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Gendern - die große Debatte ums Sternchen

Madelaine Pitt | Kay-Alexander Scholz | Marie Sina
14. Juli 2021

Deutschland diskutiert über eine gendergerechte Sprache für Männer, Frauen und non-binäre Menschen. Was bedeutet das für die Sprache? Was sagt die Politik?

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Symbolbild Geschlechtergerechte Sprache Gendersternchen
Bild: picture-alliance/chromorange

Doris Mendlewitsch, 64, lebt fürs Texten, für die Sprache und ihre Ästhetik. Doch beim Lesen verliert die Autorin und Kommunikationsberaterin immer häufiger die Lust, sagt sie der DW. Grund sei ein Sternchen, das ihr auf Werbeplakaten, in Artikeln oder in Gebrauchsanweisungen ins Auge springt. "Das Gendersternchen lädt die Texte unglaublich auf mit Wörtern und Zeichen, die nichts mit dem Inhalt zu tun haben und ihn teilweise sogar verdecken."

Porträtfoto: Doris Mendlewitsch Kommunikationsberaterin in Düsseldorf
Kommunikationsberaterin Doris Mendlewitsch sieht das Gendersternchen kritischBild: Franklin Berger

Das Sternchen * stammt eigentlich aus der Computersprache, wo es als Platzhalter für "alles Mögliche" steht. Im Deutschen soll es die Sprache geschlechtsneutraler machen. In Anlehnung an das englische Wort für "Geschlecht" wird es "Genderstern" genannt. Die Anhänger der Gender-Theorie sagen, die deutsche Grammatik sei zu männlich gepolt.

Vom Bürger zu Bürger*innen

Wie in so vielen Sprachen gibt es von deutschen Begriffen oft eine weibliche und eine männliche Version. Das heißt: In der Schule gibt es den Schüler und die Schülerin. Sie werden unterrichtet vom Lehrer oder von der Lehrerin. Soweit, so gut - sobald es sich aber um eine Gruppe von Menschen handelt, wird oft der männliche Plural verwendet. Gesetze machen dann zum Beispiel die Politiker für die Bürger - auch, wenn unter ihnen Frauen sind.

Schriftzug Genderstern und *innen
Gendern meinte zunächst, mehr weibliche Formen in der Sprache zu verwenden - nun geht es auch um non-binäre MenschenBild: Imago/Steinach

Diese spezielle Pluralform, auch "generisches Maskulinum" genannt, ist Kern der aktuellen Debatte in Deutschland. Obwohl laut deutscher Grammatik ein solches "Generikum" beide Geschlechter meint, sagen die Kritiker, damit würden vor allem männliche Bürger assoziiert. Weibliche und nicht-binäre Personen dagegen würden ausgeschlossen. Eine Lösung sei das Sternchen, das diese Formen vereint - wie Bürger*innen.

Es gibt noch Alternativen zum Gendersternchen - wie LehrerInnen, Lehrer_innen, Lehrer:innen. Doch das Gendersternchen, oder auch nur Genderstern genannt, ist in Deutschland nach Beobachtung von Experten inzwischen die dominierende Schreibweise.

Portrait I Julien Grub
Das Gendersternchen gibt Julien Grub Raum in der SpracheBild: Privat

Julien Grub, 31, ist weder Bürger noch Bürgerin, sondern ist nicht-binär. "Weil immer deutlicher wurde, dass ich mit meinem mir zugeschriebenen Geschlecht nicht übereinstimme", sagt Julien der DW. Juliens Coming-Out sei erst letztes Jahr gewesen, nach einem sehr langen Prozess. Der Genderstern ist Julien wichtig: "Ich bin damit auch sprachlich angesprochen. Es gibt in dieser Schreibweise einen Raum, mit dem ich mich im Grunde verbunden fühlen kann."

Meinungen in den Parteien gehen weit auseinander

Gendergerechte Sprache offiziell einzuführen wäre eine Entscheidung der Politik. Das ist in Deutschland bislang nur ganz vereinzelt in manchen Kommunen passiert. Könnte sich das ändern? Schließlich wird im September eine neue Bundesregierung gewählt. Was ist von den Parteien in diesem Punkt zu erwarten? Die DW fragte bei den Pressestellen nach. Die Antworten ergaben ein gemischtes Bild.

