ein Flüchtling ein Mensch und sollte auch als solcher behandelt und angesehen werden - und nicht nur als Teil eines "Stroms", einer "Flut", einer "Welle", einer „Krise" oder eines "Problems". Solche Begriffe dürften eigentlich nicht mehr salonfähig sein - und auch nicht in den Medien auftauchen. Denn sie tun weh.

Allein im Jahr 2015 sind 890.000 Flüchtlinge nach Deutschland gekommen. Und doch erregen bis heute fast nur kriminelle Handlungen Einzelner Aufsehen. Klar - Flüchtlinge sind Menschen und keine Heiligen. Es kommt also auch vor, dass manche von ihnen Dummheiten oder Straftaten begehen. Doch leider wird die Nationalität eines Täters nur dann in den Vordergrund gestellt, wenn es sich um einen Flüchtling handelt. Und oft genug werden dann alle Flüchtlinge über einen Kamm geschert. Dabei gibt es in allen Ländern und Kulturen gute und böse Menschen - egal, welche Religion sie haben. Es gibt überall Gebildete und Ungebildete, Respektvolle und Respektlose, Friedliebende und Gewalttätige!

Migration ist die Lösung vieler Probleme

Fünf Jahre nach "Wir schaffen das!", haben wir doch vieles geschafft. Dank Angela Merkel und vieler Menschen in Ämtern und Behörden. Dank der zahllosen Ehrenamtlichen. Dank der Offenheit der Gesellschaft und Menschen in Deutschland. Und natürlich Dank des Fleißes und Ehrgeizes der Menschen, die als Flüchtlinge hierher gekommen sind.

Klar, wenn man in ein neues Land kommt, muss man erst vieles erlernen und sich erarbeiten. Zu allererst natürlich die Sprache - aber auch Sitten, Gebräuche und Kultur. Das geht nicht von einem auf den anderen Tag. Und man braucht Menschen, Einheimische, die mit einem gemeinsam diesen Weg gehen. Die mit einem reden. Die einem Dinge erklären. Missverständnisse auflösen. Und mit denen man mal auch einfach nur Spaß haben kann.

In meinem Freundeskreis sind (fast) alle diesen Weg gegangen und haben inzwischen Großartiges geleistet. Haben Betriebe und Ausbilder gefunden, die erkannt haben: Wer es von Syrien bis hierher schafft, der schafft noch viel mehr! Ich war mir von Anfang an sicher, dass dies nur eine Frage der Zeit sein würde. Spätestens seit in der Coronakrise deutlich wurde, welch wichtige Rolle Migranten gerade auch im Gesundheitssystem spielen, sollte es jedem klar sein: Migration ist nicht die Mutter aller Probleme, sondern ihre Lösung.

Ich werde Sie vermissen, Frau Merkel

Migration kurbelt das Wirtschaftswachstum an, verringert die Ungleichheit zwischen Ländern und verbindet unterschiedliche Gesellschaften und Kulturen. Und sie sorgt sogar für Humor, wenn sich die Menschen gegenseitig mit all ihren Ecken und Kanten annehmen. Mit anderen Worten: Sie ist eine Bereicherung!

Frau Merkel, ich verneige mich vor Ihnen. Ihnen habe ich es zu verdanken, dass ich diese Zeilen schreiben kann. Danke, dass Sie für eine offene, faire und bunte Gesellschaft sorgen! Wenn Sie in gut einem Jahr nicht mehr im Amt sind, werde ich Sie vermissen.

Khalil Khalil (31) ist in Aleppo geboren und lebt seit Ende 2015 in Deutschland. In Syrien hat er ein Jura-Studium abgeschlossen. Zurzeit macht er eine Ausbildung beim Südwestrundfunk Stuttgart zum Mediengestalter Bild und Ton.  2019 wurde er mit der Heimatmedaille des Landes Baden-Württemberg ausgezeichnet. Neben seiner Ausbildung hält er Vorträge über Flucht, Integration, Sprache und Dialekte, Demokratie und Kulturschock. Folgen Sie Khalil Khalil auf  Facebook.