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Tomaten aus der Wüste dank Hightech

Isabelle Gerretsen
22. Juli 2020

Coronakrise und Klimawandel - die Vereinigten Arabischen Emirate streben nach mehr Unabhängigkeit bei der Lebensmittelversorgung. Ist die vertikale Landwirtschaft eine Lösung für den Wüstenstaat?

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Tomatenrispen hängen in einem Gewächshaus
Bild: Pure Harvest

"Als ich begann, den Leuten zu erzählen, dass ich Tomaten in der Wüste anbauen werde, dachten alle, ich sei verrückt geworden", erinnert sich Sky Kurtz, Gründer des Unternehmens Pure Harvest Smart Farms.

Die Vereinigten Arabischen Emirate sind nicht gerade das, was man gemeinhin unter einem idealen Standort für die landwirtschaftliche Produktion versteht. 12 Regentage pro Jahr gibt es hier durchschnittlich. Weniger als ein Prozent der Fläche des Landes am Persischen Golf, das aus sieben Emiraten besteht, ist für die landwirtschaftliche Produktion geeignet. Da verwundert es nicht, dass der Wüstenstaat 80 Prozent seiner Lebensmittel aus dem Ausland importiert.

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Kurtz ist nur einer von vielen Unternehmern, die in den letzten Jahren hierher kamen, viel Hightech für die Landwirtschaft mitbrachten und so einen Boom der regionalen Lebensmittelproduktion in den Vereinigten Emiraten auslösten. Im Jahr 2017 baute seine Firma Pure Harvest, die mit dem Slogan "Cleaner-than-organic" für die Umweltfreundlichkeit ihrer Nahrungsmittel wirbt, das erste voll klimatisierte Gewächshaus in Abu Dhabi.

Angesichts der extremen Trockenheit und dem Wunsch nach einer krisensicheren Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln, investiert das Land auf der arabischen Halbinsel Millionen in neue Technologien, zum Beispiel in solche für die vertikale Landwirtschaft. Die Vereinigten Arabischen Emirate könnten eine Art Landwirtschafts-Pionier werden.

Sky Kurtz, Gründer und Geschäftsführer von Pure Harvest
Tomaten in der Wüste anbauen - kein Problem für Sky KurtzBild: Pure Harvest
Tomaten wachsen in einem Gewächshaus
Vertikale Landwirtschaft benötigt deutlich weniger Wasser als konventionelle AnbaumethodenBild: Pure Harvest

Beim sogenannten vertical farming wachsen Salat, Gemüse und Kräuter, also Kulturpflanzen unterschiedlichster Art, in einem klimatisierten Gewächshaus auf mehreren Etagen, übereinander getürmt bis unter die Decke. LED-Lampen liefern das nötige Licht, Wasser wird über Sprühnebelsysteme oder durch Tröpfchenbewässerung verteilt. Das System kann so eingestellt werden, dass jede Pflanzenart genau das bekommt, was sie braucht. So sind sehr hohe Ernteerträge völlig saisonunabhängig über das ganze Jahr hinweg möglich.

"Draußen, auf dem Feld, dauert es 30 bis 40 Tage, bis Blattgemüse und Salate erntereif sind. Wir brauchen nur zehn bis 12 Tage", rechnet Marc Oshima, Mitbegründer des US-Unternehmens Aerofarms, vor. Marc Oshimas Arbeitgeber bekam für den Bau der größten vertikalen Farm der Hauptstadt finanzielle Unterstützung von der staatlichen Behörde Abu Dhabi Investment Office. Bereits 2021 sollen in dem Gewächshaus rund 800 verschiedene Pflanzensorten für die Nahrungsmittelproduktion angebaut werden.

