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Politik

Zerstört Georgien seine EU-Ambitionen?

Markus Löning
Markus Löning
11. Juli 2021

Georgien bewirbt sich um eine EU-Mitgliedschaft. Aber angesichts der sozialen und politischen Entwicklung stellt sich die Frage, ob Georgien überhaupt bereit ist, die Aufnahmekriterien zu erfüllen, meint Markus Löning.

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Männer mit erhobenen Fäusten und einer georgischen Flagge rufen gemeinsam Parolen
Ausschreitungen vor der geplanten Pride-Parade in der georgischen Hauptstadt Tiflis am vergangenen MontagBild: IRAKLI GEDENIDZE/REUTERS

Viele haben mit Entsetzen die beunruhigenden Szenen in Tiflis am vergangenen Montag (05.07.) gesehen, als Organisatoren der LGBT Pride-Veranstaltung und Journalisten von Ultranationalisten angegriffen wurden. Obwohl er später die Angriffe auf Journalisten verurteilte, unterstrich der georgische Premierminister Irakli Garibashvili, eine Pride-Parade sei "für einen großen Teil der georgischen Gesellschaft inakzeptabel".

Dieser Zwischenfall fand nicht in einem Vakuum statt, sondern steht für eine innere Zerrissenheit Georgiens. Die georgische Gesellschaft kämpft immer noch mit gespaltenen Identitäten. Während etwa 75 bis 80 Prozent der Georgier eine EU-Mitgliedschaft befürworten und sich generell reformbereit zeigen, steht die Bevölkerung gleichzeitig stark im Bann der orthodoxen Kirche. Doch die vertritt eine reaktionäre Haltung und spricht sich auch gegen einen Beitritt Georgiens zur EU aus. Sie unterscheidet sich in ihren Ansichten, auch was Homosexualität angeht, wenig von ihrem russischen Pendant. Umfragen zeigen leider immer wieder, dass Georgier nach wie vor weit überwiegend gegen eine Mitgliedschaft von LGBT-Politikern im Parlament sind. Die jüngsten Einschränkungen der Rechte Homosexueller in Ungarn zeigen, wie gefährlich solche Einstellungen für die Rechtsstaatlichkeit sind.

Schikanen gegenüber Wählern und Journalisten

Dass Georgien noch einen langen Reformweg vor sich hat, hat auch das Wahldrama im November vergangenen Jahres gezeigt. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) sprach von "weit verbreiteten Vorwürfen von Druck auf Wählern". Die Beobachter kritisierten die Schikanierung von Wählern, Journalisten und Beobachtern, Verletzungen des Wahlgeheimnisses und Stimmenkauf. Die Opposition weigerte sich, das Wahlergebnis anzuerkennen, der Premierminister trat zurück, wurde kurzfristig durch seine Verteidigungsministerin ersetzt und Oppositionsführer Nika Melia wurde festgenommen.

Markus Löning
Markus Löning, ehemaliger Beauftragter der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre HilfeBild: Imago/photothek/M. Gottschalk

Nach langwieriger Vermittlung durch die EU und nachdem eine Kaution für Melia von der EU gestellt worden war, nahmen die Parlamentarier der Opposition im Mai endlich ihre Sitze ein. Als bitterer Nachgeschmack bleibt: Nur 24 Prozent der Georgier glauben, dass die jüngsten Wahlen gerecht verlaufen sind, nur 45 Prozent glauben überhaupt, dass Georgien eine Demokratie ist. Und nur drei Prozent vertrauen dem Präsidenten und dem Parlament voll und ganz.

Die Verwischungen zwischen der Regierungspartei und dem Staat bleiben ein weiterer Knackpunkt in Georgiens Hoffnungen auf eine EU-Mitgliedschaft. In seiner jüngsten Entschließung zum Assoziierungsabkommen mit Georgien bewertete das Europäische Parlament die Fortschritte Georgiens bei der Verabschiedung von Reformen zwar positiv, forderte die Behörden jedoch erneut auf, "von politisch motivierten Verfahren abzusehen", die Auswahlverfahren für Richter zu reformieren und alle Vorfälle unverhältnismäßiger Gewaltanwendung durch die Polizei zu untersuchen.

Fragwürdige Mediengesetze

Dabei sind auch einige neue Gesetze an sich fragwürdig. So wurde etwa vergangenes Jahr ein Gesetz verabschiedet, das es der Regierung erlaubt, einen "Sondermanager" zu ernennen, der jedes elektronische Kommunikationsunternehmen übernehmen kann, das ihre Entscheidungen nicht durchsetzt. Trotz eines Aufschreis von Menschenrechtsgruppen wird diese neue Vollmacht beim Netzwerkanbieter Caucasus Online bereits ausgeübt.

Dieser Fall ist nur ein Beispiel wie die Unabhängigkeit der Medien immer wieder gefährdet oder eingeschränkt wird. Journalisten und oppositionelle Medien stehen regelmäßig direkt und indirekt unter politischem Druck. Im vergangenen Jahr wurde gegen den oppositionellen Sender Mtavari Arkhi wegen seiner Berichterstattung über Fehlverhalten lokaler Beamter ermittelt; ein stiller Protest von Journalisten beim öffentlich-rechtlichen Sender Adjara TV gegen redaktionelle Einflussnahme wurde durch die Entlassung hochrangiger Protestteilnehmer unterbrochen. Gewalt gegen Journalisten ist keine Seltenheit, obwohl der Vorfall vom vergangenen Montag bei weitem der besorgniserregendste ist. Georgiens 60. Platz in der Rangliste der Pressefreiheit ist nicht gut genug für ein Land, das EU-Mitglied werden will.

Mehr Nähe zur EU nur bei mehr Rechtsstaatlichkeit

Es ist daher nicht sonderlich überraschend, dass die Vertreter der EU beim Besuch der georgischen Präsidentin im Januar wenig Bereitschaft zu Gesprächen über eine mögliche Mitgliedschaft gezeigt haben. Sowohl im Rahmen der Östlichen Partnerschaft als auch des Assoziierungsabkommens hat die EU bislang ebenfalls auf diese Zusage verzichtet.

Gleichzeitig hat die EU aber ein strategisches Interesse daran, das Verhältnis zu Georgien weiter zu verbessern. Das geht nicht ohne Rechtsstaatlichkeit, den Schutz von Minderheiten und unabhängige Medien. Ein gesellschaftlicher und politischer Paradigmenwechsel kommt natürlich nicht von einem Tag auf den nächsten, aber die weitere Unterstützung durch die EU und Auszahlung von Mitteln ohne Durchsetzung von tatsächlichen Verbesserungen schwächt die Reformbereitschaft und die Glaubwürdigkeit der EU.

Markus Löning ist ehemaliger Beauftragter der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe (2010-14) und Bundestagsabgeordneter der FDP (2002-09). Er berät seit 2014 Unternehmen in Nachhaltigkeits- und Menschenrechtsfragen.