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Politik

"Gefahr staatlicher Delegitimierung"

Marco Müller
7. Mai 2018

Die Zahl der sogenannten Reichsbürger in Deutschland steigt rapide. Woran das liegt und wo die Hauptgefahr liegt, erklärt Dirk Wilking vom Brandenburgischen Institut für Gemeinwesenberatung.

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Zeitschrift "Deutsche Polizei" - Thema Reichsbürger
In einer Zeitschrift der Gewerkschaft der Polizei werden Tipps im Umgang mit Reichsbürgern gegebenBild: picture-alliance/dpa/J. Lübke

Die  sogenannten Reichsbürger sind eine in Kleingruppen zersplitterte Szene, die die Bundesrepublik Deutschland, ihre Institutionen und Gesetze nicht anerkennt. Für viele von ihnen besteht das Deutsche Reich in den Grenzen von 1937 fort. Manche von ihnen sehen sich als Staatsoberhäupter ihres eigenen kleinen Reiches mit eigenen Ausweisen und Autokennzeichen. Oft weigern sie sich, Steuern, Sozialabgaben oder Bußgelder an den deutschen Staat zu zahlen.

 

Deutsche Welle: Die Zahl der Reichsbürger in Nordrhein-Westfalen ist nach Angaben des WDR in kurzer Zeit stark gestiegen. Waren es 2016 noch 300, stieg die Zahl auf 2200 im Januar 2018 und jetzt seien es bereits 2750. Können Sie sich den starken Anstieg erklären? Und wenn ja, ist es ein rein regionales Phänomen oder steigt die Zahl der Reichsbürger in ganz Deutschland an?

Wilking: Im Heckwasser der Pegida haben sich Reichsbürgerideologien sehr stark verbreitet. Und da die Reichsbürger keine Mitgliederbücher verteilen und auch keine Mitgliederlisten haben, ist man angewiesen auf Briefe, die sie an die Verwaltung oder sonstige Empfänger geschickt haben. Und die werden dann erst gezählt. Das heißt, es ist ein umständliches Zählverfahren und führt dann dazu, dass sich die Zahlen entsprechend langsam akkumulieren. Die Bundesländer sind bis auf wenige Ausnahmen erst sehr spät auf das Thema gekommen, und entsprechend spät haben sie angefangen zu zählen.

Das heißt aber auch, dass die Zahlen durchaus noch weiter stark steigen können? Laut Verfassungsschutzbericht ist beispielsweise die bundesweite Zahl von Reichsbürgern von 10.000 im Jahr 2016 auf jetzt 18.000 gestiegen.

Ich vermute sehr stark, dass wir im Augenblick ziemlich dicht an der realen Zahl sind, weil ja doch schon ein paar Jahre gezählt wird.

Kann man sagen, wie viele der Reichsbürger rechtsextrem sind?

Wir schätzen, rund 30 bis 40 Prozent.

Gibt es regionale Schwerpunkte der Szene?

Porträt von Dirk Wilking
Reichsbürger-Experte Dirk WilkingBild: picture alliance/dpa/demos Institut für Gemeinwesenberatung

Es gibt keine regionale Eingrenzung in Ost, West, Nord oder Süd-Richtung, sondern eher in Richtung Milieus. Das heißt, die Szene ist männlich, 45 bis 55 Jahre alt, eher aus dem Mittelstand, Selbstständige, ehemalige Selbstständige, viele Bankrotteure; in Süddeutschland gibt es auch Millionäre, die da mitmachen. Ost-West ist nicht das Relevante. Es gibt aber eine Spezifik im Osten, die auf die Erfahrungen der Wende zurückzuführen ist, nämlich das Erlebnis, dass man einen Staat in seinen Grundfesten erschüttern und abschaffen kann. Das ist ein gravierender Unterschied.

Es soll Reichsbürger im Staatsdienst geben, sogar Polizisten. Wie groß ist das Problem Ihrer Meinung nach?

Das sind Einzelfälle, und die werden auch ziemlich rabiat angegangen von den Behörden. Und da gibt es auch kein Schweigekartell, sondern das wird direkt und offensiv angegangen.

Gibt es auch Reichsbürger unter Politikern?

Mir ist keiner bekannt. Wenn, dann hier und da mal bei der AfD. Aber ich habe immer gesagt, die Reichsbürger sind Parteien-inkompatibel. Die sind praktisch nicht einzubinden in Strukturen, die Disziplin erfordern.

Zusammenfassend, wie groß ist die Gefahr durch Reichsbürger in Deutschland?

Die Gefahr ist eigentlich nicht, dass sie ernsthaft Macht bekommen. Die Gefahr besteht darin, dass sie den Staat delegitimieren. Und das kann sich vor allem im ländlichen Raum durchsetzen, und zwar dadurch, dass die Kommunikation zwischen Politik und ländlichem Raum praktisch nicht mehr stattfindet. Die ländlichen Räume sind weitestgehend aufgegeben worden.

Was kann der Staat tun, um zu verhindern, dass die Reichsbürger an Einfluss gewinnen? 

Ich sehe eher nicht den Staat, sondern die politischen Parteien in der Pflicht, mit diesen abgehängten Milieus zu kommunizieren. Das fällt den Parteien - und damit meine ich nicht die Abgeordneten, sondern die Parteibasis - schwer. Die Parteien sind zu Abiturienten-Clubs geworden. Und jeder, der nicht auf einem bestimmten Level diskutieren kann, ist raus. Und das halte ich für fatal.

 

Dirk Wilking arbeitet beim Brandenburgischen Institut für Gemeinwesenberatung, dessen Tätigkeit nach eigenen Angaben auf einen Interessensausgleich zwischen den unterschiedlichen demokratischen Kräften angelegt ist. Dirk Wilking befasst sich seit gut einem Jahrzehnt mit den Reichsbürgern. 2015 hat er das Buch "'Reichsbürger'. Ein Handbuch" veröffentlicht.

Das Interview führte Marco Müller.