1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Wir können nicht untätig sein

Antonio Vitorino KOMMENTARBILD
Antonio Vitorino
30. Juli 2019

Migration und Menschenhandel gehen vielfach Hand in Hand, schreibt António Vitorino, der Generaldirektor der Internationalen Organisation für Migration, zum Tag gegen den Menschenhandel.

https://p.dw.com/p/3MuJD
DW Zitattafel - Antonio Vitorino - IOM-Chef

Es sind Bilder, die man nicht vergessen kann: verzweifelte Familien in stickigen Schiffscontainern und auf maroden Booten. Leichen, die nach missglückten Überfahrten an Ufern und Stränden angespült werden. Menschen, die von jahrelangem Missbrauch und Ausbeutung gezeichnet und gebrochen sind.

Wir sind erschüttert. Erschüttert von Erzählungen über Gewalt und Raub. Erschüttert über die, die bereit sind, die Verzweiflung anderer auszunutzen. Dass Kinder zu Schaden kommen oder sogar sterben können, weil ihre Familien versuchen, ihnen eine bessere Zukunft zu ermöglichen, liegt schwer auf unserem Gewissen.

Ein weiteres Jahr ist vergangen

Der heutige Tag gegen Menschenhandel ist eine Warnung. Eine Warnung, dass ein weiteres Jahr vergangen ist. Er erinnert uns daran, dass wir noch lange nicht genug getan haben. Es ist an der Zeit, den weltweiten Handel mit Menschen, egal welchen Geschlechts oder Alters, zu beenden.

Wir kämpfen für die Rechte von Migrantinnen und Migranten, die unbeliebte Tätigkeiten in wohlhabenden Ländern übernehmen. Die Stellen bekleiden, die dort sonst unbesetzt bleiben würden. Deshalb arbeitet IOM unermüdlich mit Partnern aus Regierungen, Zivilgesellschaften und Privatwirtschaft zusammen, um schädliche Praktiken bei der Gewinnung von Arbeitskräften aus dem Ausland zu bekämpfen.

Doch all das ist nicht genug. Wir müssen auch hinter den Menschenhändlern her sein. Und wir müssen die Regierungen von IOM-Mitgliedsstaaten zur Rechenschaft ziehen, wenn sie es nicht schaffen, die Opfer von Menschenhandel zu schützen.

Verfolgt werden Helfer statt Händler

Migration wird zunehmend als Ausweg gesehen, um Konflikten, Instabilität, Ernährungsunsicherheit, Naturkatastrophen und dem Klimawandel zu entkommen. Doch große Migrationsbewegungen können oft kriminelle Energien freisetzen und verstärken, die zu einer weiteren Ausbeutung von Migranten führen. Dennoch hat diese Erkenntnis noch nicht dazu geführt, die Ursachen gefährlicher Migration zu beheben. Auch hat sie nicht dazu beigetragen, dass Migranten ausreichend Schutz und Unterstützung angeboten wird.

Leider verfolgen viele Regierungen heutzutage zuerst die Organisationen, die Migranten in Lebensnot retten, anstatt die eigentlichen Menschenschmuggler und -händler zur Rechenschaft zu ziehen. Es ist nicht nur ungerecht, Seenotretter zu bestrafen - insbesondere aus bürokratischen Gründen, wie dem Fehlen einer ordnungsgemäßen Andockgenehmigung oder dem Schiffseinsatz ohne Gerichtsbarkeit auf hoher See - sondern auch ineffektiv. Es verschwendet sowohl Ressourcen der Hilfsorganisationen als auch der Strafverfolgungsbehörden.

Die Bewältigung dieser Herausforderungen erfordert erhebliche Investitionen und internationale Zusammenarbeit. Aber wir können diese Herausforderungen nicht ignorieren und gleichzeitig hoffen, dass lebensgefährliche Migrationswege und der damit verbundene Handel mit Menschen von selbst verschwinden werden.

Alle sind gefordert - als Bürger wie als Konsumenten

Als Bürgerinnen und Bürger können wir uns sowohl im öffentlichen als auch im privaten Bereich gegen eine migrationsfeindliche Stimmung aussprechen, die das öffentliche Mitgefühl untergräbt und die es den Menschenhändlern ermöglicht, unangefochten und ungestraft tätig zu sein. Als Konsumenten können wir Waren und Dienstleistungen verlangen, die frei von Sklaverei oder Ausbeutung hergestellt werden. Wenn Entscheidungsträger Narrative verbreiten und tolerieren, die Migranten entmenschlichen, können wir von ihnen Rechenschaft verlangen. Aber wir können nicht untätig bleiben und dennoch auf Veränderung hoffen.

Ich weiß, dass viele Menschen nicht nur aus Verzweiflung migrieren, sondern auch aus Sehnsucht nach einer besseren Zukunft. Ich stimme zu, dass Regierungen ein berechtigtes Interesse an der Sicherung ihrer Grenzen und der Steuerung der Migrationsbewegungen haben. Ich bin mir bewusst, dass Regierungen oft nach einem Gleichgewicht zwischen den Interessen ihrer Bürger und den humanitären Bedürfnissen von Migranten suchen müssen. Wir alle haben jedoch ein Interesse daran, die Würde des Menschen und die Menschenrechte zu wahren. Unsere Menschlichkeit verlangt das.