Offizielle Beschlüsse gibt es in drei Parteien - bei den Grünen, der Linkspartei und der AfD. Die Grünen führten bereits im Jahr 2015 eine gendergerechte Sprache ein. 2017 beschlossen die Linken die Einführung des Gendersternchens. Ganz anders die AfD. Sie lehnt das "Gendern" - so steht es im Grundsatzprogramm - komplett ab.

Bei FDP, SPD und CDU gibt es laut Auskunft der Pressestellen keine Beschlüsse oder eine "Order" zum Umgang mit genderneutraler Sprache. "Eine Pflicht zum Gendern lehnen wir ab", heißt es von der FDP. Bei der SPD sei die Verwendung "freiwillig".

Die CDU verweist auf ein aktuelles Interview mit dem Parteivorsitzenden und Kanzlerkandidaten Armin Laschet. Darin rät Laschet zu "Gelassenheit". Er akzeptiere, wenn "jemand gendern möchte" - lehne es aber ab, "Menschen unter Druck zu setzen, damit sie gendern". Es gibt aber auch weniger "gelassene" Stimmen in der CDU. Sie fordern ein Genderverbot in amtlichen Texten und in Schulen, wie es in Frankreich erlassen wurde.

Interview Armin Laschet | DW Global Media Forum 2021
Gendersternchen? Kanzlerkandidat Armin Laschet will nichts verbieten, aber auch nichts vorschreibenBild: Philipp Böll/DW

Ein Blick in die Wahlprogramme zeigt, dass die allermeisten Parteien anscheinend einen Bogen um dieses Thema machen wollen. Obwohl es auch in deutschen Medien kontrovers diskutiert wird. Das Thema "Gendergerechte Sprache" taucht nirgends auf - außer wieder bei der AfD.

Die rechtspopulistische Partei versucht derzeit, auf vielen Wegen mit dem Thema zu punkten. So brachte die AfD-Fraktion im Bundestag kürzlich zwei Anträge ein und forderte ein "Verbot der Gendersprache" in Gesetzes-Texten und anderen Drucksachen. Einer der Anträge wird nun im Geschäftsordnungsausschuss beraten.

Pro und Kontra Gendern

Zwei Drittel der Deutschen lehnen eine gegenderte Sprache ab, ergab eine Befragung des Meinungsforschungsinstituts "Infratest Dimap". Manchmal auch, weil damit die Sprache für Menschen mit einer Leseschwäche oder für Nichtmuttersprachler komplizierter werden kann. Doris Mendlewitsch jedenfalls sieht das so.

Forschung für Alle

Sie bringt ehrenamtlich Kindern aus Einwandererfamilien das Lesen bei. Das Gendersternchen stelle für die Kinder eine zusätzliche Hürde dar, sagt sie. "Die Sprache wird durch das Gendern noch schwerer erlernbar, als wenn man einen flüssigen Text hat, indem das generische Maskulinum für alle steht."

Dass man beim generischen Maskulinum eher eine Gruppe männlicher Menschen vor Augen habe, sei vor allem auch ein Problem bei Berufsbezeichnungen, sagt Julien. Es könne sich "ein gewisses Geschlechter-Denken bei Schüler*innen festsetzen und möglicherweise in der späteren Berufswahl eine Rolle spielen". Es gibt Studien, die das belegen. Wenn stattdessen Ingenieur*innen statt Ingenieure oder Architekt*innen statt Architekten verwendet wird, dann könnten sich mehr junge Menschen vorstellen, dass diese Karrierewege für alle offen stehen.

Was kann Sprache leisten?

Wie ein aufgezwängtes Korsett empfindet Doris Mendlewitsch die immer lauter werdenden Plädoyers für das Sternchensymbol. Mit aufmerksamer Sprache, die Gleichberechtigung vorantreibt, habe das nichts zu tun. "Sprache ist ja nicht Mathematik. Du kannst keine sprachliche Formel für etwas entwickeln. Sprache ist etwas Individuelles. Man muss den Kontext sehen, in dem Sprache stattfindet."

Julien Grub hat auch eine Meinung zur Entwicklung der Sprache. "Die Sprache sollte für den Menschen da sein, da der Mensch die Sprache nutzt." Sprache ändere sich täglich. "Je weiter meine sprachliche Auffassung ist, desto umfangreicher kann ich die Welt, aber auch andere Menschen verstehen. Das ist einfach wichtig."