Wassermangel und Abhängigkeit vom Öl

Die Vorteile der neuen Anbaumethode liegen auf der Hand: Es wird wenig Fläche benötigt. Und man braucht fast 95 weniger Wasser als in der konventionellen Landwirtschaft - sagt Aerofarms. Ein geringer Wasserverbrauch ist vor allem für trockene Länder wie die Vereinigten Arabischen Emirate interessant. Weil die vertikale Farm ohne Erde auskommt, versickert hier kein Wasser in tiefere Bodenschichten. Statt im Erdreich wachsen die Wurzeln der Pflanzen direkt in einer nährstoffreichen Wasserlösung. Bei dem System, das auch unter dem Namen Hydroponik bekannt ist, zirkuliert das Wasser in einem geschlossenen Kreislauf, so dass kein Tropfen verloren geht.

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Die Landwirtschaft verbraucht weltweit 70 Prozent allen Süßwassers. Weil in den Vereinigten Arabischen Emiraten zur Bewässerung fast ausschließlich Grundwasser genutzt wird, ist der hohe Wasserverbrauch bei der Lebensmittelproduktion ein besonders großes Problem. Der staatlich geförderten, agrarwissenschaftlichen Organisation International Center for Biosaline Agriculture (ICBA) zufolge sinken die Grundwasserstände hier schneller als sie sich - etwa durch Regen oder Versickern von Wasser aus Bächen und Flüssen - regenerieren können.

"In den Vereinigten Arabischen Emiraten ist Wasser sehr teuer. Energie hingegen ist wegen der staatlichen Subventionen günstig", weiß Jan Westra, der bei dem weltweit agierenden Konzern Priva tätig ist. Das aus den Niederlanden stammende Unternehmen liefert technische Geräte und Software für vertikalen Farmen.

Die künstliche, computergesteuerte Umgebung einer vertikalen Farm ist sehr energieintensiv. Die dafür benötigten Klimaanlagen und LEDs brauchen ununterbrochen viel Strom. 

Genau hier liegt der Knackpunkt, wenn es um die Bewertung der Umweltfreundlichkeit der neuen Technologie geht. Tatsächlich könnte die Vision von der grünen Wüste der Umwelt mehr schaden als nutzen. Denn ein Großteil des Stroms, der in dem Land in Nahost produziert wird, stammt aus fossilen Quellen, die klimaschädliche Treibhausgase freisetzen. Die vertikalen Farmen tragen also zur Beschleunigung des globalen Klimawandels bei und das ausgerechnet in einer Region, in der die Klimakrise bereits spürbar ist.

Die Durchschnitts-Temperatur in Abu Dhabi könnte laut einer Studie im Jahr 2050 um 2,5 Grad Celsius höher sein als heute - jedenfalls bei einem "Weiter so wie bisher". Wissenschaftler rechnen auch mit drastisch veränderten Niederschlagsmustern in den nächsten 70 Jahren.

Sauberer Strom aus erneuerbaren Quellen 

Im benachbarten Saudi-Arabien baut Pure Harvest gerade eine solarbetriebene Farm. Die Gewächshäuser in den Vereinigten Arabischen Emiraten hingegen sind an das nationale Netz angeschlossen, das hauptsächlich mit Strom aus fossilen Energieträgen gespeist wird. 

Höhere Investitionen in Erneuerbare Energien "ist eines unserer Ziele", sagt Kurtz gegenüber der DW. Er gibt aber auch zu, dass sein Unternehmen bislang keine Zielvorgabe für die Verwendung erneuerbarer Energien festgelegt hat. Man arbeite jedoch bereits an diversen Projekten, bei denen umweltfreundliche Energieträger zum Einsatz kommen sollen. Es sei auch geplant, bei Projekten in den Vereinigten Arabischen Emiraten stärker auf Solarenergie zu setzen.

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Willem van der Schans - Wissenschaftler an der Universität Wageningen in den Niederlanden - sagt dazu ganz klar: Nachhaltige Energieträger müssen "fest zur Technologie dazugehören und bei den Plänen zum Bau von vertikalen Farmen mitgedacht werden."

