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Zusammenleben in Masuren

Linda Vierecke30. November 2007

Polen und Deutsche leben in Masuren schon Jahrhunderte lang zusammen. Deutsche Wurzeln finden sich dort noch immer jede Menge, nur die ethnische Vielfalt verschwindet langsam.

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zwei alte Herren stehen nebeneinander und haken sich unter. (Foto: DW/L.Vierecke)
Freundschaft seit 61 Jahren: Józef Stankiewicz und Dietmar LangeBild: DW

Ein wenig anders war Masuren schon immer. Während fast das gesamte Ostpreußen dem Zweiten Weltkrieg entgegenfieberte, war man in hier zurückhaltender. Wohl auch, weil Masuren schon immer ein multikultureller Ort war, der stets an der Reichsgrenze lag. Hitlers Philosophie von einer Herrenrasse passte vielen hier nicht ins Bild.

"Für uns fing der Krieg erst 1945 an"

Dietmar Lange hat an den Krieg kaum Erinnerungen. Er war sieben, als die deutschen Truppen kapitulierten. Kampfhandlungen hat es in Masuren nicht gegeben. "Für uns fing der Krieg erst 1945 an", sagt er und meint damit die Armut dieser Zeit und den Verlust seiner Heimat. Dabei blieb Dietmar Langes Familie damals in ihrem Heimatdorf Ukta. Nur wurde aus der Heimat schnell eine andere Welt.

Für den Polen Józef Stankiewicz war der Krieg 1945 zu Ende. Doch auch für ihn begann damals ein neues Leben. Er gehörte nicht zu den vielen Vertriebenen aus dem polnischen Osten, die in den ehemals deutschen Gebieten ein neues zu Hause suchen mussten. Seine Familie kam freiwillig aus Kopie, einer vom Krieg ausgezehrten, besonders armen Region in der Nähe Warschaus, nach Ukta. Er war damals zehn Jahre alt. Man wusste um die leeren Häuser in Masuren, das reicher war als die polnischen Länder. Viele suchten hier ein neues, ein besseres Leben.

Mohnkuchen und Pünktlichkeit

Dietmar und Józef sind 1946 gemeinsam eingeschult worden. Die Unterrichtssprache war polnisch, aber in den Pausen wurde Deutsch gesprochen, denn die meisten der Kinder waren noch immer Deutsche. Und so lernten die Kinder des anderen Sprache und Kultur. "Am Wochenende backten die Deutschen immer Mohnkuchen. Wir wussten erst gar nicht, was das ist. Es roch aber sehr gut", erinnert sich Józef noch heute an den Duft aus den Häusern.

Am Nachmittag haben sie dann oft gemeinsam mit ihren Familien die Felder bestellt. "Da war klar, dass alle mithelfen. Da musste man nicht fragen", wissen beide heute noch zu berichten. "Und wenn die Deutschen sagten, morgen treffen wir uns um fünf Uhr und fangen an mit der Ernte, dann waren sie immer schon eine Stunde früher da", fügt Józef hinzu.

700 Jahre deutsch-polnische Geschichte

Als die beiden 1946 Freundschaft schlossen, war die deutsch-polnische Geschichte in Masuren schon über 700 Jahre alt. Die Bevölkerung hier war stets bunt zusammen gewürfelt, denn in Masuren herrschten der Deutsche Orden, später der polnische König und dann die Preußen.

Die unterschiedlichen Ethnien haben auch unterschiedliche Religionen hinter lassen. Vor dem zweiten Weltkrieg lebten hier vor allem Protestanten. Die meisten von ihnen waren Deutsch und flohen 1945 nach Westen. Geblieben sind ihre Kirchen - oftmals umgewandelt in katholische Gotteshäuser.

Religiöse Vielfalt

Im 17. Jahrhundert siedelten hier Glaubensflüchtlinge aus Russland, die so genannten Altgläubigen. Im damaligen Preußen konnten sie ihre Religion frei ausleben. Heute gibt es in Ukta nur noch sechs von ihnen. Dass es einmal bedeutend mehr waren, beweist das Kloster ein paar Kilometer weiter, mit seinen zahlreichen Insignien.

Ein gelbes Kloster, das schneebedeckt ist. (Foto: DW/ L.Vierecke)
das Altgläubigen-Kloster in der Nähe von Ukta in MasurenBild: DW

Von der religiösen Vielfalt und Multikulturalität sind heute fast nur Mauern und Steine geblieben und das Gefühl der Vielfalt der Nationen und des friedlichen Zusammenlebens bei den Bewohnern. Auch bei Dietmar Lange und Józef Stankiewicz. "Mir ist es noch heute gleich, ob ich in eine protestantische oder ein katholische Kirche gehe", erklärt Lange.

Wenn die beiden Herren heute beieinander stehen, könnte man sie fast für Geschwister halten - blau leuchten ihre Augen aus ihren redseligen Gesichtern. Noch heute wohnen beide in Ukta, dem kleinen Dorf, in dem sie einst gemeinsam die Schulbank drückten. Beide sind sie inzwischen pensioniert. Dietmar Lange war Grundschullehrer in der Gemeinde, Józef Stankiewicz Lkw-Fahrer. Nur ihre Namen verraten, dass der eine gebürtige Deutscher ist, der andere ein Pole. Dietmar redet längst Polnisch wie ein Pole. Und bei Józef gibt es auch an den Wochenende manchmal Mohnkuchen.