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Gegen die Globalisierung des Terrors

Mirjam Gehrke / arn22. November 2003

Die Attentate in der Türkei und die Angriffe im Irak zeigen: Gewalt geht heutzutage nicht von Staaten aus, sondern von weltweiten Terrornetzwerken wie El Kaida. Eine kapitale Herausforderung für die Weltgemeinschaft.

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Bagdad: Sogar die UNO wird Ziel des TerrorsBild: AP

"Alleingänge von Staaten wirken sich eher kontraproduktiv aus, weil man Feindbilder aufbaut. Eine einheitliche Haltung und kein unilaterales Vorgehen wäre hier der Vorschlag", meint der Terrorismusforscher Kai Hirschmann. Das Blutbad Bosporus illustriert auch aus Sicht der Bundesregierung auf grausige Weise die Notwendigkeit, eine gemeinsame europäisch-amerikanische Strategie gegen den Terror zu entwerfen.

"Gemeinsam sind wir stark"

In einer Grundsatzrede an der Eliteuniversität Princeton (20.11.2003) beschrieb Bundesaußenminister Joschka Fischer den islamistischen Extremismus als "neue totalitäre Bewegung". Sie wolle einen "Zusammenstoß der Zivilisationen" zwischen der islamischen Welt und dem Westen provozieren. Die Antwort auf diesen "Totalitarismus" müsse ebenfalls umfassend sein und aus zwei Grundkomponenten bestehen: "effektiver Multilateralismus" und "positive Globalisierung".

Rolle der UNO neu definieren

Unter "positiver Globalisierung" versteht er die Verbreitung von Menschenrechten und Demokratie sowie den Kampf gegen Armut und Ungleichheit, um dem Terrorismus den Nährboden zu entziehen. "Effektiver Multilateralismus" soll vor allem durch eine Reform der UNO erreicht werden. Fischer schwebt dabei eine Weltordnung vor, in der die UNO als "unverzichtbare Rahmeninstitution" und die USA als militärische Supermacht kooperieren. Der Weg dahin ist aber noch weit - dass die Vereinigten Staaten bereit sein könnten, die UNO als "Rahmeninstitution" zu akzeptieren, scheint nach den Erfahrungen rund um den Irakkrieg auf absehbare Zeit kaum realistisch. Offen ist zum Beispiel, ob die USA nach den monatelangen Guerilla- und Terrorangriffen in Irak inzwischen tatsächlich bereit sind, den Vereinten Nationen die starke "politische Rolle" im Übergangsprozess zu geben, die die Bundesregierung fordert.

Europas Lehren aus der Geschichte

Die neue totalitäre Bewegung scheint sich nach den Worten Fischers im Klaren zu sein, dass die strategische Basis der USA nicht zerstört werden könne. Deshalb gehe es ihr zunächst darum, den Westen mit Selbstmordanschlägen und den Schrecken menschenverachtender Gewalt zu Reaktionen zu provozieren, die "die Unterstützung für den islamistischen Totalitarismus verstärken". Dies sei anders, als bei den Großkonflikten des vergangenen Jahrhunderts. Damals sei es Nazi-Deutschland und auch der Sowjetunion darum gegangen, die strategische Basis der freien Welt anzugreifen und wenn möglich, zu zerstören.

Europa hat seine Lektion aus dem 2. Weltkrieg gelernt: Konfliktprävention mittels Souveränitätsverzicht. Nach diesem Prinzip könnten auch die Vereinten Nationen gestärkt und handlungsfähig gemacht werden, wenn nicht der Sicherheitsrat systematisch zur Durchsetzung von nationalen Interessen missbraucht würde - das Vetorecht der fünf ständigen Mitglieder war einst auf Drängen des sowjetischen Diktators Josef Stalin eingeführt worden, der sich durch die westliche Übermacht in dem Gremium bedroht fühlte.

Streit, Macht und Verteilungskampf

Während des Kalten Krieges hat dieses Instrument, so paradox es klingt, für ein gewisses Gleichgewicht zwischen den Blöcken gesorgt. Im Irak-Konflikt aber ging der Riss mitten durch die westliche Welt. Die USA bestehen in Fragen der eigenen Sicherheit prinzipiell auf der Eigenständigkeit der nationalen Willensbildung, ähnlich verhalten sich auch China und auch die afrikanischen Staaten, die großes Gewicht auf die Souveränität der Nation legen.

Terrorismus von Seiten nicht-staatlicher Akteure kann nur eingedämmt werden, wenn sich die betroffenen Staaten im und durch den Weltsicherheitsrat angemessen repräsentiert fühlen. "Die 15 Staaten, die den Weltsicherheitsrat bilden, vertreten lediglich acht Prozent der 191 UN-Mitgliedsstaaten", beklagt der Vorsitzende des auswärtigen Ausschusses des chilenischen Parlaments, Luis Fernando Ramírez. "Europa ist überrepräsentiert. Es hat derzeit ein Drittel der Sitze der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates inne, in Europa leben aber nur fünf Prozent der Weltbevölkerung." Die Anwendung der völkerrechtlichen Instrumente der UNO scheitert nicht selten an den nationalen Interessen der an Entscheidungen beteiligten Staaten.