Salat wächst auf mehreren Ebenen in einer vertikalen Farm
Der Klimawandel verschärft den Wasserstress in den Vereinigten Arabischen EmiratenBild: Aerofarms
Kräuter wachsen in Beeten in Regalen in einer vertikalen Farm
- vertikale Farmen könnten durch punktgenaues Wässern helfenBild: Aerofarms

Er kritisiert, dass viele Unternehmen im Bereich vertikale Landwirtschaft keine nachhaltige Lösung für Beschaffung oder Reduktion des vielen Stroms für ihre Technologien haben. Klimafreundlicher Strom sei für viele noch immer eher Kür als Pflicht - also etwas, das man nicht unbedingt braucht.

Die Generaldirektorin der staatlich geförderten ICBA in Abu Dhabi, Ismahane Elouafi, gibt zu, dass die vertikalen Farmen in ihrem Land noch lange brauchen werden, bis sie "wirklich nachhaltig" sind. Sie hält Innovationen jedoch für "vielversprechend".

Verbesserte Batteriesysteme zum Speichern von Strom, effizientere LED-Lampen und günstigere Solarpanele werden dabei helfen, zeigt sich Ismahane Elouafi gegenüber der DW überzeugt.

Lösungen aus der Region

Im Jahr 2050 wollen die Vereinigten Arabischen Emirate fast die Hälfte ihres Energiebedarfs aus erneuerbaren Quellen decken.

Fred Ruijgt, Experte für vertikale Landwirtschaft beim High-Tech-Konzern Priva, sagt: "Wenn man wissen will, wie klimafreundlich oder -schädlich ein Lebensmittel ist, muss man immer auch den Energieaufwand für Transport und Kühlung mitberechnen." Tatsächlich verbrauchen vertikale Farmen mehr Energie als der konventionelle Ackerbau. Da aber die Anbaugebiete in unmittelbarer Nähe der Verbraucher liegen, entfallen weite Transportwege mit Flugzeug, Schiff oder Lastwagen.

"Es lässt sich schwer berechnen, wie hoch die Energieeinsparung tatsächlich ist, aber die Vorteile regional erzeugter Nahrungsmittel sind riesig", sagt er und ergänzt, dass beim vertikalen Anbau nicht nur weniger Wasser und Pestizide benötigt werden, sondern Obst und Gemüse auch viel frischer ist, wenn es beim Verbraucher ankommt, weil die Transportwege kurz sind.

Versorgungssicherheit und das Coronavirus

Im Jahr 2018 erklärten die Vereinigten Arabischen Emirate offiziell, dass sie zum Zentrum der Hightech basierten, regionalen Lebensmittelproduktion in ihrer Region werden wollen. Daraufhin kamen viele Firmen und Investoren ins Land. Die lockte auch, dass sie keine Gewerbesteuern zahlen müssen, Arbeit wenig kostet und Energie sehr billig ist. Die ausländischen Firmen und Investoren sind willkommen. Mit ihrer Hilfe wollen die Vereinigten Emirate ihre Abhängigkeit von Lebensmittelimporten reduzieren und sicherstellen, dass es im Land auch künftig genug zu essen gibt - trotz fortschreitenden Klimawandels und möglicher Pandemien. 

Marc Oshima von Aerofarms sagt, dass die Corona Pandemie gezeigt hat, "wie störanfällig Lieferketten sein können und dass Lebensmittel- und Ernährungssicherheit essentielle Fragen sind."

Als die Vereinigten Emirate im April in den Lockdown gingen, sank die Menge importierter verderblicher Nahrungsmittel, wie zum Beispiel Gemüse, leicht. Bei den regionalen Anbietern hingegen boomte das Geschäft. Ismahane Elouafi vom ICBA sagt, dass so die Regale während der Pandemie gut bestückt blieben.

"Dank der regionalen Lebensmittelproduktion und ausreichender Importe, gab es zu keinem Zeitpunkt eine Lebensmittelknappheit in den Vereinigten Arabischen Emiraten", so Ismahane Elouafi.

Auf lange Sicht wird der Klimawandel für das Land ein immer größeres Problem werden. Mit hoher Wahrscheinlichkeit werde das die Lebensmittelproduktion beeinflussen. Und da sei die vertikale Landwirtschaft erwiesenermaßen "eine wirtschaftlich tragfähige Lösung, die sich selbst in unwirtlichen Regionen umsetzen lässt."