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Gerangel um Entscheidungen im Bundesrat

14. Juni 2010

Angesichts des Stimmungstiefs der Bundesregierung rücken die Probleme der Landespolitik in Nordrhein-Westfalen in den Blickpunkt. Von dort aus könnte die SPD über den Bundesrat Einfluss auf die Bundespolitik nehmen.

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Gabriel (Foto: dpa)
Für eine rot-grüne Minderheitsregierung in NRW: SPD-Chef Gabriel hofft auf Einfluss im BundesratBild: picture alliance / dpa

SPD-Chef Sigmar Gabriel hat die Absicht seiner Partei deutlich gemacht, über den Bundesrat politische Entscheidungen der Bundesregierung zu beeinflussen. Er sprach sich - ebenso wie die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth - für eine rot-grüne Minderheitsregierung in Nordrhein-Westfalen (NRW) aus. Diese könne im Landtag in der Landeshauptstadt Düsseldorf deutlich mehr Stimmen mobilisieren als CDU und FDP. Somit könnten umstrittene Projekte der Bundesregierung im Bundesrat verhindert werden, sagte er dem Berliner "Tagesspiegel" vom Montag (14.06.2010). Grünen-Chefin Roth forderte, die SPD müsse sich aus ihrer Schockstarre über die fehlgeschlagenen Verhandlungen mit Linkspartei und FDP lösen und für den versprochenen Politikwechsel in Nordrhein-Westfalen sorgen.

Das Motiv für die Forderungen ist klar: Solange das abgewählte Landeskabinett von Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) geschäftsführend im Amt bleibt, behält Schwarz-Gelb auch seine mit der NRW-Wahl schon verloren geglaubte Bundesratsmehrheit. Denn der Bundesrat ist ein "Parlament der Länderregierungen". Nur wer in einer Landesregierung Sitz und Stimme hat, kann sein Mitglied sein. Die Opposition in den Ländern hat keine Möglichkeit, sich im Bundesrat Gehör zu verschaffen.

Bundes-SPD will stärkeren Einfluss auf Bundesrat

Kraft: Foto: AP)
Setzt eher auf gestaltende Politik aus der Opposition heraus: SPD-Landeschefin KraftBild: AP

Gabriel verwies bei seiner Forderung nach einer SPD-Minderheitsregierung in NRW ausdrücklich auf die anstehenden Entscheidungen in der Länderkammer über das Sparpaket der Bundesregierung, eine Verlängerung der Laufzeiten für Atomkraftwerke und die sogenannte Gesundheitsprämie. Die SPD in Nordrhein-Westfalen werde alles tun, um "derartig katastrophale Fehlentscheidungen im Bundesrat" zu verhindern, kündigte er an.

Die nordrhein-westfälische SPD-Landeschefin Hannelore Kraft sieht sich indessen noch nicht in einer Minderheitsregierung. Die NRW-SPD wolle nach ihren gescheiterten Sondierungsgesprächen mit CDU, FDP und Linken in der Landeshauptstadt Düsseldorf nun den angestrebten Politikwechsel "aus dem Parlament heraus" betreiben.

Rüttgers (Foto: dpa)
Hofft weiter auf eine große Koalition: NRW-Ministerpräsident RüttgersBild: picture-alliance/dpa

Rüttgers lehnte nochmals Neuwahlen in Nordrhein-Westfalen ab. Die Wähler hätten sich bei der Landtagswahl am 9. Mai für eine große Koalition entschieden, sagte er der "Rheinischen Post". Auch ein sogenanntes Jamaika-Bündnis von CDU, FDP und Grünen schloss Rüttgers nicht aus. Sein Angebot, mit allen demokratischen Parteien zu reden, bleibe weiter bestehen. Die Grünen hatten einer solchen Koalition mit CDU und FDP aber wiederholt eine Absage erteilt.

Auswege aus der Krise in NRW

Als voraussichtliche Bruchstelle für die geschäftsführende CDU/FDP-Minderheitsregierung in Düsseldorf gilt der Haushalt 2011, der frühestens ab Herbst im Landtag beraten werden könnte und den Schwarz-Gelb nicht aus eigener Kraft durchbringen kann.

Derzeit sind grundsätzlich zwei Auswege aus der verfahrenen Situation denkbar: Der Landtag könnte sich selbst auflösen und damit den Weg für Neuwahlen frei machen. Die müssten dann binnen 60 Tagen stattfinden. Dafür zeichnet sich aber nicht die erforderliche absolute Mehrheit im Landesparlament ab.

Die zweite Möglichkeit wäre eine rot-grüne Minderheitsregierung, die aber die Landes-SPD nach den Worten ihrer Vorsitzenden Kraft derzeit nicht anstrebt. Formal wäre die schnelle Bildung einer Minderheitsregierung von SPD und Grünen in Düsseldorf kein Problem. Kraft könnte bereits bei einer der nächsten Landtagssitzungen als Ministerpräsidentin kandidieren. Da Rot-Grün nur eine Stimme zur absoluten Mehrheit fehlt, könnte die Sozialdemokratin - wenn sie das rot-grüne Lager hinter sich versammeln kann und zusätzlich eine oder mehr Stimmen von den Linken erhält - bereits im ersten Wahlgang erfolgreich sein.

Sollte Kraft im ersten Wahlgang scheitern, müsste innerhalb von 14 Tagen ein zweiter und gegebenenfalls dritter Wahlgang stattfinden. Spätestens im vierten Wahlgang könnte sich Kraft mit der einfachen Mehrheit der Stimmen durchsetzen.

Allerdings würde selbst der Verlust der schwarz-gelben Bundesratsmehrheit das umstrittene Sparpaket der Bundesregierung nicht zwingend zu Fall bringen. Denn nur wenige der Gesetzesvorhaben gelten als zustimmungspflichtig in der Länderkammer. Und eine baldige Abstimmung steht ohnehin nicht an: Die Koalition will bis August die verschiedenen Gesetzentwürfe zum Haushalt und den Kürzungen im Sozialbereich vorlegen, der Bundestag könnte dann im Herbst die Gesetze beschließen. Der Bundesrat wäre erst danach an der Reihe, und zwar möglicherweise auf einer der beiden letzten Sitzungen in diesem Jahr, Anfang November oder Mitte Dezember.

Autor: Herbert Peckmann (afp, rtr, dpa, apn)
Redaktion: Sabine Faber