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Geboren werden: Gebete ins Ohr

Grit Hofmann5. Januar 2006

Der erste Schrei - ein Neugeborenes verständigt sich ohne Worte. Was aber, wenn der Mutter im Kreißsaal die Worte fehlen? Adele Haashmi hilft türkischen Frauen bei der Geburt. Und ist mehr als nur eine Hebamme.

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Die Iranerin Adele Haashmi arbeitet seit 15 Jahren als HebammeBild: DW

Herzlich und warm ist ihre Begrüßung. Gleichzeitig entschieden und dynamisch. Adele Haashmi passt zu dem Bild einer Hebamme. Die 41jährige ist modisch gekleidet und geschminkt. Ihre hellbraune Haut und die schwarzbraunen Augen verraten, dass ihre Wurzeln nicht in Europa liegen. Adele ist im Iran geboren.

Seit 24 Jahren lebt sie in Deutschland. Die Geburt ihrer ersten Tochter vor 20 Jahren weckte in ihr den Wunsch, Hebamme zu werden. "Es ist mein Traumberuf. Wenn ich eine Frau bei der Geburt begleite", sagte sie nahezu akzentfrei, "dann stehen wir uns sehr nah. Ich bin dann wie eine Freundin". In ihrer Wahlheimat Köln ist sie für manche Frauen aber auch aus einem anderen Grund unentbehrlich: Sie spricht persisch und türkisch.

Dolmetscherin und Lehrerin

Oft ist Adele die erste Informationsquelle in Sachen Schwangerschaft und Geburt. "Ich erinnere mich an eine junge Türkin, vielleicht 16 Jahre. Kurz vor der Geburt fragte sie mich: 'Wo kommt das Kind denn raus?' Das war für mich wie ein Schock!" Unwissenheit und fehlende Aufklärung sind unter türkischen Frauen häufig zu finden. Ihnen hilft Adele auch außerhalb des Kreißsaals. Indem sie ihre Fragen beantwortet - auf türkisch.

Deutsche Frauen könnten sich überall informieren, meint sie. Etwa im Wartezimmer beim Frauenarzt oder im Internet. "Was aber mit den jungen Mädchen, die aus der Türkei geholt werden, um hier verheiratet zu werden. Sie sprechen kein Wort Deutsch. Wie sollen sie sich informieren?" Für diese Frauen ist die Hebamme gleichzeitig Dolmetscherin und Lehrerin. Und eine enge Vertraute. Manchmal sogar für Migrantinnen, deren Sprache sie gar nicht spricht. "'Haashmi' auf dem Namensschild," sagt Adele, "das gibt Vertrauen. Die Frauen fühlen sich sicher: 'Die war auch mal fremd hier, die versteht mich!'"

"Komm schnell her!"

Sie spricht mit den Frauen aber auch über Dinge, die nichts mit der Geburt zu tun haben. "Ich versuche, sie aufzuklären. Auch über ihre Rechte in der Ehe. Ich versuche, ihnen zu erklären, dass es okay ist, wenn sie es mal nicht geschafft haben, ihrem Ehemann das Essen rechtzeitig zu kochen."

Und manchmal muss sie auch bei türkischen Männern Überzeugungsarbeit leisten. Wie bei dem werdenden Vater, der partout nicht zur Geburt seiner Tochter kommen wollte. "Ich brauche dich hier dringend, komm schnell her!" hat Adele ihm am Telefon erklärt. Und dann einfach aufgelegt. "Während der Geburt musste ich ihm dann zeigen, wie er seine Frau massieren sollte. Das hatte er noch nie gemacht." Im Nachhinein hat sich der Mann bei Adele bedankt. Für ihre Hartnäckigkeit und dafür, dass er die Geburt miterleben durfte.

Ein neues Leben

Doch Adele stößt auch an Grenzen. Zum Beispiel, wenn sie den Erwartungen türkischer Familien nicht gerecht werden kann, weil sie ganz bestimmte Bräuche nicht kennt. Wie etwa die Sitte, ein Neugeborenes mit Salz einzureiben. Oder weil sie im Geburtsstress vergisst, dem Baby ein besonderes Gebet ins Ohr zu flüstern. "Das ist mir dann sehr peinlich." Letztlich aber weiß Adele Haashmi, wie wichtig ihre Arbeit ist: Mit ihrer Hilfe beginnt ein neues Leben - auch für die Mütter.